Trauriges Jubiläum

Vor 80 Jahren startete der Überfall auf die Sowjetunion - mit Herzogenaurachern

24.6.2021, 10:25 Uhr
Karl Ruhmann (links) und "Sepp" Hildel (rechts) mit ihren Müttern und einer Bekannten (Mitte) kurz vor dem Abmarschbefehl an die Ostfront: Junge Männer, die in einem gnadenlosen Angriffskrieg zu dessen Opfern wurden.

© Gotthard Lohmaier Karl Ruhmann (links) und "Sepp" Hildel (rechts) mit ihren Müttern und einer Bekannten (Mitte) kurz vor dem Abmarschbefehl an die Ostfront: Junge Männer, die in einem gnadenlosen Angriffskrieg zu dessen Opfern wurden.

Die Propagandamaschinerie der gleichgeschalteten NS-Medien gab die Tonlage vor: Lobte die "Bayerische Ostmark", damals amtliche Tageszeitung für den Kreis Fränkische Schweiz, Forchheim, Gräfenberg, Herzogenaurach und Höchstadt, noch am 11./12. Januar 1941 die "Zusammenarbeit mit Moskau (...) im Geiste gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens", so titelten die Schlagzeilen am 23. Juni von der "Kampffront gegen den Bolschewismus", vom "Moskauer Doppelspiel" und "unerhörten Grenzverletzungen". Wenig später sprach das Presseorgan vom "Kreuzzug Europas" und der "Verteidigung der tausendjährigen Werte seiner Kultur". Außerdem wurde das russische Volk diffamiert: Beispielsweise waren dessen Soldatinnen plötzlich "Sowjet-Flintenweiber", Mördertypen und Kommissaren-Liebchen" beziehungsweise "bestienhafte Geschöpfe". Adolf Hitler, der 1939 den Nichtangriffspakt mit Stalin nur deshalb schloss, um die Westmächte zu verunsichern, wollte nun seinen nie aus den Augen verlorenen Plan vom "Lebensraum im Osten" verwirklichen, das Judentum dort ausrotten und die "slawischen Untermenschen" unterjochen.

Vom Leid der Opfer und ihrer Angehörigen

Das "Unternehmen Barbarossa", so der militärische Deckname des Feldzuges gegen die UdSSR, kostete etwa 30 Millionen Menschen das Leben, ließ andere verkrüppelt oder traumatisiert zurück. "Das blutige Finale zweier Jahrhundertverbrecher" – so der Titel eines Spiegel -Artikels von 2011 – teilte am Ende Europa und Deutschland, es sorgte für Flucht, Vertreibung und gewaltsame Umsiedlung, verursachte unendliches Leid auf beiden Seiten. Herzogenauracher Beerdigungslisten beweisen, dass hier bereits im Oktober 1941 sogenannte "Beute-Russen" gestorben sind, die in Baracken auf dem Maifeld (heutiger Goldberganger) untergebracht waren und von dort aus zu täglichen Arbeitseinsätzen marschierten.

Die Nazipropaganda in Form der "Bayerischen Ostmark" rief zu einer "Kampffront gegen den Bolschewismus" auf und hetzte die Deutschen gegen Russland auf.

Die Nazipropaganda in Form der "Bayerischen Ostmark" rief zu einer "Kampffront gegen den Bolschewismus" auf und hetzte die Deutschen gegen Russland auf. © Stadtarchiv Herzogenaurach

Hunger und grausame Strafen

Sie wurden meist härter angefasst als die Fremdarbeiter aus dem Westen, litten oft an Hunger und wurden grausam bestraft, wenn sie gegen einfache Regeln verstießen. Andererseits häuften sich in deutschen Zeitungen ab Ende 1941 die Todesanzeigen von der Ost-Front, auch im Lokalteil der "Bayerischen Ostmark", wo von Soldaten berichtet wird, die irgendwo am Don, am Dnjepr, im Kaukasus oder auf der Krim für "Führer, Volk und Vaterland den Heldentod starben".

