Der Libero ist zurück

8.7.2014, 12:00 Uhr
Der Libero ist zurück

© Horst Linke

„In vielen WM-Spielen sind zwei unterschiedliche Spielkulturen aufeinandergeprallt. Südamerikanische Teams wie Kolumbien und Costa Rica leben viel von Einzelaktionen einiger ihrer Individualisten, die sich mit sehenswerten Tempodribblings in Szene setzen konnten. Diese Überfälle haben so manch europäische Mannschaft überrascht, weil sie längere Passstafetten gewohnt sind.

Die vielen Tore sind auch ein Indiz dafür, dass der Fußball offensiver geworden ist. Die Außenverteidiger rücken im Ballbesitz bis an die Mittellinie vor und überlassen den Innenverteidigern sowie einem defensiven Mittelfeldspieler den Angriffs-Aufbau. Bei den Chilenen oder den Niederländern agiert die Abwehr dann in einer Dreierkette. Der Sechser, der sich zurückfallen lässt, ist der Libero des 21. Jahrhunderts. Das Rad ganz neu erfunden hat aber niemand, da die Außenverteidiger ihre Seiten in der Defensive trotzdem zumachen. Aus dem 3-6-1-System wird so schnell ein 5-4-1. Deutschland verzichtete in den ersten Spielen zugunsten der defensiven Stabilität auf Impulse von den Außenverteidigern, ist mit der modifizierten Variante mit Lahm hinten rechts nun aber nur noch schwer zu schlagen. Mit dem frühen Aus der Spanier ist ihr stark auf Ballbesitz ausgelegtes ,Tiki-Taka‘ zwar nicht ausgestorben, aber die Schwächen wurden offensichtlich. Mit viel läuferischem Aufwand und taktischer Disziplin kann sich die spielerisch unterlegene Mannschaft immer in eine Abwehrschlacht retten. In der DFB-Trainerausbildung liegt deshalb vermehrt ein taktischer Schwerpunkt auf dem schnellen Umschaltspiel. In den Übungen müssen wenige Spieler mit maximal drei Kontakten Situationen auf engem Raum lösen. Als gängigste Systeme werden weiter das 4-3-3 und das 4-5-1 gelehrt.

Auch die Verlagerung des Spielaufbaus auf die Innenverteidiger sowie das Spiel ohne echten Mittelstürmer sind zentral. Torschussübungen, ohne dass vorher in irgendeiner Form eine Balleroberung stattfindet, gibt es praktisch nicht mehr. Weitere Erkenntnisse dieser WM in Brasilien werden sicher mit kleiner Verzögerung Einzug in die Lehrpläne halten.“

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