Lob aus Erlangen für geplantes Organspende-Gesetz

30.12.2018, 18:00 Uhr
Lob aus Erlangen für geplantes Organspende-Gesetz

© Privat

Herr Professor Weyand, der Gesetzentwurf zur Organspende soll Kliniken in dem Bereich besser stellen. Gibt es da so viel Verbesserungsbedarf?

Michael Weyand: Ja, das glaube ich schon, weil eine Organspende im Moment für jede Klinik, in der sie stattfindet, im Prinzip ein Draufzahlgeschäft ist. Das Personal, alle Materialien und vor allem mögliche Zusatzuntersuchungen an den Organspendern, wie etwa eine Herzkatheteruntersuchung, decken das, was den Kliniken dafür zur Verfügung gestellt wird, in keinster Weise. Das soll durch das neue Gesetz komplett geändert werden, so dass zumindest die Kliniken durch eine Organspende kein Geld mehr verlieren — und das ist derzeit so.

 

Um welche Beträge geht es da?

Weyand: Das schwankt sicherlich zwischen den einzelnen Häusern sehr, je nachdem, welche Untersuchungen sie zu Verfügung stellen können. Es schwankt sehr mit der Dauer der Zeit, in der der Spender nach der abgeschlossenen Hirntoddiagnostik noch auf der Intensivstation liegt oder — wie man inzwischen sagt — in der der irreversible Hirnfunktionsausfall statuiert worden ist, und der Zeit, in der die Organspende abgewickelt werden kann. Die Zeit zwischen abgeschlossener Hirntoddiagnostik und Einwilligung zur Organspende durch die Angehörigen, wenn kein Spenderausweis vorliegt, wird nicht mehr kostenmäßig von den Krankenkassen abgedeckt. Ab Todesfeststellung endet die Leistungspflicht der Krankenkassen. Das, was dazwischen passiert, etwa bei einer Ablehnung, wird von den Krankenhäusern — oder eben nicht — finanziell abgesichert.

 

Können Sie eine Zahl nennen?

Weyand: Der Verlust für die Häuser kann zwischen 500 und 1000 Euro liegen. Dann kommt noch dazu, dass die Organspenden häufig in der zweiten Nachthälfte stattfinden, was in aller Regel mit dem Prozess der Hirntodfeststellung und dem langwierigen Vermittlungsprozess für die einzelnen Organe zusammenhängt und dass dann Personal in der Nacht Überstunden macht, und die Überstunden ebenfalls vergütet werden müssen.

 

Mit dem geplanten Gesetz sollen die Transplantationsbeauftragten für ihre Arbeit mehr freigestellt werden. Machen Ihre Kollegen das bisher neben dem normalen Tagesgeschäft mit?

Weyand: Genau. Im Moment ist es in der Bundesrepublik so, mit Ausnahme von Bayern, dass die Transplantationsbeauftragten nicht zwingend gesetzlich freigestellt werden müssen. Das wird sich in Zukunft ändern, denn es gibt in dem Gesetzentwurf eine Regelung, dass pro zehn Intensivbetten eine Zehntel Vollzeitstelle zur Verfügung gestellt werden muss.

 

Was bedeutet das für Ihr Haus?

Weyand: Das bedeutet für ein Klinikum wie unseres mit gut 100 Intensivbetten, dass eine Vollzeitstelle komplett freigestellt werden muss — vom Klinikum finanziert, rückfinanziert von den Ländern bzw. sogar vom Bund. In Bayern ist das über das Bayerische Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz geregelt.

 

Werden diese Verbesserungen im geplanten Bundesgesetz noch unterstützt?

Weyand: Ja, der Entwurf ist mit der vorgesehenen Meldepflicht aller möglichen Organspender, einer effektiveren Logistik und besseren Vergütung ein Schritt in die richtige Richtung. Ich halte es aber für wichtig — und ich glaube, da spreche ich für die allermeisten Transplantationsmediziner –, dass die Widerspruchslösung auch in Deutschland eingeführt wird. Allerdings — und da teile ich die Meinung wohl auch mit vielen — wäre eine Widerspruchslösung alleine, ohne die jetzt geplante Gesetzgebung, völliger Humbug.

