Das Leben im Forchheim-Nord der 1950er

1.11.2020, 18:18 Uhr
Das Leben im Forchheim-Nord der 1950er

© Foto: Archiv Harald Schmidt

Wann immer ich draußen spielen wollte, mahnte meine Mutter: "Mach dich nicht schmutzig und sei vorsichtig!" Sie meinte es gut . . .

. . . und ich war auch vorsichtig: Wenn der Genossenschaftsgärtner im Hochsommer einen Rasensprenger aufgestellt hatte und außer Sichtweite war, hüpfte ich durch die sprühende Abkühlung und setzte mich dann etwas abseits ins Gras, rupfte mir ein paar Blätter Sauerampfer.

Mittagsruhe im Viertel

Dieser zurückhaltende Zeitvertreib galt zwischen ein und drei Uhr als keine schlechte Idee, denn da herrschte Mittagsruhe im Viertel. Wir Kinder wussten, wem in der Nachbarschaft eine strenge Hausordnung nicht genügte, um uns im Zaum zu halten. Beschwerden kamen bei den Erziehungsberechtigten an, auch bei mir zuhause. Das verkniffene "Mach mal einen anständigen Diener"-Ehepaar und den Rentner im Blaumann, der uns vertrieb, wo immer wir auftauchten – ich habe sie nicht vergessen, weil sie wenig mit meinen Eltern gemeinsam hatten. Von Erziehungsmaßnahmen auf dem damaligen Stand der vorhergehenden Jahrzehnte blieb ich daheim verschont.

Das Leben im Forchheim-Nord der 1950er

© Foto: privat

Das Leben im Mikrokosmos um die Paul-Keller-Straße herum begriff ich als Kind Ende der 50er Jahre so: Die Männer gingen früh zur Arbeit und bis zum Abend behielten uns Mütter und eine Vielzahl an Großmüttern im Auge, versorgten uns und mussten mit unserer Energie und dem dazugehörigen "Spielwitz" zurechtkommen.

Direkt vor der Balkonseite unseres Wohnblocks in Forchheim-Nord-Mitte erstreckte sich eine nicht sehr tiefe und flache Sandgrube (Buchstabe A auf dem großen Bild), der ideale Ort für alle möglichen Kinderspiele und zugleich eine Quelle für Spielmaterial – Lehm. Alleine oder mit anderen baute ich Dörfer oder Burgen und stampfte sie wieder ein, verteilte Wundertüten-Figuren in der Unkrautlandschaft und übte das Schussern, um dann beim ernsthaften Wettbewerb zu verlieren. Im Winter dienten uns die Böschungen als Rodelbahn.

Das blieb so, bis in der Grube ein Neubau hochgezogen wurde. In unserer Vorortssiedlung mit den vielen offenen Grünflächen fanden wir anderswo Platz zum Spielen, stets auf Genossenschaftsgebiet, es gab keine Privatgrundstücke oder Hinterhöfe nahebei. Hier begegnete sich der Nachwuchs aus Familien, die zumeist in geringem bis bescheidenem Wohlstand lebten.

Ob wir Kinder mehr oder weniger Spielsachen besaßen, blieb unwichtig, im Freien waren die kaum gefragt – ein Ball oder ein paar Murmeln vielleicht. Hula Hoop-Reifen hielten sich zwei Sommer lang als Blickfang, falls man den Hüftschwung beherrschte, auch manche Jungs versuchten sich daran. Der Wundertüten-Plastikkram diente als Spielzeug und Tauschware zugleich. Roller und Kinderräder waren noch etwas Besonderes, ich erinnere mich an ein rotes Dreirad mit hellen Ballonreifen, bei dem man hinten auf der Achse stehend mitfahren wollte, bei möglichst hohem Tempo, versteht sich. Tempo empfahl sich öfters, wenn ein Hausmeister oder der Gärtner nahte.

Zu unserem alltäglichen Freizeit-Repertoire, wie Verstecken, "Kaiser, wie weit darf ich reisen?" oder Fangen, gehörten geistreiche Abzählreime, die Version mit dem "Gummi Gummi Zwerg auf einem Gummi Gummi Berg" schien besonders beliebt gewesen zu sein. Anstatt "Rasen betreten verboten" hieß es "Wiedergeben hat kein Leben" und als "die Beut" (Ausruhpunkt) dienten die Wäschestangen. Wir rannten viel. Ich fiel oft genug hin (auch vom Dreirad oder etwas fiel auf mich), landete drei, vier Mal bei Dr. Staudigel, der mich stets tadellos vernähte. Wie es bei mir und einigen Nachbarskindern zu der Vorliebe für Sauerampfer gekommen war, weiß ich nicht mehr.

