#metoo auch in Erlangen?

4.11.2017, 11:00 Uhr
#metoo auch in Erlangen?

"Ich habe laut gebetet"

Ich muss ehrlich sagen, obwohl ich ja früher als junge Tanzlehrerin oft auch im Minirock sehr selbstbewusst unterwegs war, ist mir glücklicherweise Sexismus oder sexuelle Gewalt in dieser Zeit in Erlangen nie bewusst passiert. Nein, ich kann mich tatsächlich an kein einziges Mal erinnern. Und im Rathaus sowieso nicht, also da geht es nach meinen Erfahrungen sehr gesittet zu.

#metoo auch in Erlangen?

Vielleicht liegt das aber auch grundsätzlich an meinem Wesen, an meiner inneren Einstellung: Ich gehe offensiv auf Menschen zu, meine Tanzschüler und Tanzschülerinnen umarme ich zur Begrüßung — da überlege ich gar nicht lange. Einfach, weil ich körperliche Nähe zu Menschen, die ich mag, nicht schlimm finde.

Die wirklich einzige negative Erfahrung in diese Richtung liegt bei mir viele Jahrzehnte zurück. Als kleines Mädchen war ich am Waldrand spazieren, in etwa dort, wo heute die Siemens-Siedlung steht. Plötzlich stand ein Mann vor mir und näherte sich in eindeutiger, bedrohlicher Weise. Ich fühlte mich furchtbar hilflos und habe in meiner Not laut angefangen zu Beten: Bitte, lieber Gott, hilf mir . . . — da hat mich dieser Mann plötzlich perplex angesehen und ist zum Glück weggelaufen.

Vielleicht hat mich dieses Erlebnis im Nachhinein derart geprägt, dass ich fortan dachte: Mir kann nichts passieren. Vielleicht habe ich das irgendwie ausgestrahlt, so dass mir dann wirklich nie etwas Derartiges mehr passiert ist — glücklicherweise, denn es ist ganz schrecklich, was manchen Frauen widerfährt oder was sie erleben müssen.

"Ich sollte Strümpfe schicken"

#metoo auch in Erlangen?

Auf den meisten Bildern habe ich lange Kleidung an, einen Helm auf dem Kopf, eine Brille vor den Augen und Handschuhe an den Händen. Ich sitze auf einem Fahrrad, springe über Hügel. Sexismus ist dadurch nicht weit verbreitet im BMX, im Gegenteil, es ist ein Jungs-Sport. Und wenn ich anderen erzähle, was ich mache, finden sie den Sport cool und wahrscheinlich auch die Situation, dass ich als Mädchen so viel Mut habe. Aber ich denke, würde ich Beachvolleyball spielen oder Schwimmen, dann würde es auch Menschen geben, die mich ganz anders sehen. So wie es bestimmt welche gibt, die mich nur als die Sportlerin aus dem Playboy kennen.

Das finde ich schade, denn ich arbeite hart für meinen sportlichen Erfolg. Wenn mir dann, wie nach den Olympischen Spielen, plötzlich wildfremde Männer Bilder ihrer Geschlechtsteile schicken, versuche ich mir keinen Kopf zu machen und lösche "Snapchat" eben wieder. Die meisten sehen mich doch als erfolgreiche Sportlerin und manche schreiben auch auf Facebook unter meine Fotos mal: "Die Schönste" und posten jede Menge Herzchen. Das finde ich nicht schlimm. Komisch wird es, wenn mir Geld für meine getragenen Strümpfe geboten wird. Ist das Fetisch? Oder einfach ein verrückter Fan? Ich habe meine Socken besser nicht geschickt.

Zu meinen Playboy-Fotos stehe ich nach wie vor, ich habe das auch gemacht, weil es so viele andere Sportlerinnen schon getan haben, die ich sehr schätze. Ich finde das nicht sexistisch, sondern ästhetisch, schön. Ich habe auch von Frauen die beste Resonanz darauf bekommen, das hat mich gefreut. Aber wenn ich in der Fanpost Bilder aus dem Playboy signieren soll, dann mache ich das nicht. Das wird mir zu persönlich.

Dass nun unter dem Hashtag #metoo in den sozialen Medien eine wichtige Debatte losgetreten wird, finde ich wichtig. Ich hoffe, dass viele Männer, die nicht so sind, jetzt ein wenig aufmerksamer durch die Welt gehen und mithelfen, bei Freunden, Kollegen, Verwandten oder Fremden Sexismus im Keim zu ersticken. Einfach, in dem sie den Mund aufmachen, sich dagegenstellen und nicht schweigen.

"Ich war viel zu perplex, um zu reagieren"

#metoo auch in Erlangen?

