Die Innere Station als Single-Börse am Lebensende

6.12.2017, 18:07 Uhr
Die Innere Station als Single-Börse am Lebensende

© Foto: Udo Güldner

Es muss ein schlimmes Leben für eine kluge Frau jenseits der fünfzig sein. Selbst in Unterfranken. Ständig ist man von Nagelstudios umzingelt, für die irgendwelche Sandys und Mandys ihr ganzes Geld zusammenkratzen. An beiden Beinen bilden sich Haarbüschel, die selbst im milden Zwielicht Schatten werfen.

Am Zahnarztstuhl prangt eine Ehrenplakette, weil sich der Onkel Doktor aus den Essensresten inzwischen eine Zweitwohnung gebastelt hat. Und im Altenheim "Haus Salmonella" wartet der tödliche Kartoffelsalat.

Es ist dieser illusionslose Blick in die Zukunft, der Birgit Süß’ Geschichten einerseits eine unerträgliche Bitternis verleiht. Wenn es beim Sex nurmehr um Leistungssportabzeichen und alles schneller gehen soll; am besten medizinisch überwacht und kalorienmäßig optimiert. Als sei das Ziel das Ziel.

Wienerische Wurschtigkeit

Andererseits durchströmt ihre Sätze eine geradezu wienerische Wurschtigkeit, die auch Weltuntergänge nicht ernst nimmt. Wohl aber die Frage, wie man das Badezimmer noch sauber bekommt, bevor alle Armaturen herausgerissen werden.

Zugegebenermaßen ein Problem schwäbisch sozialisierter Kabarettistinnen, die wie die Augsburgerin im fränkischen Exil die Kehrwoche immer noch zum Weltkulturerbe zählen.

Kein lächelnder Franke

Denn auch nach 27 Jahren in Unterfranken hat Birgit Süß noch immer keinen lächelnden Franken gesichtet. Als ob gute Laune eine ansteckende Krankheit sei, gegen die man nördlich der Donau immun wäre. Zur Auflockerung singt Süß Chansons und Couplets, die eine jazzige, verschlagerte oder latinheiße Vergangenheit haben — und das gelingt ihr in ganz umwerfender Manier.

Statt bei der Online-Singlebörse Tinder findet man seine Lebensend-Abschnittsgefährten auf der Inneren Station irgendeines Krankenhauses. Beim gemeinsamen Katheterleeren. "Man wird älter, älter und älter . . . So schnell kann es gehen." Und wenn man die bärtigen Typen nicht beschäftigt, dann verkümmern sie und verwachsen mit dem Sofa.

Trotzdem behält Birgit Süß ihr "goldenes Lachen" — weil ihr nach dem Besuch beim Zahnarzt auch gar nichts anderes übrigbleibt. Der Alltag schreibt schließlich immer die besten Geschichten. Und wer die erfreuliche geistige Reife besitzt, die freilich oft einer unerfreulich körperlichen folgt, der kann mit der Gelassenheit des Alters auf den Verfall blicken. Der sich auch mit dem Verzicht auf schmackhafte Leberkäs-Semmeln und dem Erklettern geschmackloser Soja-Sprossen nicht aufhalten lässt.

Das optische Elend

Höchstens mit Atemübungen, bei denen man solange ausatmet, bis man den Gürtel enger schnallen kann. Damit man sich den Gebissreiniger nicht einstens auch noch vom Munde absparen muss. Oder mit einer Burka, die das optische Elend gnädig überdecken und sogar ein Rückzugsort für Raucher sein kann.

Als sie auf die armen Reichen zu sprechen kommt, rinnt Süß manch’ krokodilige Träne des Mitleides über die eingefallenen Wangen.

Dann leidet sie mit denen, die auf nicht beheizbaren Toilettendeckeln ihr Dasein fristen müssen. Damit mehr Geld für die Sachen übrigbleibt, mit denen man außer Haus angeben kann: Villa in der Kalahari, schnittiger Ferrari und gefährliche Safari.

Nebenbei bemerkt zeigt Birgit Süß dabei ungeahnte poetische Qualitäten, und ein "Herz für Tiere, wenn die Zubereitung stimmt". Zu Beginn hatte die Kabarettistin noch gewarnt, die Witze seien schlecht, die Frisur schrecklich und der Nagellack passe nicht zum Kleid.

Nach zwei Stunden gab es Entwarnung. Wie ihr etwas zu "kleines Rotes" kein Auge schonte, so verschonte sie mit ihren Seitenhieben nichts und niemanden. Das darf ruhig noch ein Nachspiel haben.

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