Ehrenamtlich beim THW: Ein Einsatz, der überlebenswichtig sein kann

19.9.2020, 08:00 Uhr
Ehrenamtlich beim THW: Ein Einsatz, der überlebenswichtig sein kann

© Foto: THW Ortsverband Forchheim

Dass die Bremsen des Militärtransporters auf der abschüssigen Harder Bergstraße zwischen Wichsenstein und Wannbach einfach versagen würden, damit hatte keiner gerechnet. Der Koloss prallte samt geladenem Schützenpanzer auf den vorausfahrenden Mannschaftswagen. Beide Fahrzeuge stürzten die tiefe Böschung hinunter und überschlugen sich mehrfach. Sechs amerikanische Soldaten wurden bei dem Unglück schwer verletzt, heißt es in dem Zeitungsartikel vom 14. Juni 1983. "Es sah aus wie im Krieg", erinnert sich Jakob Endres.

Endres, 72 Jahre alt, war damals mit einigen Kollegen vom Technischen Hilfswerk Ortsverband Forchheim vor Ort. Mit der Rettungsschere schnitten sie den Fahrer des Transporters aus den Trümmern. Nicht nur dieser Einsatz sei ihm aus den letzten 51 Jahren beim Ortsverband in Erinnerung geblieben, erzählt er.

Dass er dort landete, war allerdings mehr ein Zufall. "Ich sollte damals zum Bund", erinnert er sich. Um das zu umgehen, gab es nur wenige Möglichkeiten: "Also bin ich eben 1969 in den Ortsverband eingetreten, obwohl ich zu dem Zeitpunkt nicht mal wusste, was oder wo der ist." Ein Vierteljahr lang passierte nichts, dann kam ein "bitterböser Brief, in dem stand: Wenn Du nicht bald auftauchst, musst Du doch zum Bund".

Ehrenamtlich beim THW: Ein Einsatz, der überlebenswichtig sein kann

© Foto: THW Ortsverband Forchheim

Zehn Jahre lang musste sich Endres beim THW verpflichten, um nicht doch noch zur Bundeswehr zu müssen. Dafür konnte er hauptberuflich weiter als Kfz-Mechaniker arbeiten. Als die zehn Jahre vorbei waren, war der Austritt längst vergessen. "Die Gemeinschaft hier ist einfach Wahnsinn, wie bei einem Fußballverein." Aktuell zählt der Ortsverband in Forchheim 125 aktive Mitglieder, also solche, die auch für den Einsatz befähigt sind. Damit liegt der Ortsverband bayernweit an der Spitze, sogar vor Großstädten wie München oder Nürnberg. Alle Mitglieder sind zudem verschiedenen Einheiten zugeordnet, die jeweils auf einen anderen Bereich spezialisiert sind (siehe Infokasten). Was genau das THW macht, wissen trotzdem viele Bürger/innen nicht. "Viele wissen eigentlich nur, dass wir zum Beispiel bei Hochwasser helfen, aber nicht was wir ansonsten alles machen."

Endres war 16 Jahre lang Zugführer einer Einheit, übergab dann an einen jüngeren Kollegen. Trotz seiner 72 Jahre arbeitet er in Teilzeit noch im städtischen Bauhof und kümmert sich nebenbei als Schirrmeister im THW um die Flotte des Verbands. "Ich bin für 36 Kennzeichen verantwortlich, die ich zum TÜV bringen muss", erzählt er voller Stolz, während er die Tür zu einer der Garagen des THW Forchheim öffnet. Darin: Riesige blaue Lkw, Anhänger und sogar Boote. "Wir sind nämlich auch für das Wasser ausgerüstet."

Einsatz in Rumänien

Wer beim THW Mitglied ist, dessen Arbeitgeber ist gesetzlich dazu verpflichtet, ihn bei einem Katastrophenfall freizustellen. Solche Einsätze gibt es aber nicht nur in Deutschland, erzählt Endres. In der Kantine des Verbandshauses nimmt sich Endres das Album, in dem das THW viele seiner Einsätze teils noch mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen und Zeitungsartikeln dokumentiert hat. Ein Bild zeigt einen Einsatz in Rumänien. "Als der Osten die Grenzen geöffnet hat, da sind wir auch gleich rüber", erklärt Endres. "Gorbatschow hat damals an der Öffnung mitgewirkt.