Leider habe ich in meinen 22 Jahren schon sehr viele negative Erfahrungen gemacht, die zum Hashtag #metoo passen würden. In Erlangen allerdings glücklicherweise noch nicht. Aber zu Hause im Ruhrgebiet ist es schon häufiger vorgekommen, dass mir fremde Männer im Vorbeigehen einfach so an den Hintern gelangt haben. Ich war so perplex, dass der Typ, bis ich irgendwie reagieren konnte, schon längst auf und davon war. Und: Wie reagiert man dann eigentlich richtig? Das macht mich wütend.

Die schlimmste Erinnerung aber habe ich an einen ursprünglich befreundeten Wirt, der mich und ein paar Freunde eingeladen hatte zum Feiern in seine Kneipe. Wir saßen sehr ausgelassen zusammen und hatten viel Spaß, bis er begann, mich anzubaggern. Das ist ja grundsätzlich nichts Schlimmes, ich habe ihm eben deutlich gemacht, dass ich das nicht möchte – doch dann ist er komplett ausgeflippt und hat angefangen mich zu beschimpfen.

Letztlich hat er mich gegen meinen Willen geküsst, ich wollte mich wehren, aber ich war zu schwach gegen ihn. Seine Kumpels, die auch dabei waren, fanden das nicht schlimm, eher lustig. Vielleicht haben sie die Situation falsch eingeschätzt? Jedenfalls hat ihn meine Abneigung derart auf die Palme gebracht, dass er randaliert und uns rausgeworfen hat.

Heute noch wechsle ich die Straßenseite, wenn ich ihn schon von Weitem sehe. Ich habe Angst vor ihm.

Ich finde diese #metoo-Debatte und all die Diskussionen nun sehr wichtig, um auf all das Schlimme aufmerksam zu machen, womit wir Frauen und auch einige Männer zu kämpfen haben. Ich hoffe auch, dass die Täter ihr Verhalten jetzt vielleicht hinterfragen und sich überlegen, dass das ein oder andere nicht richtig ist, das sie tun. Und ich finde es auch wichtig darüber zu reden, was mir passiert ist, um aufzurütteln, dass so etwas passiert.

Was ich aber schlimm finde ist, dass manche Reaktionen aus mir dann tatsächlich eine Mitschuld ableiten, in die Richtung: Was hast du denn angehabt? Wie hast du dich denn verhalten? Das hinterlässt mich hilflos.

"Pfoten weg, was soll das?"

#metoo auch in Erlangen?

Ich bin in den 50er Jahren mit einer Freundin am helligen Tag in Italien von einer Gruppe Filmstatisten, die als Mönche verkleidet waren, regelrecht angefallen worden. Es ist uns irgendwie mit lautem Schreien und um uns schlagen tatsächlich gelungen, sie in die Flucht zu schlagen. Echte Nonnen haben uns dann geholfen und zur Polizei gebracht. Die hat die Täter gefunden und sie wurden gefasst.

Später wurden wir aber von der Polizei unter Druck gesetzt, die Anzeige doch wieder zurückzunehmen – was wir gottseidank nicht gemacht haben. Das halte ich bis heute, auch in meiner Arbeit im Frauenhaus, für sehr, sehr wichtig, das sollte das Prinzip sein bei jeglicher sexueller Gewalt: sich dagegen wehren und sie auch ahnden, damit sie hoffentlich nicht wieder geschieht.

Wenn ein Fremder einen betatscht, wie es die Studentin oben schildert: Was tut man? Ich würde raten: laut rufen "Pfoten weg, was soll das?". Es hilft auch, die Umgebung miteinzubeziehen, Leute zu Hilfe zu rufen.

Sexismus und sexuelle Gefahr gibt es leider ohne Ende in der Beziehung, gegenüber Fremden oder am Arbeitsplatz – Erlangen kann man da in keinster Weise herausnehmen leider. Diese Gewalt ist auch nicht am Abnehmen, leider, sondern unverändert hoch. Sie ist wirklich mitten unter uns in der Gesellschaft.

Ich finde, es ist sehr sinnvoll, durch die #metoo-Debatte darüber offen zu sprechen. Aber es müsste viel mehr passieren, schon in der Erziehung, im Unterricht gewisse Rollenbilder aufgebrochen werden, dass es gar nicht soweit kommt.

Es ist auch kein Phänomen unserer Zeit: Gegründet wurden die Frauenhäuser in den 70er Jahren, damals kamen zu uns ausschließlich Frauen deutscher Männer, quer durch alle Bildungsschichten. Es ist also ebenso keine reine Frage der Kultur, wenngleich es natürlich Kulturen gibt, in denen ein ehrvoller Umgang mit Frauen noch nicht in dem Maße erkämpft worden ist wie bei uns in Deutschland.

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