Corona

Pandemie fordert alles von den Erlanger BRK-Kräften

30.11.2021, 17:00 Uhr
Das Erlanger BRK transportiert mit seinem Intensivtransportwagen regelmäßig schwerkranke Covid-Patienten zu Flughäfen, von wo sie dann in den Norden der Republik geflogen werden.

© Klaus-Dieter Schreiter, NN Das Erlanger BRK transportiert mit seinem Intensivtransportwagen regelmäßig schwerkranke Covid-Patienten zu Flughäfen, von wo sie dann in den Norden der Republik geflogen werden.

„Neben der Belastung durch den Dauerbetrieb erleben wir momentan viel Leid von Patienten, die um ihr Leben kämpfen“, sagt Marcel Schäfer. Der 32-jährige Notfallsanitäter ist Teil einer 15-köpfigen Mannschaft für Intensivtransporte. Dafür hat er eine ganz spezielle Zusatzausbildung machen müssen.

Schäfer fährt im Intensiv-Transportwagen (ITW) „Rotkreuz Erlangen 9/70/20“, um schwerstkranke Corona-Patienten dorthin zu bringen, wo es für sie noch ein freies Intensivbett gibt. Zu allem Unglück ist sein ITW kürzlich auch noch in Hof angefahren worden, so dass er nun auf ein Ersatzfahrzeug umsteigen musste, das sich das Erlanger BRK vor einiger Zeit vorsorglich angeschafft und ausgerüstet hatte.

Ausgerüstet wie eine Intensivstation

Zusätzlich wird jetzt auch noch ein Reservefahrzeug aus Regensburg nach Erlangen geholt, das dort stationiert ist. Insgesamt gibt es nur sieben dieser High-Tech-Fahrzeuge in Bayern, die ausgerüstet sind wie eine Intensivstation in einem modernen Krankenhaus.

Normalerweise beginnt die Schicht von Marcel Schäfer morgens um sechs Uhr. Dann steht erst einmal der Corona-Test an, dann werden die Fahrzeugschlüssel und Funkmeldeempfänger übergeben, dann müssen all die komplizierten Geräte im ITW, die einen Patienten am Leben halten, überprüft werden. Nach etwa einer Stunde ist der Wagen startklar. Und meist geht es dann auch schon los mit den Covid-Intensivtransporten.

Patienten müssen vom Flughafen Nürnberg abgeholt und in die Erlanger Klinik gebracht werden, andere werden in süddeutschen Kliniken im Pendelverkehr abgeholt und zu den Flughäfen Memmingen oder München gefahren, wo sie in eine fliegende Intensivstation der Bundeswehr gebracht werden. Die fliegt sie dann in den Norden der Republik, weil es dort noch freie Intensivbetten gibt.

Für alle Fahrten müssen die drei Besatzungsmitglieder im ITW sogenannten „Vollschutz“ tragen. Das bedeutet: Overall, drei Paar Handschuhe übereinander, Schutzbrille und FFP3-Maske. Damit auch kein Stück Haut herausschaut, klebt Marcel Schäfer viele der Plastikteile auch noch an seiner Haut fest. Die Arbeit in dieser Montur ist extrem belastend, denn der Vollschutz darf nicht nur nicht abgelegt werden während des Transportes, es darf auch keine Flüssigkeit getrunken werden, und auch der Gang zum WC ist nicht möglich. Denn jede kleine Öffnung in dem Vollschutz könnte zu einer Infektion führen.

Transport dauert schon einmal mehrere Stunden

Dabei kann ein solcher Transport schon einmal mehrere Stunden dauern. „Da steht einem das Wasser in den Stiefeln“. Das belastet nicht nur physisch, es belastet auch psychisch. Denn während der Fahrt müssen die schwerkranken Patienten umfangreich betreut werden. Dazu gehört das Einhalten spezieller Beatmungsmuster, die Medikamentengabe über bis zu sieben Perfusoren, die ständige Überwachung der Vitalwerte und auch eine regelmäßige Blutanalyse. Die Patienten werden seit der dritten Corona-Welle zum Teil in Bauchlage transportiert, weil das die Lunge entlastet.