Ab Herbst 1941 häuften sich die Anzeigen vom "Heldentod für Führer, Volk und Vaterland" für jene meist jungen Soldaten, die im Kampf gegen Russland fielen.

Ab Herbst 1941 häuften sich die Anzeigen vom "Heldentod für Führer, Volk und Vaterland" für jene meist jungen Soldaten, die im Kampf gegen Russland fielen. © Stadtarchiv Herzogenaurach

Mit 20 Jahren gefallen

"Im blühenden Alter von fast 21 Jahren" heißt es zum Beispiel bei Georg Fink, "kurz nach seinem 20. Geburtstag" bei Matthias Maydt. Welch eine Tragödie für all die betroffenen Familien, wenn der Überbringer der schlimmen Nachricht ins Haus kam oder die Feldpost plötzlich ausblieb und sich die Spur des geliebten Menschen auf immer verlor. Wie bei Katharina und Georg Ruhmann, die den letzten Brief ihres Sohnes Karl im Januar 1943 erhielten, danach alles unternahmen, um wenigstens Gewissheit zu erhalten. Vergeblich, weder das Rote Kreuz noch der Türkische Halbmond, weder der Reichs-Rundfunk noch der russische Leiter für Kriegsgefangene in Berlin konnten ihnen helfen. Der Vermisste wurde 1958 vom Amtsgericht Erlangen für tot erklärt, nachdem wenige Jahre vorher der Rest der deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR zurückgekommen war.

Der Ostfront entkommen

Zum Beispiel im Oktober 1953 der Niederndorfer Georg Händel oder im Januar 1954 der Herzogenauracher Oskar Kern. Dem Inferno an der Ostfront entging Karl Ruhmanns Schulkamerad "Sepp" Hildel, die gemeinsam den Arbeitsdienst in Wien absolvierten, bevor sie in eine Division mit Marschbefehl Stalingrad eingereiht wurden. Kurz vor dem Abrücken erkrankte "Sepp" Hildel an Malaria, weshalb er ins Lazarett zurückverlegt werden musste. Das hat ihn wahrscheinlich vor dem "Heldentod" bewahrt.

Ab Herbst 1941 häuften sich die Anzeigen vom "Heldentod für Führer, Volk und Vaterland" für jene meist jungen Soldaten, die im Kampf gegen Russland fielen.

Ab Herbst 1941 häuften sich die Anzeigen vom "Heldentod für Führer, Volk und Vaterland" für jene meist jungen Soldaten, die im Kampf gegen Russland fielen. © Gotthard Lohmaier, NN

Auch andere junge Herzogenauracher kehrten aus Russland zurück, allerdings schwer verwundet wie Fritz Maier, Sohn des späteren Nachkriegsbürgermeisters, dessen rechtes Bein nach einem Granattreffer amputiert werden musste. Oder traumatisiert wie Michael Nix, der als 17-Jähriger 1944 in Ostpreußen von den Russen gefangen genommen und in ein Straflager weit hinter Moskau verschleppt wurde. Die vielen ausgemergelten Leichen, die er begraben musste, die überfüllten stickigen Gefängnisräume, die bisweilen nicht einmal zur Notdurft verlassen werden durften, Hunger, Typhus oder Läuse hat er bis an das Lebensende nicht vergessen können.

Rote Armee rächte sich

Die Rote Armee, spätestens nach dem Stalingrad-Debakel der deutschen Wehrmacht 1943 im unaufhaltsamen Gegenangriff, rächte sich an vielen Orten auf ähnlich unmenschliche Weise, wie es der Feind vorgemacht hatte. "Kalter Krieg" und Millionen von Flüchtlingen beziehungsweise Vertriebenen aus Ostpreußen, Schlesien oder dem Sudetenland erinnerten noch viele Jahre an den Weltenbrand, den Hitler-Deutschland angezettelt hatte.

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