Verkehrswende? Bilanz zu über einem Jahr E-Scooter in Erlangen

6.5.2021, 20:00 Uhr
Verkehrswende? Bilanz zu über einem Jahr E-Scooter in Erlangen

© Christoph Soeder/dpa

Die Utopie: Die Menschen könnten in Zukunft ihr Auto stehen lassen oder keines mehr kaufen, stattdessen den öffentlichen Nahverkehr nutzen und für den Restweg zwischen Startort und Haltestelle beziehungsweise Haltestelle und Zielort – genannt die erste beziehungsweise letzte Meile – die elektrischen Roller nehmen. Nach knapp über einem Jahr kann man für Erlangen festhalten: Der E-Scooter ist nicht dabei, signifikant zur Verkehrswende beizutragen.

Die Nutzung

Wer die Roller mieten möchte, muss die App des Anbieters nutzen. So erfahren Nutzer auch, wo das nächste freie Fahrzeug abgestellt ist. Das Einsatzgebiet der E-Scooter umfasst die Innenstadt und angrenzende Teilbereiche bis zu den Stadt- beziehungsweise Bebauungsgrenzen, nicht aber beispielsweise Eltersdorf, Frauenaurach oder Tennenlohe. Hauptsammelstellen sind am Hauptbahnhof vor dem Subway und an der Nürnberger Straße vor dem Lebenshilfe Laden.

Die Roller können nach der Fahrt einfach abgestellt werden, aber nicht auf Grünflächen, Spielplätzen oder in der Fußgängerzone. Rettungswege, Feuerwehrzufahrten, Ein- und Ausfahrten und Flächen zur Sicherung der Barrierefreiheit müssen frei bleiben.

Die Kosten

Die Entsperrungsgebühr bei Tier beträgt 1 Euro, jede Minute auf dem Roller kostet 19 Cent. Günstiger wird es, wenn Nutzer Tagespässe buchen oder Abonnements abschließen. Voi verlangt eine Entsperrungsgebühr von 99 Cent, pro Minute 19 Cent. Wer sich registriert und mit Helm auf dem Roller fotografiert, bekommt Rabatt. Ab einer gewissen Anzahl wird der Preis für alle Fahrten um 10, 20 oder 40 Prozent gesenkt. Ein Monatspass kostet derzeit 39 Euro, ein 24 Stunden-Pass 4,99 Euro (statt 9,99). Wer seine Fahrt in einer offiziellen, in der App grün markierten Sammelstelle beendet, erhält 25 Cent vom Fahrpreis zurück. Bezahlt wird bei beiden Anbietern per Kreditkarte, Paypal oder Gutschein.

Die Fahrerlaubnis

Zum Fahren von E-Scootern ist keine Prüfung, aber bei Privatpersonen ein Mindestalter von 14 Jahren erforderlich. Mietfahrzeuge dürfen in der Regel erst ab 18 Jahren genutzt werden. Weiterhin gelten die gleichen Vorschriften wie beim Führen eines PKW, auch in Bezug auf Drogen und Alkohol. Das Tragen eines Helmes ist nicht vorgeschrieben, wird aber empfohlen.

Die Umwelt

So praktisch und agil die kleinen Flitzer auch sein mögen – an kritischen Einwendungen von offizieller Seite mangelt es nicht, vor allem, was die Umweltbelastung etwa bei Produktion und Wartung betrifft. So stellt Simon Hiller aus der Abteilung Kommunikation des ADAC Nordbayern fest: "Generell haben Beobachtungen des ADAC aus dem Sommer letzten Jahres gezeigt, dass durch E-Scooter keine nachhaltige Entlastung von Umwelt und Verkehr in deutschen Städten zu verzeichnen war. Sie ersetzen in der Regel keine Autofahrten, sondern Wege zu Fuß, mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln."

Auch das Umweltbundesamt übt Kritik. Da die größten Umweltbelastungen von E-Scootern durch deren Produktion, insbesondere der Produktion der zumeist enthaltenen lithiumhaltigen Akkus, verursacht würden, sei die Lebensdauer der Roller ein wichtiger Aspekt zur Gesamtbewertung ihrer Umweltfreundlichkeit. "Größtenteils handelt es sich bei den Akkus in E-Scootern um Lithium-Ionen-Akkus. Akkus dieser Art können Kobalt, Nickel, Kupfer, Aluminium und andere Rohstoffe enthalten, deren Abbau häufig mit Belastungen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt einhergeht."

David Krebs, PR-Manager bei Tier erklärt dazu, dass die Roller des Unternehmens mit austauschbaren Batterien funktionieren: "Hierdurch wurde das tägliche Hin-und-her-Fahren der Scooter zum Aufladen in Lagerhäuser überflüssig. Lokale Teams können seither leere Batterien direkt vor Ort durch geladene Batterien ersetzen und so Fahrtwege deutlich reduzieren. Geladen werden die Batterien in dem jeweiligen Lagerhaus der Stadt." Die E-Scooter seien so konzipiert, dass alle Teile ausgetauscht und repariert werden können. Im Mietsystem würden die Fahrzeuge mindestens drei Jahre genutzt und danach an andere Unternehmen oder Privatkunden verkauft.

