Bei der Suche nach der perfekten Einkaufsstadt bricht Forchheim jetzt Tabus

20.8.2019, 07:00 Uhr
Bei der Suche nach der perfekten Einkaufsstadt bricht Forchheim jetzt Tabus

© Foto: Edgar Pfrogner

Seit zwei Jahren ist bei Sabine Dietz gut Wein trinken in der Hauptstraße. Vom Buchdruckerhaus lässt es sich auf das Rathaus blicken. Die Fußgängerzone ist nur wenige Schritte entfernt – und doch zu viele, um von den Kunden, die durch die Straße bummeln, zu profitieren. "Ein Laden nach dem anderen schließt", sagt Dietz. Auch wenn sie mit ihrem Geschäft in der Hauptstraße 5 zufrieden ist: "Es fehlt an Frequenz." Die gebe es eher am Rathausplatz. Und die Laufkundschaft ziehe es in die Fußgängerzone, weil es an einem Magneten in Richtung Bamberger Straße mangele. Der Magnet in der Mitte der Stadt heißt Drogerie Müller, so sehen es viele Händler, mit denen sich die Nordbayerischen Nachrichten unterhalten haben.

Auch Marianne Ernst mit ihren Herrenmoden, nur 14 Hausnummern von Sabine Dietz entfernt. "Der Müller ist für die Innenstadt ganz wichtig." Sie blickt seit nahezu 40 Jahren von ihrem Geschäft aus auf die Entwicklung in der Stadt. Ihre Prognose: "Der stationäre Handel wird in den nächsten Jahren einen weiteren deutlichen Rücklauf verzeichnen, soweit, bis er fast verschwunden sein wird." Und was kommt dann in der Einkaufsstadt Forchheim? Für Ernst verlassen die Geschäfte die Innenstadt solange, "bis man merkt, dass es ein großer Verlust ist". Und sie sagt: "Der Einzelhandel muss mit den Tatsachen der Stadtpolitik zurecht kommen."

Darunter zählen für Ernst und andere Geschäftstreibende die Ausweitung der Gewerbeansiedlungen vor den Toren der Innenstadt. Nicht nur in Forchheims Süden sondern auch im Osten, entlang der Bayreuther Straße. Dort ist in den vergangenen Jahren ab Höhe des Bahnhofs in Richtung Reuth ein neues Viertel aus Einzelhandel und Gastronomie groß geworden. Zu den neuesten Entwicklungen zählt eine weitere Filiale des Drogisten Rossmann, die sich bei Rewe und Norma in der Bayreuther Straße ansiedeln will. "Die Möglichkeiten, sich was zu kaufen, sind vielfältig geworden", sagt Ernst.

Verschwiegener Ärger

Die Ansiedlung von Gewerbe außerhalb des Stadtkerns ärgert viele Einzelhändler in der Altstadt und lässt sie sich machtlos fühlen. Tenor von nicht wenigen: "Die Stadt macht zu wenig." Die Gefühlslage, über die nicht jeder sprechen will, aber viele spüren, zeigt sich in etwa so: Viele kleine Davids gegen wenige, aber starke Goliaths. Der Kampf zeigt Folgen. Das Textilunternehmen Jeans Fritz, gut fünf Jahre in der Fußgängerzone vertreten, musste die "Notbremse" ziehen und die Filiale jüngst schließen. Das Geschäft habe sich nicht rentiert, Forchheim sei früher recht lebendig gewesen, das habe sich geändert. "Wir haben alles probiert", sagt ein Unternehmenssprecher. Am Ende sei auch der ein oder andere Leerstand Schuld an der verhagelten Geschäftsbilanz gewesen. "Das zieht die Leute nicht in die Stadt." Neben dem fehlenden Magneten sind es auch bei Dietz die leerstehenden Geschäfte, die ihr Sorgen bereiten.

Das ist bei Birgit Tröster ebenso. Sie betreibt seit 2006 das Bekleidungsgeschäft S.Oliver in der Fußgängerzone. "Unser Standort wird schwieriger, weil wir mit so vielen Leerständen in einer 1-A-Lage zurechtkommen müssen." Das produziere im Sommer enttäuschte Touristen. Die Stadt unterstütze den Handel zu wenig. Seit dem Geschäftsstart habe es immer ein Auf und Ab gegeben, "aber es ist schlechter geworden", so Tröster. "Ich habe den Eindruck, wir werden ignoriert." Kritisch blickt sie auf die SPD in der Stadt. "Sie blockiert verkaufsoffene Sonntage, doch die sind ganz wichtig."

In puncto Leerstände ist seit jeher auch bekannt, dass die Vorstellungen von Mietern und Vermietern weit auseinander liegen. Für die, die das Risiko der Selbstständigkeit in Forchheim wagen, könnten Vermieter ihren Mietern in den ersten Jahren entgegen kommen, schlägt Christoph Kauer vor. Er hat sich vor 17 Jahren mit dem "Stadtlockal" in der Fußgängerzone selbstständig gemacht und kann sich darin erinnern, wie schwer es am Anfang war.

Ein-Tages-Geschäfte angedacht

Die Diskussion um Leerstände kennen der Verein HeimFOrteil – ein Zusammenschluss Gewerbetreibender der Stadt – und Forchheims Citymanagerin Elena Büttner. "Es gibt immer Bewegung und der Wandel ist da", sagt Büttner. Die Herausforderung, eine Innenstadt mit möglichst viel Leben und Geschäften zu füllen, sei auch in anderen Städte vorhanden. "Im Vergleich sehe ich Forchheim im Mittelfeld."