 

Weshalb?

Weyand: Nur wenn die Krankenhäuser darauf vorbereitet und die logistischen Verbesserungen in den Krankenhäusern eingeführt werden, kann die Widerspruchslösung zum Tragen kommen. Die Widerspruchslösung allein wird uns in Deutschland nicht helfen, hat auch in den anderen Ländern nicht geholfen. Selbst in Spanien, das so viele Spender mehr hat, wurden zuerst die Verbesserungen in den Kliniken eingeführt — und da bewegen wir uns jetzt hin.

 

Laut Gesundheitsminister Jens Spahn ist das Hauptproblem in der Transplantationsmedizin nicht die Spendenbereitschaft der Menschen. Die habe in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Das hat mich doch ziemlich überrascht.

Weyand: Die durchgeführten Organspenden sind von 1046 in Deutschland im Jahr 2012 auf 797 im vergangenen Jahr zurückgegangen. Was man sehen muss: Wir haben 797 Organspender, wir haben aber, wenn man nach meinen Informationen in die Statistiken von bundesdeutschen Kliniken schaut, viel mehr mögliche Organspender. Auch wenn die Spendenbereitschaft zugenommen hat, schlägt sich das nicht auf die realisierten Organspender nieder.

 

Also gibt es mehr Patienten, die als Spender geeignet wären?

Weyand: Ja, jeder, der etwa mit einer schweren, nicht überlebbaren Schädel-Hirn-Verletzung nach einem Unfall in die Klinik kommt, fällt darunter. Einige sind für eine Organentnahme zu krank — und ganz viele werden, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, nicht weiter behandelt. Diese Patienten werden nicht maschinell beatmet. Aber erst wenn über die maschinelle Beatmung Sauerstoff ins Blut kommt, pumpt das Herz weiter, durchblutet die anderen Organe. Das ist ein Punkt, an dem möglicherweise diese Gesetzesregelung greift. Und das ist auch deshalb ein wichtiger Punkt, weil diese Patienten trotz einer Patientenverfügung als mögliche Organspender in Betracht kämen.

 

Inwiefern?

Weyand: Fast alle Umfragen zeigen, dass zirka 80 Prozent der Deutschen für Organspenden sind. Trotz einer Patientenverfügung kann eine Organspende nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Man könnte die Zahl der Organspenden somit erhöhen, auch ohne Widerspruchslösung.

 

Mehr Personal könnte also, etwas salopp formuliert, besser an möglichen Spendern dranbleiben?

Weyand: Ja, natürlich, weil mehr Personal besser an den einzelnen Patienten dranbleiben kann und auch dranbleiben muss. In Zukunft

müssen diese potenziellen Spender gemeldet werden. Damit haben wir eine Möglichkeit, bei den Kranken in den Kliniken mehr Organspender zu finden.

 

Besteht da nicht die Gefahr, dass man zu sehr auf Angehörige einwirkt?

Weyand: Nein, das glaube ich nicht. Man darf zuerst einmal einen Schwerkranken nicht aufgeben, der Patient steht im Mittelpunkt jedes ärztlichen Handelns; aber wenn die Schwere der Erkrankung nicht mehr mit dessen Überleben vereinbar ist, darf man daran denken, dass dieser möglicherweise ein Organspender sein kann. Das ist ein gedanklicher Schritt, der erforderlich ist und der zu wenig oder gar nicht gegangen wird. Diesen Gedanken muss man gehen und dann muss man Angehörige fragen und ihre Entscheidung akzeptieren. Dieses Gespräch muss man führen; ich finde es aber durchaus legitim, dass man es führt, weil Sie in der Statistik zwar 797 Organspender sehen, aber diesen 11 000 Menschen auf der Warteliste entgegen stehen.

 

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