Ausgrabungen in Eggolsheim: Säuglingsgräber aus dem Jahr 1029

3.1.2021, 06:02 Uhr
Ausgrabungen in Eggolsheim: Säuglingsgräber aus dem Jahr 1029

© Foto: Josef Urban

Julian Decker, Chef der beauftragten Bamberger Firma "In Terra Veritas" und Grabungsleiter, erklärt auf NN-Nachfrage: Entdeckt wurde eine unbekannte Bauphase in der Geschichte der Kirche; im Traufbereich des ehemaligen Gotteshauses befinden sich zahlreiche Gräber ungetaufter Säuglinge – sogenannte "Traufkinder" – die die Kirchengeschichte auf den Kopf stellen.

Bei den Ausgrabungen nahmen die Archäologen an, dass die Säuglingsgräber aus der Mitte des 14. Jahrhunderts und aus 1634/1644 stammen müssten, weil die Gräber im Traufbereich des ehemaligen Chors vom Vorgängerbau freigelegt wurden. Diese Kirche wurde 1305 errichtet und erhielt 1634 oder 1644 im Zug des Wiederaufbaus nach der Zerstörung im 30-jährigen Krieg einen Anbau über den Säuglingsgräbern.

"Vorhölle" für ungetaufte Kinder

Die nun vorliegenden Radiokohlenstoffdatierungen, besser bekannt als C-14-Analyse, datieren die Gebeine auf die Jahre um 1029. Daraus lässt sich indirekt ableiten, dass an gleicher Stelle ein noch älterer Kirchenbau gestanden haben muss – zumindest ab dem 11. Jahrhundert. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass das Kirchenschiff eine Ost-West-Ausrichtung hatte. In Kombination mit der Lage der Gräber klärte sich die unbeantwortete Frage, dass sich hier die Außenmauern der Urkirche befunden haben müssen. Der bestehende Bau nach den Plänen des Klassizismus-Baumeisters Leo Klenze ist dagegen von Süden nach Norden hinaus ins freie Feld ausgerichtet.

Sehr erfreut äußerte sich der Mittelalterarchäolge über Pfarrer Daniel Schuster, der auch Einblicke ins Bestandsgebäude ermöglichte, mit denen vor Ort einige Theorien überprüft werden konnten. Ebenso geschätzt wurde die enorme Quellensammlung und das Fachwissen von Josef Urban, dem ehemaligen Bamberger Domarchivar aus Eggolsheim, der die Interpretation der Befunde deutlich erleichterte.


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Bei den Ausgrabungen in Eggolsheim fand man unter anderem auch alte Skelette.

Bei den Ausgrabungen in Eggolsheim fand man unter anderem auch alte Skelette. © Dr. Josef Urban

So ist den Recherchen der Experten zu entnehmen, dass ungetauft verstorbene Kinder nicht auf dem Friedhof bestattet wurden – nach dem katholischem Glauben konnten sie niemals das Paradies erlangen – sie gelangten demnach nur in die sogenannte "Vorhölle". Bekannt ist, dass sich die Eggolsheimer dieser kirchlichen Anweisung widersetzten. Für die Kleinkinder wurden eigene Bereiche nördlich der Kirche nahe der Friedhofsmauer vorgehalten, oder nahe der Kirchenmauern unterhalb der Dachtraufe – dahinter stand der Gedanke, das auf die Gräber tropfende Traufwasser würde die Säuglinge nachträglich taufen – daher stammt der Begriff "Traufkinder".

Bei den Grabungen im Umfeld der Pfarrkirche St. Martin konnte unmittelbar vor dem ehemals im Osten gelegenen Chor und nahe des Altars dutzende Gruben mit Kleinstkindern festgestellt werden. Grabbeigaben wie Totenkronen, Rosenkränze oder Kreuze waren nicht vorhanden – "Traufkinder" wurden demnach zwar an einem prominenten Platz, scheinbar aber ohne Särge und Grabausstattungen beerdigt. Fakt ist auch: deutschen Diözesen ist es erst seit 1972 erlaubt, ungetauft verstorbene Kinder regulär auf dem Friedhof zu beerdigen.

Schon um das Jahr 700

Bei den Ausgrabungen in Eggolsheim fand man unter anderem auch alte Skelette.

Bei den Ausgrabungen in Eggolsheim fand man unter anderem auch alte Skelette. © Dr. Josef Urban

Noch tiefer in die Orts- und Kirchengeschichte eingetaucht ist der ehemalige Direktor des Bamberger Domarchivs Josef Urban: Ausgrabungen bei Neuses vor wenigen Jahren von merowingischen Frauengräbern des 7./8. Jahrhunderts nach Christus förderten Filigranscheibenfibeln mit Kreuz zutage, die der Epoche des irischen Wanderbischofs Kilian uns seiner christlichen Mission in Ostfranken – speziell im Eggolsheimer Umland – zugeschrieben werden dürfen.

Schon um das Jahr 700 hätten Missionare des Heiligen Kilian "das Evangelium gelehret und eine Pfarrei sey gegründet worden", ist von Historikern überliefert. In der Schenkungsurkunde der Martinskirche Forchheim von König Otto II. an das Bistum Würzburg im Jahr 976 sind zwei weitere Kirchen genannt, bei denen es kaum zweifelhaft ist, dass es sich um Erlangen und Eggolsheim handelt.

Die erste urkundliche Erwähnung von "Eggolvesheim – mit seinem kleinen Kirchlein, den hörigen beiderlei Geschlechts, Abgaben und Einkünften mit dem Kirchengut von Forchheim" – fällt in das Jahr 1002, als Eggolsheim zum Bistum Würzburg gehörte. Erst 1017 kam Eggolsheim ans Bistum Bamberg zurück, die Erhebung zur Pfarrei musste vor 1157 geschehen sein, ist aus anderen Dokumenten zu schließen.

Skelette einfach weggeräumt

Fest steht, die Eggolsheimer Kirche gehört zu den ältesten Kirchen des Bistums Bamberg, ungeklärt ist aber die Anzahl der Kirchen, die in Eggolsheim bestanden. Eine Kapelle stand mutmaßlich im Flurteil "Peunt" – ein erschlossenes Reihengräberfeld deutet darauf hin, vielleicht wurde ein notwendiger Neubau aus dem dortigen Hochwassergebiet auf den "Heiligen Bühl" – heute als "Haager Bichl" bezeichnet – verlegt. Bewiesen ist laut Urban nach den Ausgrabungen für das heutige Rathaus, dass vor dem Schwedenkrieg 1632 das Straßenniveau um drei Meter tiefer lag als heute.

Die Gläubigen hatten zum Gottesdienst einen Hügel hochzusteigen. Kunstgeschichtlich bedeutsam, aber ungewürdigt, stellen sich die vormaligen Ausgrabungen um die Martinskirche als "zweischneidiges Schwert" dar.

Schon 1976 wurden Skelette einfach weggeräumt, bei der Kirchenrenovierung ab 1988 die "karolingische" Grundschicht nicht untersucht, die Krypta, die Gruft unter der Kirche, mit Beton verfüllt und Grabsteine entfernt. Das alles geschah hinter verschlossenen Türen. "Schlimme Sünden", sagt Josef Urban im Rückblick, der dann doch versöhnlich endet: Die Ausstattung des weiten Innenraums ist heute als Festsaal der Begegnung Gottes mit den Menschen gestaltet.

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