Als Dankeschön musste jeder Ortsverband des THW zwei Transporte mit Hilfsgütern, Krankenhausmaterial und anderem in eine Stadt im Osten bringen. Das hat da ja alles gefehlt zu der Zeit." Sein Ziel: Rostow, "also fast am schwarzen Meer. War wunderschön dort". 18 Tage sei seine Truppe unterwegs gewesen: Zehn Fahrzeuge, 20 Fahrer und zwei Dolmetscherinnen. "Da wäre ich in meinem Leben niemals hingekommen."

Dann erlischt sein Schmunzeln für einige Sekunden: Ein Jahr lang sei er zudem vier Mal in Rumänien gewesen, das erste Mal gleich nachdem "dieser bitterböse Präsident, Nicolae Ceaușescu, nicht mehr an der Macht war". Kleidung, Nahrung und anderes brachte das THW in die zahlreichen Kinderheime. "Wir kamen in eine Stadt, da gab es nicht mal Wasser. Nur außerhalb gab es ein einziges Rohr, aus dem Wasser kam. Ansonsten: nichts."

Das THW Bayern verpflichtete sich damals, die Stadt wieder mit Wasser zu versorgen. Tagelang arbeiteten die Helfer pausenlos, setzten acht Brunnen instand und stellten so die Versorgung wieder sicher. "An solche Einsätze erinnert man sich gerne zurück."

Hört man Endres zu, merkt man schnell, dass er stundenlang über seine Erlebnisse reden könnte; er erinnert sich an alles, selbst an kleinste Details, so als hätte er die Einsätze genau vor Augen; die guten, aber auch die mit Toten und Schicksalen. "Ich hasse zum Beispiel Motorräder. Ich war bei zu vielen schrecklichen Unfällen." An vieles gewöhne man sich, "aber wenn junge Leute sterben, geht einem das immer nah". Die Antwort, warum er trotz negativer Erlebnisse im Verband bleibt, kommt prompt: "Eine solche Kameradschaft findet man nirgends. Hier bilden sich wirkliche Freundschaften."


Info:

Am 22. August 1950 gründete Otto Lummitzsch das Technische Hilfswerk als eine der ersten Zivilschutzeinrichtungen der Bundesrepublik. Der Verband, der dem Innenministerium unterstellt ist, ist für den Katastrophenschutz im In- wie Ausland, bei Notständen oder Unglücksfällen im Einsatz. Aktuell zählt der Verband bundesweit etwa 80.000 ehrenamtliche Mitglieder. Der eigentliche Arbeitgeber ist übrigens gesetzlich dazu verpflichtet, das Mitglied bei einem Einsatz freizustellen. Den Lohnausfall übernimmt der Bund.

Wer aktives Einsatzmitglied werden will, der muss nicht nur volljährig sein, sondern auch eine Grundausbildung durchlaufen. In der wird den Mitgliedern der Umgang mit der technischen Ausstattung beigebracht und Allgemeinwissen zum Katastrophenschutz übermittelt. Je nach Kenntnissen werden die Ausgebildeten danach in einzelne Einheiten verteilt. Jede ist auf etwas anderes spezialisiert, darunter beispielsweise Bergungstaucher oder Fachgruppen für Hochwasser und Sprengungen.

Der Ortsverband Forchheim ist einer von 668 Ortsverbänden bundesweit und wurde 1952 gegründet. Aktuell hat der Ortsverband 125 aktive Mitglieder, darunter auch 15 Frauen. Weil viele andere Ortsverbände wesentlich weniger Helfer haben, spezialisieren sich andere Dienststellen oft auf eine Sache. Forchheim ist dagegen sehr breit aufgestellt: Dort gibt es unter anderem Fachgruppen für Wassergefahren, für schwere Bergungen sowie für Sprengungen.

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