Zu Besuch bei Suárez: So lebt die Schnappschildkröte heute

28.8.2017, 05:54 Uhr
Suárez lebt mit seinem Harem in einem sumpfigen Tempel in der Auffangstation. Wer ihn sehen will, müsste das Wasser ablassen. Weil das dann doch zu weit geht, zeigen die Pfleger ein kaum weniger stattliches anderes Exemplar.

© Roland Englisch Suárez lebt mit seinem Harem in einem sumpfigen Tempel in der Auffangstation. Wer ihn sehen will, müsste das Wasser ablassen. Weil das dann doch zu weit geht, zeigen die Pfleger ein kaum weniger stattliches anderes Exemplar.

Es ist nicht so, dass Suárez ein schüchterner Kerl wäre. Wer wie er ein paar Jahrzehnte auf dem Panzer hat, wobei sein Alter niemand so ganz genau kennt, der ist über Schüchternheit erhaben. Dass er sich dennoch nicht blicken lässt, liegt in der Natur seines Wesens. Schnappschildkröten tauchen gerne unter. Da ist Suárez keine Ausnahme.

Vor einiger Zeit allerdings war das ganz anders gewesen. Da hatte sich Suárez eher unfreiwillig mitten ins Rampenlicht manövriert, narrte zwei Jahre lang die Polizei, weil er sich immer mal wieder rund um den Dechsendorfer Weiher blicken ließ. Schließlich konnte ihn eine Streife nachts im nahegelegenen Röttenbach dingfest machen.

Einer der Beamten hatte Suárez kurzerhand gepackt, in den Streifenwagen und von dort in die Ausnüchterungszelle der Polizeiinspektion Höchstadt/Aisch verfrachtet. Ein nicht unbedingt empfehlenswertes Vorgehen. Denn Chelydra serpentina, wie Schnappschildkröten korrekt heißen, kann mit seinen kräftigen Kiefern und seinem überaus beweglichen Kopf gewaltig austeilen und tiefe Wunden schlagen. Weil sie zudem als aggressiv gelten, dürfen die bissfesten Nordamerikaner seit 1999 in Deutschland nicht mehr von Privatleuten gehalten werden. Sie tun es natürlich trotzdem.

Und wenn ihnen dann so eine Schildkröte mit ihrem Erwachsenengewicht von gut 15 Kilogramm und einer Panzerlänge von 45 Zentimetern über den Kopf wächst, setzen sie bisweilen die Tiere einfach aus. Suárez dürfte es ähnlich ergangen sein – auch wenn gar nicht so sicher ist, dass der Suárez von Röttenbach auch der Suárez von Dechsendorf ist. "Es kann gut sein, dass es sich um zwei verschiedene Exemplare handelt", sagt Patrick Boncourt.

Zwar könnten die Schnappschildkröten grundsätzlich auch den fränkischen Winter überleben – was nebenbei bemerkt zu ihrem Verbot beigetragen hat, weil sie als potenziell invasiv gelten, als ausbreitungsfähig. Dass es aber tatsächlich auch schon so gekommen ist, hat die Wissenschaft noch nicht bestätigt.

Einzigartige Anlage

Patrick Boncourt kennt sich aus. Er ist Biologe und arbeitet in der Münchner Reptilienauffangstation; und weil die Anlage einzigartig ist im Freistaat, hat Suárez seinen Weg hierher gefunden. Die ersten Wochen verbrachte er in der Innenstadt, genauer: im Keller der tiermedizinischen Fakultät der Universität. Dort residiert der gemeinnützige Verein seit vielen Jahren mehr schlecht als recht, weil alles nicht nur improvisiert wirkt, sondern auch improvisiert ist.

