Eine depressive Mutter schildert ihr Corona-Schicksal

7.5.2020, 18:21 Uhr
Eine depressive Mutter schildert ihr Corona-Schicksal

© Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Ihr richtiger Name ist anders, aus Angst vor Stigmatisierung will sie ihn aber lieber nicht in der Zeitung lesen. Trotzdem möchte sie von ihrer Situation erzählen und deutlich machen: Die Herausforderungen, die Corona mit sich bringt, bedeuten Stress. Und Stress ist nicht gut für die Psyche. Für ihre nicht, aber auch nicht für die vieler anderer.

Seit dem vergangenen Jahr ist Claudia Heinrich krank geschrieben und befand sich nach erfolgreicher Therapie eigentlich schon auf dem Weg der Besserung. Auch einen Aufenthalt in einer Reha-Klinik hatte sie bereits zugesprochen bekommen. "Ich dachte, ich kriege das alles hin", blickt sie zurück. Doch dann ergriff die Corona-Pandemie Deutschland – und veränderte den Alltag der Familie. Ihre zwei Söhne, der ältere in der dritten Klasse, der jüngere im letzten Kindergartenjahr, waren fortan ebenso zu Hause wie ihr Mann, der im Homeoffice arbeitet. Ihre Reha-Maßnahme wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Hinzu kam, dass sie mit den Nebenwirkungen eines neuen Medikaments gegen ihre Depression ebenso zu kämpfen hatte wie mit einer schweren Erkältung. 

Dennoch kümmerte sie sich um die zwei Jungs, so dass ihr Mann arbeiten konnte, machte mit dem einen Schulaufgaben, spielte mit dem anderen. Doch ihre Kräfte schwanden schnell. "Ich schaffe es gerade einmal vier Stunden am Tag, durchzuhalten", erzählt sie. Ihr Mann sehe ihr die Erschöpfung schnell an. "Ruh dich aus", sagt er dann. "Aber er muss doch arbeiten", meint sie. Claudia will ihn unterstützen, die Familie am Laufen halten. Das führt zu Konflikten. "Es knirscht zwischen uns."

Wenigstens ein bisschen leichter

Anfangs nahm er halbtags seine Überstunden, dann einen Teil seines Jahresurlaubs. Inzwischen habe er sich mit seiner Firma auf unbezahlten Urlaub geeinigt. Anteilig, so dass er pro Tag momentan nur vier Stunden arbeitet. Bis Mitte Juni könne das so laufen. Claudia ist froh, dass damit wenigstens ein bisschen Erleichterung möglich ist.

Dass auch andere Familien in diesen Zeiten an ihre Grenzen kommen, Eltern sich zerteilen zwischen Arbeit und Kinderbetreuung, weiß auch Antje Pastors von der Familienberatung der Caritas. Oftmals hatten Familien, die jetzt bei der Beratungsstelle anrufen, schon vorher Probleme. "Die verschärfen sich in diesen Zeiten", sagt die Diplom-Psychologin und zählt auf: "Die Belastungen für die Eltern steigen, die Kinder dürfen sich nicht mit Freunden treffen, müssen sich selbst für die Schule motivieren. Dinge, die sonst helfen, fallen weg, in manchen Fällen kommen noch Existenznöte dazu."

Kinder und Eheprobleme

Vor allem Familien mit Grundschulkindern, die sich schwer tun mit dem selbstständigen Lernen im Kinderzimmer, und mit Kindern in der Pubertät suchen Hilfe bei der Familienberatung der Caritas. "Manche Pubertierende tauchen nun noch mehr ins Internet oder in die sozialen Medien ab und drohen ins Abseits zu driften", sagt Antje Pastors.

Schlimm sei es, wenn es in den Beziehungen der Eltern nicht gut laufe oder psychische Probleme hinzu kommen. "In allen Fällen versuchen wir, in der telefonischen Beratung zu helfen und Auswege aus mancher Situation zu zeigen", erklärt sie. Für manche sei es schon eine Entlastung, mit jemand Außenstehendem darüber zu sprechen. Manchen würde aber nur ein Paargespräch helfen. "Das ist mit den derzeitigen Auflagen nur schwer möglich", sagt Pastors.

