„Plötzlich gestorben“, geplant ermordet

9.2.2014, 12:00 Uhr
„Plötzlich gestorben“, geplant ermordet

© Harald Sippel

Der Erlanger Gynäkologe Rudolf Dyroff leitete ab 1920 erst die Frauenklinik und die Hebammenschule, 1933 wurde er außerordentlicher Professor und veranlasste bis 1944 nicht weniger als 434 Zwangssterilisationen an seinen Patientinnen – sogar eine der Methoden wurde nach ihm benannt.

„Plötzlich gestorben“, geplant ermordet

Ab 1950 wurde er wieder als Leiter der Frauenklinik bestellt, emeritiert wurde er 1961, ohne jemals belangt worden zu sein. Sein „Kollege“ Berthold Kihn, Psychiater und Neurologe, fiel den Nazis als Autor des Aufsatzes „Die Ausschaltung der Minderwertigen in der Gesellschaft“ auf, in dem er die Tötung jener Menschen propagierte. Nach „Lehrjahren“ in Jena wurde er 1952 Honorarprofessor in Erlangen, ein Verfahren gegen ihn wurde „mangels persönlicher Schuld“ eingestellt.

Zwei Lebensläufe aus der Ausstellung „Plötzlich gestorben – NS-Rassenhygiene 1933 bis 1945“ im Stadtarchiv Erlangen, die bis zum 28. März zu sehen ist und die Auslöschung sogenannten lebensunwerten Lebens und damit den Tod Hunderttausender zum Inhalt hat.„Plötzlich gestorben“ wurde in diesen Jahren häufig auch in Erlangen – fast 1000 aktive Morde oder Tötungen durch Unterlassung (viele Insassen der Heil- und Pflegeanstalt beispielsweise verhungerten) sind dokumentiert. Die ideologischen Hintergründe, das verbrecherische Vorgehen mit eigenen Tötungsanstalten, aber auch die Folgen für Betroffene wie Täter zeigt diese Ausstellung.

Drei „Veranstalter“

Erschütternde Dokumente aus der Erlanger „Hupfla“, aber auch aus den mittelfränkischen Anstalten in Bruckberg bei Ansbach, aus der Diakonissenanstalt in Neuendettelsau. Dort wurden von 1200 „Insassen“ rund 900 umgebracht. Und die „Rassenhygieniker“ und Chefärzte, die als Richter am „Erbgesundheitsobergericht“ tausende „biologisch Minderwertige“ für das Töten selektierten, kamen in der jungen Bundesrepublik erneut zu Ansehen und erhielten Große Bundesverdienstkreuze.

Diese Geschichte noch einmal beklemmend lebendig zu machen ist das Verdienst dieser Ausstellung, an der drei Institutionen mitgearbeitet haben. Das ist einmal der Dachverband der Zentren für Selbstbestimmtes Leben in Deutschland (ISL), für den die Erlanger Menschenrechtsaktivistin Dinah Radtke die Ausstellung für Erlangen umsetzte. Möglich wurde dies aber erst durch die Zusammenarbeit mit dem Verein zur Förderung alternativer Medien (Gruppo diffuso) in der Feldstraße 22 und der Arbeitsgemeinschaft Bund der Euthanasiegeschädigten und Zwangssterilisierten in Deutschland. Die Gruppo diffuso hatte schon bei dem Veranstaltungszyklus zur Bücherverbrennung wertvolle Erinnerungsarbeit geleistet – man könnte auch sagen: Verschüttetes (und nicht Aufgearbeitetes) wieder ans Tageslicht geholt.

Die Bremer Inklusions-Pädagogin Swantje Köbsell hatte in ihrem Eröffnungsvortrag nicht nur an die Geschichte, sondern auch an die Aktualität eugenischen Denkens erinnert, hatte nachweisen können, dass Eugenik- (und Euthanasie-)Debatten keineswegs nur „historisch“, sondern ziemlich aktuell sind, auch wenn sie heute andere Namen tragen: Präimplantationsdiagnostik, vorgeburtliche Selektion und sogenannte praktische Ethik, wie sie der Utilitarist Peter Singer predigt.

Zur Ausstellung gibt es eine Veranstaltungsreihe, die ebenfalls im Stadtarchiv stattfindet. So spricht am Dienstag, 11. Februar, um 19.30 Uhr Prof. Heiner Bielefeldt über „Die Zuschreibung ,unwerten Lebens‘ – eine bleibende Versuchung“. Am Dienstag 25. Februar schließt sich zur gleichen Zeit ein Vortrag von Prof. Andreas Frewer, zum Thema „,Euthanasie‘ als ,guter Tod‘? Zur Geschichte und Ethik der Sterbehilfe-Debatten“ an. Weitere Vorträge von Opfer-Angehörigen und zur „Psychiatrie in Erlangen im Nationalsozialismus“ von Hans-Ludwig Siemen schließen sich im März an. In der Ausstellung gibt es zudem eine Hörstation, es wird auch eine Dokumentations-DVD gezeigt. Das Stadtarchiv stellt außerdem Dokumente aus dem Bezirksklinikum Erlangen in Vitrinen aus.

Ausstellungsführungen finden am Montag, 10., und Montag, 24. Februar, jeweils um 12.30 Uhr statt. Das Stadtarchiv in der Luitpoldstraße 47 hat montags von 8 bis 12 und von 14 bis 18 Uhr geöffnet (Di. 8–12 und 14–16, Mi. 8–12, Do. 8–14 und freitags 8–12 Uhr), der Veranstaltungsraum hat eine Induktionsschleife. Der Eingang für RollstuhlfahrerInnen befindet sich auf der Rückseite des Gebäudes. Alle Veranstaltungen werden auch in Gebärdensprache übersetzt.

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