Demnächst soll nahe Freising ein Neubau entstehen für rund zehn Millionen Euro, der das alles in geordnete Bahnen lenken könnte. Klingt erst einmal nach einem Haufen Geld. Doch angesichts der gut 1300 Tiere, um die sich der Verein kümmert, relativiert sich das. Zumal die meisten der Spinnen und Schlangen, Echsen und Schildkröten den Rest ihres Lebens in der Auffangstation verbringen werden. "Was bei uns in den Terrarien und Wasserbecken sitzt, war mal der Trend vor 20 Jahren", sagt Boncourt.

Echse in Baumarkt gekauft

So ist der Mensch: Wenn es als schick gilt, sich eine Kornnatter ins Wohnzimmer zu setzen, eine Schmuckschildkröte oder eine Bartagame, dann macht er das auch. Und wenn er ihrer dann überdrüssig ist, dann schmeißt er sie wieder raus. Das kann sehr schnell gehen, erzählt Patrick Boncourt, der sich bis heute über jene Familie ärgert, die sich im Baumarkt eine Echse kaufte. Und sie nur drei Tage später bei der Auffangstation abgab. "Die macht ja gar nichts", hätten sich die Leute damals empört, empört sich Boncourt.

Also wuselt und windet es sich überall in den Räumen der Station, sind die Terrarien bis unter die Decke gestapelt, erinnern kleine Zettel an ihren Scheiben, wie gefährlich der Inhalt sein kann. Die Sandrasselotter zum Beispiel, ein eher unscheinbares, zierliches Geschöpf, ist so giftig und so weit verbreitet, dass auf ihre Kappe die meisten Todesfälle durch Schlangenbisse gehen.

Nur Profis angestellt

Auch deshalb arbeiten auf der Station nur Fachtierärzte und ausgebildete Zootierpfleger, sind sie alle fest angestellt, muss der Verein ohne Ehrenamtliche auskommen. Weil nur die Profis wissen, wie sie sich einer Schlange nähern müssen. Und wie beispielsweise einer Schnappschildkröte. So war das auch bei Suárez.

Sie haben ihn erst einmal untersucht in der Innenstadt, mit Medikamenten versorgt und quasi wieder auf die Beine gestellt. Dann durfte er umziehen, hinaus nach Freimann. Dort stehen zwei Gewächshäuser, die der Verein angemietet hat – eines für die Landschildkröten, das andere für Reptilien, die das Wasser bevorzugen. Dort lebt Suárez in einem ziemlich großen, ziemlich grünen, ziemlich trüben Tümpel in einem ziemlich tropisch aufgeheizten Gewächshaus.

Ein paar weibliche Exemplare seiner Gattung leisten ihm Gesellschaft. Und ein Mississippi-Alligator namens Fred, den die Polizei vor ein paar Jahren bei einem wohl eher durchgeknallten Professor sichergestellt hat. Für Suárez ist das nicht ungewöhnlich: Auch er stammt ursprünglich vom Mississippi, wo sich seine Artgenossen friedlich das Wasser teilen mit den Alligatoren, mit Schlangen und mit Geierschildkröten.

Auch sie waren hierzulande mal schwer in Mode. Heute sind sie nur noch schwer, bis zu 80 Kilogramm. So ein Exemplar haben sie auch in der Auffangstation, zarte 60 Jahre alt. Und da wird es noch ein paar Jahrzehnte bleiben, weil 200 Jahre durchaus drin sind für eine Geierschildkröte.

Suárez, der übrigens den Namen eines so berühmten wie berüchtigten, weil ebenfalls bissigen uruguayischen Nationalspielers trägt, wird nicht ganz so alt. Teuer kommt er die Station trotzdem. So um die 14 Euro kostet er am Tag für Nahrung, Unterkunft, Medikamente.

Geld, das der Verein aus einem Staatszuschuss, vor allem aber aus Spenden aufbringt, für Suárez und die anderen 1300 Leidensgenossen. Und alles nur, weil Menschen es eine Zeit lang putzig finden, wenn sie sich ein Reptil halten. Und es danach wegstellen wie einen ausgedienten Stuhl.

1 Kommentar