Auch die Mitarbeiter des sozialpsychiatrischen Dienstes Insel mussten die Form der Beratung auf das Telefon umstellen. Die Beratungsstelle in der Forchheimer Dreikirchenstraße richtet sich an Menschen, die von seelischen Belastungen oder psychischen Erkrankungen betroffen sind und deren Angehörige. "Gerade am Anfang der Corona-Beschränkungen haben wir eine kleine Welle an neuen Fällen gespürt", erklärt Christiane Tefett-Winkler.

"Vielen Psychisch-Kranken fehlen die Sozialkontakte"

Doch auch diejenigen, die schon länger Hilfe von den Experten der Insel bekommen, müssen im Auge behalten werden. "Bei vielen Psychisch-Kranken fehlen die Sozialkontakte", erzählt sie. Dann kann sich die Krankheit wieder verschlimmern. Deshalb rät sie jedem, der unter der derzeitigen Situation leidet und sie mehr und mehr als ausweglos sieht: "Jeder darf bei uns kostenfrei anrufen und sagen, was ihn belastet." Wenn die Mitarbeiter das Gefühl hätten, sie könnten dem Anrufer nicht helfen, weil er mit seinem Anliegen an anderer Adresse besser beraten wäre, würden sie ihn weiter verweisen, an die Schuldnerberatung zum Beispiel. "Wir haben ein gutes Netzwerk mit anderen Einrichtungen", sagt Christiane Tefett-Winkler.

Claudia Heinrich tut sich schwer, mit ihrer Krankheit nach außen zu gehen. Einmal pro Woche ist sie in Behandlung bei einer Psychotherapeutin. "Das Reden hilft", sagt sie. Entlastung im Alltag allerdings bringt es wenig. Da könnte nur die Notbetreuung ihrer Kinder in Kita und Schule helfen. Anspruch darauf haben ihr Mann und sie nicht. "Wir arbeiten beide nicht in systemrelevanten Berufen", sagt sie.

"Wollte mir nicht die Blöße geben"

Lange Zeit hat sie sich nicht getraut, um Hilfe zu bitten. "Ich wollte mir nicht die Blöße geben und Bittsteller sein", sagt sie. Doch nun hat ihr die Jugendsozialarbeiterin an der Schule ihres Sohnes Mut gemacht. "Das Jugendamt könnte unseren Einzelfall prüfen und die Notbetreuung möglich machen", hofft Claudia nun.

Ihre Hoffnung ist nicht ganz unbegründet. "Auch wenn dem Jugendamt ein gewisser Ruf vorauseilt und sich viele scheuen, hier anzurufen, oft macht es Sinn", sagt Holger Strehl, Pressesprecher des Landkreises, und verweist auf die Beratungsfunktion des Jugendamtes. Auch in Claudia Heinrichs Fall würde er den Kontakt empfehlen.

"Wenn es so kommt, dass wir wieder ein Stück alte Normalität im Alltag hätten, dann wäre das schon eine große Erleichterung für mich", sagt Claudia.

Diese Telefon-Notrufnummern können helfen, wenn der Stresspegel steigt, Streitigkeiten und Konflikte zunehmen oder die Situation nur noch ausweglos erscheint:

- Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle des Caritasverbandes, Telefon: (0 91 91) 70 72 40.

- Allgemeiner Sozialdienst des Amtes für Jugend, Familien und Senioren im Landratsamt Forchheim, Zentrale: (0 91 91) 8 60.

- Familien mit Kindern unter 3 Jahren, Ansprechpartner: KoKi – Netzwerk frühe Kindheit, Telefon (0 91 91) 86 23 70 und (0 91 91) 86 23 72.

- Insel, Sozialpsychiatrischer Dienst – Telefon (0 91 91) 7 36 29 60.

- Nummer gegen Kummer: Bundesweiter Kontakt für Kinder, Jugendliche und Eltern; für Kinder und Jugendliche: Telefon (08 00) 166 111; für Eltern: (08 00) 111 05 50.

- Telefonseelsorge, Angebot der katholischen und evangelischen Kirche Deutschland: Telefon (08 00) 111 0 111 oder (08 00) 111 02 22

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