Caspar Spinnen, Unternehmenssprecher bei Voi, weist auf das Baukastensystem der eingesetzten Roller hin. Die Batterien seien austauschbar. "Im Schadensfall oder bei Verschleiß können einzelne Teile in unserem Wartungszentrum in der Nürnberger Innenstadt abmontiert und erneuert werden. Für den Fall, dass ein Teil irreparabel ist, können wir so garantieren, dass der gesamte Rest des Scooters weiter verwendet werden kann." Die Fahrzeuge hätten eine Lebenserwartung von mindestens fünf Jahren.

Die Mitarbeiter

Zu den Aufgaben der Rollersammler gehört es, die Fahrzeuge für den täglichen Verleih einsatzfähig zu machen, sie also im Geschäftsgebiet des Verleihers – meist nachts – mit einem PKW einzusammeln, die Batterien aufzuladen zu einem bestimmten Zeitpunkt am nächsten Tag an vorher festgelegten Orten wieder auszuliefern. Beide Anbieter geben an, ausschließlich mit festangestelltem Personal zu arbeiten, das deutlich über Mindestlohn verdiene.

Das Fahrverhalten

Nach Auskunft des Ersten Polizeihauptkommissars Martin Taschner aus der Polizeiinspektion Erlangen Stadt hätten sich die Fahrer mit eigenen und geliehenen E-Scootern weitgehend unauffällig ins Verkehrsgeschehen integriert. Beschwerden, etwa wegen falsch abgestellter Roller auf Rettungswegen, Zufahrten oder in Grünanlagen hielten sich bisher in Grenzen. Unfälle mit leichteren Personenschäden bewegten sich im einstelligen Bereich. Allerdings: Deutlich über 100 Fahrer fielen bei Polizeikontrollen durch eine auffällige oder rücksichtslose Fahrweise auf, die überwiegend auf Alkohol- oder Drogenmissbrauch zurückzuführen war. Vereinzelt wurden auch Diebstähle von E-Scootern angezeigt.

Das Fazit der Stadt

Die Verwaltung der Stadt zieht nach knapp über einem Jahr Vermietung von E-Scootern in Erlangen ein positives Fazit: "Nach den ersten Auswertungen der Anbieter zeigt sich, dass der Start in Erlangen sehr erfolgreich verlaufen ist. Beide Anbieter beschreiben eine überdurchschnittliche Annahmequote im deutschen Städtevergleich."

Zudem zeige sich, dass sich Nutzende der E-Scooter häufig außerhalb des Betriebsgebietes bewegen und aufgrund der fehlenden Möglichkeit, den Ausleihvorgang zu beenden, anschließend wieder in das Betriebsgebiet zurückkehren. "Aus diesem Grund wurde mit beiden Anbietern eine schrittweise Ausweitung des Betriebsgebietes vereinbart. Damit einher geht eine Erhöhung der Fahrzeug-Anzahl."

Die Stoßzeiten

Wie viele E-Scooter werden in der Spitze gleichzeitig ausgeliehen? Bei dieser Frage schweigen sich beide Anbieter aus. Laut Voi-Deutschlandchef Claus Unterkircher sind die meisten E-Scooter des Unternehmens zwischen 14 und 17 Uhr im Einsatz, während des Berufsverkehrs in den Abendstunden "ist die Nutzung konstant hoch". Eine weitere Stoßzeit sei morgens zwischen 6 und 7 Uhr. Tier-Sprecher David Krebs gibt ähnliche Stoßzeiten wie der Mitbewerber an, zudem seien die Roller am Wochenende sehr gefragt.

Die Zukunft

Nach Angaben des Unternehmens sind momentan rund 250 Tier-Scooter in der Stadt im Einsatz. Voi-Deutschlandchef Claus Unterkircher sagt, dass die Zahl variiere, im Winter 2020/2021 habe sie bei etwa 100 gelegen. Jetzt, zum Frühlingsbeginn, habe Tier-Sprecher David Krebs bemerkt, "dass der Bedarf an individuellen Mobilitätsoptionen weiter steigt. Daher können wir uns durchaus vorstellen entsprechend der steigenden Nachfrage und in enger Absprache mit der Stadt Erlangen unsere Flotte schrittweise zu vergrößern und auch das Geschäftsgebiet zu erweitern."

Auch Unterkircher von Voi sieht Ausbaumöglichkeiten: "Unser langfristiger Plan ist es, mit dem nun einsetzenden Frühling in Rücksprache mit dem Verkehrsplanungsamt das Geschäftsgebiet im Westen um die beiden Erweiterungsschritte nach Alterlangen und Büchenbach sowie auf die vereinbarten 250 E-Scooter zu erweitern. Weiteres Potenzial sehen wir außerdem im Süden, zum Beispiel in Tennenlohe."

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