Bammersdorf: Ein Lebenspuzzle auf 183 Seiten

11.1.2016, 16:00 Uhr
Bammersdorf: Ein Lebenspuzzle auf 183 Seiten

© Foto: Güldner

Nervenkrankheit, Fehlgeburt, Krebsleiden, Abtreibung, Freitod. Es sind keine besonders erfreulichen Themen, die Wiltrud Weltzer da in den Tiefen der Familiengeschichte gefunden hat. „Zu einer Familie gehören auch die Toten. Dennoch hat das Schreiben an sich Freude bereitet.“ Es sei darum gegangen, die Lebensleistung Ella Stollbergs, geborene Conrad, zu würdigen, sie besser zu verstehen.

„In anderen Familien wird vieles unter den Teppich gekehrt. Offenheit ist zwar grausam, hilft aber der nächsten Generation. Tabus helfen nicht weiter.“ Ihnen spürt Wiltrud Weltzer einerseits historisch erkundend, andererseits psychologisch ergründend nach — eine literarische Dokumentation mit zahlreichen Familienfotos, die den Menschen ein Gesicht verleihen.

„Es ist immer eine Interpretation, wie ich es in meinem subjektiven Empfinden wahrgenommen habe.“ Dabei entsteht ein spannendes Puzzle, das auch viel von der Autorin preisgibt. „Es hat mich erschüttert, von solch einem schweren Leben zu erfahren.“

In der Familie, die äußerst positiv auf das Buch reagiert habe, hätten einige sogar geweint, angesichts der Dinge, die Ella mitgemacht habe. Ella hatte eine „schwere Kinderzeit“, musste früh arbeiten, ihr Haus wurde während der Münchener Räterepublik beschossen, sie überlebte Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs und die entbehrungsreichen Besatzungsjahre.

So ganz nebenbei geraten Wiltrud Weltzer auch andere Familienmitglieder in den Blick, die sich wie konzentrische Kreise um die Hauptperson gruppieren. Etwa Ellas Mutter Martha, die noch in einer Zeit ohne elektrischen Strom im Hause aufgewachsen war, und als Witwe die Kinder alleinerziehend durchbrachte.

Mit großem Einfühlungsvermögen und völliger Offenheit stellt sich Wiltrud Weltzer diesen Lebensläufen. Dabei kannte Wiltrud Weltzer ihre Großmutter noch persönlich. Damals wuchs sie als Wiltrud Stollberg in ihrer Geburtsstadt Schwabach auf, in der ihr Vater Oskar Stollberg Kirchenmusikdirektor war.

„Meine früheste Erinnerung an sie ist, als ich als Zweijährige auf ihrem Schoß saß, und sie mit mir gesungen hat.“ Vielleicht ist es diese musikalische Umgebung, die Wiltrud Weltzer nach ihrer Ausbildung zur Volksschullehrerin dazu brachte, Gesang zu studieren, als Solistin aufzutreten und ihr den Weg als Gesangspädagogin am Erlanger Institut für Kirchenmusik ebnete.

Von den Schicksalsschlägen erfuhr die Enkelin aber erst viele Jahre später aus privaten Aufzeichnungen. „Es war ein Jahrhundert, in dem es drunter und drüber ging, und meine Großmutter war mittendrin. „Ihr Geheimnis waren ihr Gottvertrauen und ihr Mut, das Gefühl gebraucht zu werden und ein leises Trotzdem, mit dem sie nicht ins Jammern verfiel, sondern weise das Leben so akzeptierte, wie es war.“

 Ihren Lesern gibt die passionierte Leserin von Biographien einen Ratschlag auf den Lebensweg, den Sie selbst bedauert, nicht früher befolgt zu haben: „Fragt, solange Ihr noch fragen könnt!“

Das 183-seitige Taschenbuch „Ich steh hier und singe. Ein Lebenslied mit zweiter Stimme“ von Wiltrud Weltzer ist im Buchhandel für 9,90 Euro (ISBN 9783737577144) erhältlich.

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