Bei der Händlervereinigung HeimFOrteil reift die Idee heran, Leerstände mit sogenannten Pop-Up-Stores zu beleben. "An verkaufsoffenen Sonntagen könnten andere Geschäfte dort für einen Tag einen Teil ihre Produkte vorstellen und verkaufen", skizziert HeimFOrteil-Sprecher Manfred Schade den Gedanken. Das wäre Verkauf und Werbung in einem.

Über Tabus und digitales Parken

Die Erfolgsfaktoren für zeitgemäße attraktive Innenstädte haben Wissenschaftler jüngst untersucht. In 116 Städten haben sie rund 60.000 Gespräche mit Passanten geführt. Das Ergebnis der Studie mit dem Titel "Vitale Innenstädte" hält auch Elena Büttner für Forchheim bedeutend: "Der Hauptgrund für den Besuch der Innenstadt ist immer noch das Einkaufen." Online-Konkurrenz hin oder her.

Die Menschen müssten nur wissen, wo es was zum Einkaufen gibt, findet Manfred Schade, der mit seinem Buchladen innerhalb der Wiesentstraße umgezogen ist, um näher an der Laufkundschaft zu sein. Er ist überzeugt, dass der Fachhandel mit Service, Beratung und dem Einkaufsgefühl vor Online punkten kann. So sieht es auch Marianne Ernst – sprichwörtlich. Mancher Mann, der bei ihr Herrenmode kauft, sei "hinweisbedürftig", sagt sie mit einem Lächeln. Eine Fachberatung vor Ort könne dafür sorgen, dass der Anzug perfekt sitzt. Übers Internet ginge das nicht. Das Ergebnis nicht sitzender Anzüge sehe sie immer wieder, sagt sie. Im Sommer ebbt das Geschäft nicht ab. "Der Bedarf ist da, es wird gut gekauft." Auch, so vermutet sie, weil sie sich über die vergangenen Jahrzehnte einen Namen gemacht hat. "Heute ein Geschäft zu eröffnen, ist sehr risikoreich."

Keine Schlafstadt sondern mehr Leben

Citymanagerin Büttner plant zusammen mit HeimFOrteil auf der stadteigenen Internetseite www.forchheim-erleben.de eine zusätzliche Rubrik "Einkaufen" – neben Geschichte, Kulinarik und Aktivitäten. Sie will Forchheimern und Besuchern die Stadt als Einkaufsstadt näher bringen. Zu diesem Digital-Paket gehört, dass ab Herbst auch bargeldlos geparkt werden kann, über das Handy. Gerät der Handel in Schwierigkeiten, dann spürt das gleichzeitig die Gastronomie, sagen Büttner, Tröster und Kauer. Das ist auch ein Ergebnis der Studie "Vitale Innenstädte". Dann wäre die Innenstadt wirklich tot, fürchtet Tröster und Forchheim eine "Schlafstadt".

Bei der Suche nach der perfekten Einkaufsstadt bricht Forchheim jetzt Tabus

© Foto: Edgar Pfrogner

Mehr Leben am Wochenende könnten verlängerte und gemeinsame Öffnungszeiten bringen, so die Hoffnung. Eine Arbeitsgruppe von HeimFOrteil widmet sich dem Thema. Büttner: "Ich freue mich, dass HeimFOrteil ein Tabu-Thema bricht und die Konfrontation nicht scheut." Seit Jahrzehnten diskutiert Forchheims Geschäftswelt darüber, ohne ein Ergebnis erzielt zu haben. Doch Veränderung ist notwendig, sagt Büttner. "Das Konsumverhalten hat sich verändert. Die Menschen wollen auch am Samstagnachmittag in die Innenstädte gehen."

HeimFOrteil-Sprecher Schade steht dem Thema offen gegenüber, macht aber auch klar, dass es sich eher um eine Verlagerung der Öffnungszeiten als um zusätzliche Stunden handeln werde. Anders sei das für die Inhaber, die oft selbst in den Geschäften stehen, zeitlich nicht zu stemmen. "Doch zuerst müssen wir mehr Läden in die Stadt bekommen."

Hartnäckig bleiben

"Wenn es eine Veränderung bei den Öffnungszeiten geben soll, dann gemeinschaftlich oder mehrheitlich, nur dann bringt es was", sagt Büttner. Birgit Tröster stimmt zu. Ihr Laden hat am Samstag bis 16 Uhr geöffnet. Doch wenige länger geöffnete Geschäfte machen noch keine belebte Stadt: "Die Leute müssen wissen, dass sie auch nachmittags noch etwas in der Stadt bekommen. Wegen drei offenen Läden kommen sie nicht." Marianne Ernst drückt die Lage so aus: "Die Faszination fürs Einkaufen in Forchheim ist weg, wenn alle am Samstagmittag schließen."

Alle Branchen über einen Kamm scheren will HeimFOrteil nicht. Während ein Buchladen am späteren Vormittag öffnen kann, würde der Metzger bei geschlossenen Türen am frühen Morgen wohl einen wichtigen Teil seiner Kundschaft verprellen. Aus seinen Erfahrungen weiß Christoph Kauer, dass es Geduld braucht, bis sich längere Öffnungszeiten im Kopf des Kunden durchsetzen. "Man muss auch zunächst an schwächeren Tagen offen lassen und so sichtbar bleiben." Wandel braucht Zeit.

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