Ost-West-Denken sollte aufhören

10.11.2019, 16:00 Uhr
Ost-West-Denken sollte aufhören

© Michael Kappeler, dpa

Andreas Heller (CDU), heute Landrat des Saale-Holzland-Kreises, dem Partnerlandkreis von Erlangen-Höchstadt. Vor 30 Jahren war er Lehrer in Hainspitz. Im Folgenden seine Erinnerungen an die Wendezeit.

 

"30 Jahre Mauerfall": Wie haben Sie das persönlich erlebt und wie ihr Umfeld? In welcher Situation waren Sie damals, eventuell auch schon als junger Kommunalpolitiker?

Ich war damals Lehrer in Hainspitz. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir an diesem 9. November 1989 Einwohnerversammlung in Serba hatten. Der Saal war voll besetzt, da ging es heiß her, denn die Unzufriedenheit mit den politischen Zuständen und die Hoffnungen auf Reformen und Öffnung der abgeriegelten DDR, vor allem durch die landesweiten Demonstrationen und Friedensgebete, war groß.

Kurz nach der Tagesschau-Zeit kam eine Einwohnerin, ich glaube, es war Regina Wächter, ganz aufgeregt in den Saal gestürmt. Sie rief: "Ihr braucht Euch nicht mehr zu streiten. Die Grenzen sind offen!" In zehn Minuten war der Saal leer.

Ost-West-Denken sollte aufhören

© Presse Thüringen Claudia Bioly

Ich habe dann noch mit Freunden im "Weißen Hirsch" lange diskutiert und erst sehr spät abends daheim im Fernsehen gesehen und gehört, was da überhaupt verkündet worden war. Die Grenzen sind offen – ich konnte das damals noch gar nicht richtig begreifen. Auch nicht, als ich am Montag danach – erstmal allein – zum ersten Mal in den Westen gefahren bin. Ich war unheimlich aufgeregt. Ein magischer Punkt war die Schleizer Autobahnabfahrt, die bis dahin immer die letzte freie Abfahrt für DDR-Bürger war.

Diesmal bin ich einfach weitergefahren. Als ich an der Grenze die Panzersperren sah, wurde mir so richtig klar, wie abgeriegelt wir bis dahin waren. Ich bin nach Hof gefahren, habe den Trabi abgestellt – und habe die Welt nicht mehr verstanden. Das war erstmal wie eine Traumwelt, was ich da sah. Allein die Angebote für Heimwerker im Baumarkt: das Paradies.

Erst allmählich wurde mir danach die politische Dimension der Ereignisse vom 9. November, das Ausmaß der Freiheit, das wir an diesem Tag gewonnen haben, so richtig bewusst.

Die Verbindung zwischen dem Saale-Holzland-Kreis und dem Kreis Erlangen-Höchstadt entstand daraus: Was ist daraus geworden? Hat sie beigetragen zum gegenseitigen Verständnis?

Bereits zu DDR-Zeiten waren Jena und Erlangen Partnerstädte. Am 19. Juni 1991 wurde im Rathaus zu Kahla in einer Festsitzung des damaligen Kreistages Jena-Land die Partnerschaftsvereinbarung mit dem Landkreis Erlangen-Höchstadt unterzeichnet.

Im September 1996 wurde die Partnerschaft im inzwischen gegründeten Saale-Holzland-Kreis neu besiegelt. Die nach der Wende entstandenen Kontakte vor allem zwischen den Verwaltungen dehnten sich zunehmend auf Begegnungen der Menschen auf Vereinsebene, in Schulen und im Sport aus.

Ich habe selbst als Schulleiter des Friedrich-Schiller-Gymnasium Eisenberg eine fruchtbare Schulpartnerschaft mit dem Gymnasium in Höchstadt gepflegt. Es gab gemeinsame Trainingslager, Projekttage und Theateraufführungen. Ein Höhepunkt für die Schüler war 2003 die Einladung des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau nach Berlin. Eine weitere Partnerschaft bestand zwischen den Gymnasien Kahl und Eckental.

Unsere Landkreispartnerschaft hat zum gegenseitigen Verständnis beigetragen, da bin ich mir sicher. Waren es in den Anfangsjahren vor allem die Hilfe der Franken für uns Ostthüringer, für die wir bis heute dankbar sind, so haben sich viele Dinge inzwischen angeglichen. Wir stehen vor ähnlichen Aufgaben: z. B. Fachkräftemangel, Digitalisierung, Erneuerbare Energien und Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs. Wir können voneinander lernen, und wir tun das auf vielfältige Weise. Dabei hilft, dass die Mentalität von Franken und Thüringern ähnlich ist.

 

Oft wird davon gesprochen, dass die Mauer in den Köpfen noch existiere. Was ist Ihre Einschätzung?

Wer mit offenen Augen durch unser Land geht, der sieht, wie stark sich Thüringen in den vergangenen 30 Jahren verändert und erfolgreich entwickelt hat. Der Saale-Holzland-Kreis steht wirtschaftlich gut da, die Arbeitslosigkeit liegt bei 3,8 Prozent. Hier kann man einfach gut leben und arbeiten. Erfreulicherweise wissen das auch immer mehr junge Familien zu schätzen, die hier bleiben oder hierher zurückkehren. Ich wünsche mir, dass das Ost-West-Denken aufhört, und bin zuversichtlich, dass die junge Generation da auf gutem Wege ist.

 

Thüringen ist durch hohe AfD-Werte bei der Landtagswahl jüngst in den Fokus gerückt. Wie beurteilen Sie das Phänomen des Rechtsradikalismus? Was sind die Wurzeln Ihrer Ansicht nach?

Wir Volksparteien – nicht nur in Thüringen, sondern bundesweit – müssen sich der Themen und Probleme, die die Menschen wirklich bewegen, annehmen und Antworten auf ihre Fragen geben.

1 Kommentar