Menschen und Puppen

Viel Figurentheater auf Erlanger Plätzen

19.9.2021, 12:30 Uhr
Mensch in milchweißer Kugellampe: Der französische Künstler Yannick Stasiak trug mit seiner Performance "Roundabout" auf dem Besiktas-Platz zum Amusement des Publikums bei. 

© Harald Hofmann, NN Mensch in milchweißer Kugellampe: Der französische Künstler Yannick Stasiak trug mit seiner Performance "Roundabout" auf dem Besiktas-Platz zum Amusement des Publikums bei. 

Häppchen- und stückchenweise hat es nun ja doch noch geklappt: Das Internationale Figurentheaterfestival konnte in diesem Jahr aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht in der gebündelt-konzentrierten Live-Festival-Manier stattfinden.

Stattdessen durften die Künstler in über den Sommer verteilten verschiedenen Zeitblöcken, zuerst im virtuellen Raum, dann unter freiem Himmel und häufig in Eins-zu-Eins-Begegnungen, in für kleine Zeitfenster entwickelten Performances eine Ahnung ihres Könnens demonstrieren. Wobei die Puppenspieler ja längst nicht mehr als Fädenzieher agieren, sondern sich selbst zum Objekt machen beziehungsweise mit der Puppe verschmelzen. Zwei Beispiele dieser Anmutung konnte man in der Innenstadt bewundern.

Völlig verkrümmt

Zu den ansprechendsten Errungenschaften der Beleuchtungstechnik gehören die milchweißen Kugellampen. Am Besiktasplatz watschelt nun eine solche Kugel die Bogenpassage hinab und wackelt auf den Springbrunnen zu. Wir entdecken zwei nackte Beine an ihrer Unterseite. Tatsächlich, da drin steckt ein Mensch! Aber wie passt der da bloß hinein? Völlig verkrümmt muss er sich da drin eingerichtet haben, sein Sichtvermögen durch den Kunststoff muss sehr beschränkt sein. Naturgemäß ist auch die Reichweite seiner Schritte höchst limitiert, was dem Gang eine gewisse Komik verleiht, zur Gaudi der kleinsten Zuschauer.

Gelungene Interaktion zwischen Mensch und Puppe: Der Österreicher Christoph Bochdansky präsentierte auf dem Neustädter Kirchenplatz ein Kasperletheater für Intellektuelle. 

Gelungene Interaktion zwischen Mensch und Puppe: Der Österreicher Christoph Bochdansky präsentierte auf dem Neustädter Kirchenplatz ein Kasperletheater für Intellektuelle.  © Harald Hofmann, NN

Schließlich lässt sich der Kugelmensch auf einer Plane nieder und dreht sich herum. Die Öffnung zeigt nach oben. Ein Fuß streckt sich empor, später eine Hand. Das Rund wälzt sich zur Seite. Nun ragt aus der Öffnung ein Arm. Assoziationen werden freigesetzt. Ist dies ein menschlicher Einsiedlerkrebs? Ein Autist in seiner Denk- und Gefühlsblase? Ein Verwandter des Kugelmonsters aus dem Science-Fiction- Klassiker „Dark Star“? Oder gar die Umsetzung eines Dali-Gemäldes, worin ein Mensch aus dem aufplatzenden Globus schlüpft?

Über all diese Fragen kugelt das Geschöpf hinweg. Endlich zeigt sich ein Gesicht in der Öffnung, wirft staunende Blicke. Dann schiebt sich die Kugel in die Höhe, entblößt Beine, Hüfte, Bauch, Brust und endlich den ganzen Menschen, nämlich Yannick Stasiak. Der französische Künstler steht nun, am Ende seiner Performance „Roundabout“, wie ein neugeborenes Kind in der Gegend, sieht sich um, als sähe er alles zum ersten Mal, planscht durch den Springbrunnen und zieht von dannen. Übrig bleibt wie ein Hohltier am Strand die leere Plastikkugel.

Wortreicher Vortrag

Von der wortlosen Pantomime zum wortreichen Vortrag „Das Leben misst dir deinen Teufel an“: Der Österreicher Christoph Bochdansky gibt am Neustädter Kirchenplatz absurde Fabeln zum Besten. Seine Figuren sind übergroße hagere Geschöpfe im Lumpengewand (darin Bochdansky steckt) mit unverhältnismäßig kleinem Kopf, dessen ausgeprägte Mimik von der ausgestreckten Hand bewegt wird.

Mit krächzender Stimme erzählen die Dämonen und Nachtschatten Geschichten von der Vergeblichkeit. Etwa vom Apfel, der nicht am Boden verfaulen will und sich lieber am Apfelbaum aufhängt. Oder von Robinson Crusoe, dem die Eingeborenen die Unterhose klauen und sich darüber gegenseitig umbringen – was der wahre Grund für Robinsons Einsamkeit ist.

Bochdansky singt auch ein Lied in deutsch-franko-russischem Kauderwelsch, wobei auf einmal die Puppe den Kopf ihres Spielers in der Hand hält. Ein prägnanter Schockmoment. Ein Kasperletheater für Intellektuelle, nach zwanzig Minuten schon wieder vorbei.

www.figurentheaterfestival.de

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