„Der Großteil der Intensivpatienten, die um ihr Leben kämpfen, ist zwischen 40 und 60 Jahre alt“, weiß Marcel Schäfer. Manchmal fragt er sich: „Schaffen die das überhaupt noch?“ Mitunter ist er 24 Stunden lang im Einsatz, sein ITW fährt auch schon mal mehrere Tage lang durch. Im Monat, so rechnet er zusammen, kommen an die 15 000 Kilometer zusammen.

Das BRK Erlangen-Höchstadt muss aber auch noch andere Patientinnen und Patienten transportieren. Ein normales „Tagesgeschäft“ ist das aber längst nicht mehr. Denn sobald das Stichwort „Atemnot“ fällt, geht man von einem Corona-Fall aus. Dann müssen sich die beiden Besatzungsmitglieder eines Rettungswagens genau wie Marcel Schäfer in seinem ITW voll schützen.

"Das ist für uns schon belastend"

„Das ist für uns schon belastend, wir machen uns Sorgen, natürlich“, sagt der Notfallsanitäter Lucas Gürtler. „Wir tragen schon ein hohes Risiko und fragen uns oft: Waren wir genügend vorsichtig?“. Ein solcher Transport dauert wegen der umfangreichen Schutzmaßnahmen auch innerhalb von Erlangen bis zu drei Stunden. Nicht selten muss sogar ein freies Bett in einer Klinik außerhalb der Stadt gesucht werden. Das dauert natürlich. Und schließlich muss das Auto hinterher auch noch sorgfältig desinfiziert werden.

Es ist auch schon vorgekommen, dass bei einem „normalen“ Patienten erst nach dem Transport festgestellt wurde, dass er infiziert ist. „Man lebt darum anders, auch zu Hause, wenn man Kontakt zu Eltern, Großeltern und Freunden hat. Das belastet mich emotional sehr“, sagt Lucas Gürtler.

Auch Rettungsdienstleiter Thomas Heideloff sieht diese Mehrbelastung, diesen Stress, dem seine rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgesetzt sind. Mehrere seiner Kolleginnen und Kollegen haben sich schon infiziert, zwei Long-Covid-Fälle hat er auch dabei. Mit fünf bis acht Schichtausfällen muss er immer rechnen, die dann irgendwie kompensiert werden müssen.

Unterstützungsgruppe hilft im Notfall

Manchmal, wenn wie vor kurzem, von der Integrierten Leitstelle in Nürnberg sechs Covid-Verdachtsfälle gleichzeitig zum Transport angemeldet werden, gerät das System schon nahe an seine Grenzen. Denn es sind ja auch noch die „normalen“ Patienten wie Verletzte oder medizinische Notfälle, die versorgt und transportiert werden müssen.

Wenn es eng wird, wird die Unterstützungsgruppe informiert, die aus ehrenamtlichen Kräften besteht, und zusätzliche Fahrzeuge besetzen kann. 200 bis 300 Ehrenamtliche kann Heideloff „auf Knopfdruck“ aktivieren. „Ohne die geht es nicht, und dafür sind wir dankbar“.

Wie es aber weiter geht, wenn die Inzidenzwerte weiter steigen, mag er sich gar nicht vorstellen. „Die Situation ist jetzt schon grenzwertig“. Zwar ist er gut vorbereitet, Autos und Personal ist genügend vorhanden. Aber die Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist enorm. „Nach diesen zwei intensiven Jahren merkst du schon, dass sie müde werden, wenn sie täglich drei bis vier Covid-Patienten fahren müssen“, sagt Heideloff. Für die jetzige Situation macht er auch die „halbherzigen Entscheidungen der Politik“ verantwortlich. „Wir baden das nun aus.“

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