Wir futterten das Kraut frisch vom Erdboden weg und sammelten auch Zigarettenstummel auf. Die klemmten wir uns nicht (!) angezündet zwischen die Lippen, füllten leere Sidolinflaschen mit Leitungswasser und mimten Biertrinker und Raucher, wo immer wir uns das abgeschaut hatten. Solche Macken verloren bald wieder ihren Reiz.

Geduldet – oder auch nicht

Alle paar Straßen befand sich unausgesprochen eine Spielzone, ein Territorium, das zugehörige Kinder nur selten verließen. Wer von außerhalb kam, wurde geduldet – oder auch nicht. Etwas ältere Heranwachsende bewiesen sich gelegentlich, wer die Stärkeren waren und verjagten uns im Vorbeigehen. Doch selbst die stärksten Jungs der Nachbarschaft, die Halbstarken mit der Fettglasur-Frisur, in Jeans (damals "Nietenhosen") und Lederjacke, grüßten die Mütter und Großmütter stets artig. Am Nordbahnhof-Ende der Bammersdorfer Straße und in der Büg drohten Außenseitern ständig Prügel, darum ging ich dort lieber außen und seitlich vorbei.

Es gab vorwitzigere und vorsichtigere Kinder als mich, einige ließen sich draußen bei uns kaum blicken oder nur zusammen mit ihrer "Beschützeroma". Als Treffpunkt für aktives Jungvolk und vielversprechendes Eck für den Tausch von Heinerle-Sammelbildern galt die Oehm-Wiese (Buchstabe B). Die gehörte nicht zu meinem Revier, doch weil mein Freund Gerd gleich nebenan wohnte, durfte ich dort mitmachen. Die Spielplätze am Marienheim (C) lockten die lieben Kleinen und Kleinsten aus allen Richtungen des Viertels an. Nach ein paar Mal schaukeln oder wippen hatte ich meist genug und verzog mich wieder, gerne in die Heine-Straße zum Rainer. Bei ihm im Hof bauten wir immer wieder neue Erdhügel voller "Geheimgänge", um dann eine enorme Holz-Ritterburg drauf zu setzen. Das war auch die Zeit der Comic-Hefte von Akim, Tibor und Sigurd. Von wegen Schundliteratur – wer außer Sigurd hätte uns das schöne Wort "Gelübde" beigebracht?

Wenn mir Ideen oder die Lust zum Spielen ausgingen, fand ich Abwechslung beim Zuschauen: Eine Straßenbaustelle mit Straßenwalze galt als Top-Ereignis, besonders wenn Teer frisch aufgesprüht wurde, auch auf Sandalen, Socken, Knie, bis zur (bestimmt neuen) kurzen Hose. Sobald wir die Lkw-Kolonnen der US-Armee dieseln hörten, rannten wir zur Bamberger Straße vor und winkten den GIs zu. Wir interessierten uns auch jederzeit für den Jauchewagen und die selbstfahrende Säge im Einsatz.

Gartenzwerg mit Gießkanne

Hin und wieder trat ich in der Kleingartenanlage hinter den Bahngleisen als Gartenzwerg mit Gießkanne an, um gemächlich Beete zu pflegen, Kompost zu häufeln und Beeren vom Strauch zu futtern. Der Tag ging und die Mückenplage kam. Der freundliche Herr Händel, ein Arbeitskollege meines Vaters und Pächter der Parzelle, saß vor der Laube und gab mir ein "Mit Geduld und Spucke fängt man eine Mucke" mit auf den weiteren Lebensweg. Sie existierten, angenehme Menschen, sehr viel älter als wir, die sich mit uns abgaben, uns spielen ließen, uns Geschichten erzählten und ein paar praktische Dinge beibrachten!.

Nach dem Umzug in eines der Y-Häuser rannte ich immer noch viel, doch nun meistens auf der dortigen Fußballwiese. Mit elf oder zwölf hatte ich ein Fahrrad, um nach der Schule meine Kreise zunehmend außerhalb von Forchheim-Nord zu ziehen.

1 Kommentar