Triller und Trommelwirbel

4.11.2009, 00:00 Uhr

Die Liebhaber klassischer Musik «in den besten Jahren» haben es tatsächlich gut: Sie haben die Avantgarde erlebt, den damals radikalen Freiheitsdrang, der über das gewagte Experiment bis zur Destruktion jeglicher Struktur führte. Heute können Zuhörer wie Komponisten die Früchte dieser unverzichtbaren Epoche ernten, wie beim Konzert des «Ars Nova Ensembles» unter der Leitung von Werner Heider in der Konzertwerkstatt des Erlanger Musikinstituts deutlich wurde.

Natürlich geht der Besucher schon mit einer gesteigerten Offenheit an die Musik der Gegenwart heran, mit lauernder Neugier und in der lustvollen Erwartung, überrascht zu werden. Frank Michael Beyer verdoppelt in seiner Musik für Kammerensemble «de lumine» seine musikalischen Ideen, bannt das Ohr mit der Parallelführung von Violine (Valerie Rubin) und Saxofon (Günter Voit), Querflöte (Marion Ludwig) und Cello (Werner Traube), Schlagzeug (Andrea Schneider) und Klavier (Paul Sturm). Unmerklich verdichtet sich das Werk zum intensiv dargebotenen Bratschensolo (Reingard Krämer), um sich dann wieder zu erregtem Ensembleklang aufzubauen. Hochromantisch bewegt sich das Duo aus Viola und Geige auf dem Klangteppich des Saxofons.

Feinste Abschattierung

Günter Voith zelebrierte im Anschluss Giacinto Scelsis «drei Stücke» für Sopransaxofon. Mit technischer Brillanz reiste er in den Mikrokosmos nur weniger Töne, der durch feinste Abschattierung in Rhythmik und Dynamik, verziert durch Vorschläge und Triller, Emotionen von Beschaulichkeit bis zur Aggression beinhaltet. Die aufgeregten Tonsprünge im dritten Stück verleiten zum ironischen Grinsen über wichtigtuerische Vielschwätzerei, die auf einem leeren Luftton endet . . .

Der «Traumgesang» von Alfred Thomas Müller erlebte an diesem Abend seine Uraufführung und der Komponist erklärte, er habe sich als Grundprinzip dieser Komposition das Auseinanderdriften der Tonhöhen auf bis zu sechs Oktaven gesetzt. Wer da Klangteppiche erwartete, lag falsch, viel Aktion fand statt, äußerste Präzision wurde dem «Ars Nova Ensemble» abverlangt, das mit überzeugender Sicherheit haarigste Rhythmen bewältigte und sogar auf Vierteltonebene noch blitzsaubere Intonation bot. Dieser Traumgesang, dessen auseinanderdriftende Tonhöhen stets zu einanderdriftenden Strukturen führten, ruhte stets in ausgewogener Balance, die manchmal so fragil wie ein Mobile schien.

Perfekte Technik

Horst Lohse beschrieb sein Duo für Violine und Bratsche «Unterwegs» als musikalische Darstellung partnerschaftlichen Zusammenlebens. Auch hier beeindruckte die außergewöhnlich gelungene Umsetzung in Komposition und Ausführung. Rubin und Krämer, beide mit perfekter Technik ausgestattet, begeisterten durch Gemeinsamkeit im Ausdruck und sprühende Spielfreude. Synchronität von der Bewegung bis zum Atem ermöglichten wiederum Individualität im kraftvollen Körper der Bratsche und dem exaltierten Gestus der Geige.

Hatte Werner Heider mit dem «Ars Nova Ensemble» in seiner wissenden, in aller Zurückhaltung permanent präsenten, Struktur gestaltenden Weise Werke von Kollegen zu Gehör gebracht, so krönte er den Abend mit der Uraufführung seines «Händel-Disputs» (2009). Bei aller Verehrung hält Heider Distanz zum großen Jubilar und während man in den ersten Takten noch Händel am Klavier wähnt, provoziert das Ensemble sehr schnell mit einem schrägen Menuett, erklingen vom Schlagzeug militärische Trommelwirbel, surrt die Querflöte durch den Ansatz Händel-typischer Läufe der Streicher. Rabiate Triller setzen Grenzen der Bewunderung, bevor das Glockenspiel versöhnlich säuselt und die Flöte zartes Schmalz glänzen lässt. Das Saxofon bewährt sich als Basso continuo, swingt mit Heider den Becken-silbrigen Jazz und erschrickt, als das Piano, das gerade noch eine Referenz an Händel begann, jäh vom Schlagzeug gestoppt wird. Man darf vermuten, dass Händel diese Art des Disputs mehr goutiert hätte als jede Form

glatter Anbiederung.

Gespeist von der Energie dieses spannenden, anregenden Abends bricht sich lang anhaltender, begeisterter Applaus Bahn. CORA UITTING