Forchheim: Experte warnt vor digitaler Reizüberflutung bei Kindern

11.11.2019, 19:46 Uhr
Forchheim: Experte warnt vor digitaler Reizüberflutung bei Kindern

© Foto: Jens Kalaene/dpa

"Das Wichtigste ist Bindung und Beziehung", könnte als Quintessenz des Bildungsforums von Sparkasse und Staatlichem Schulamt genommen werden.Der Vorraum in der Hauptstelle der Sparkasse in Forchheim war bis auf den letzten Stuhl besetzt – die Veranstaltung ausverkauft. Lehrer/innen und Erzieher/innen und viele interessierte Eltern aus der gesamten Region waren gekommen.

Das Thema in diesem Jahr: Wie das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder verbaut. "Es ist ein Thema, das uns alle angeht", meinte eine Grundschullehrerin aus Poxdorf. Sie hoffte, dass sich der Abend und die Gespräche über den Fachbereich hinaus verbreiten werden.

Forchheim: Experte warnt vor digitaler Reizüberflutung bei Kindern

© Foto: Peter Wirtz

Zwei Lehrerinnen aus Ebermannstadt, die im Vorfeld schon Bücher vom Referenten Michael Winterhoff gelesen hatten, meinten positiv: "Man erfährt sehr viel Neues und wird an Dinge erinnert, die in Vergessenheit geraten sind."

Fast alle Besucher erwarteten sich nützliche Tipps und Ratschläge für den privaten Bereich als auch für den Schulalltag. Michael Winterhoff, Jahrgang 1955, arbeitet als Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bonn, wo er auch als Psychotherapeut tätig ist. Er beschäftigt sich vorwiegend mit der Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen und untersucht Störungen in der psychischen Reife in Folge einer veränderten Eltern-Kind-Beziehung.

Scheitern in der Probezeit

Im Vortrag ging Winterhoff auf sein zuletzt veröffentlichtes Buch ein. "Deutschland verdummt: Wie das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder verbaut". 50 Prozent der Abiturienten seien nicht mehr hochschulreif, es fehle an Grundkenntnissen in Mathematik und Deutsch. Ein Drittel der Absolventen mit Master- oder Bachelor-Abschluss würden die Probezeit nicht überstehen oder das Studium vorzeitig abbrechen.

"Unser Bildungssystem ist riesig, aber nicht befriedigend", schickte Ewald Maier, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse, dem Vortrag voraus. Winterhoff beschrieb chronologisch verschiedene Abschnitte, die Veränderungen und Störungen der emotionalen und sozialen Psyche mit sich brachten.

Drei große Hauptprobleme für den Nachwuchs

Seiner Meinung nach hätten sich viele Probleme durch die Digitalisierung, die Beschäftigung mit dem Internet und die Smartphone-Entwicklung ergeben. Daraus resultieren seiner Meinung nach drei große Hauptprobleme.

Zum einen sei durch die zunehmende Digitalisierung die Kindheit abgeschafft worden. Kinder werden wie kleine Erwachsene behandelt und fungieren heute mehr als Partner. Durch diese Konstellation können erhebliche Schwierigkeiten im sozialen Miteinander entstehen. Ein weiteres Problem sieht er in der "Projektion". Aus dem Wunsch heraus, vom Kind geliebt zu werden, begeben sich die Bezugspersonen auf fragwürdige Ebenen. Die dritte Schwierigkeit sieht Winterhoff in einer Art Symbiose, in der keine seelische Abgrenzung mehr möglich ist. Dadurch kann keine realistische Einschätzung des Kindes von Seiten der Eltern erfolgen. Hinzu komme die ständige Reizüberflutung aufgrund dauernder Smartphone-Nutzung. Kinder seien heute im Vergleich zu früher weniger begeisterungsfähig. In seinen Behandlungen bekäme er in den Gesprächen monotone, einsilbige Antworten. Viele seiner Patient/innen seien in der Entwicklung ihrer Psyche im frühesten Kleinkindalter stehen geblieben.

Kinder brauchen Anleitung

Der Referent war der Ansicht, dass eine funktionierende Gesellschaft auf einer gesunden Entwicklung der emotionalen und sozialen Psyche beruht. Kinder brauchen dazu Anleitung, Begleitung und Orientierung durch Eltern, Bezugspersonen, Lehrer/innen und Erzieher/innen. Ein vermehrt personenbezogenes Lernen, wiederholte rituelle Abläufe und direkte Ansprache seien der Schlüssel dazu. Er kritisierte die fortschreitende Digitalisierung in Schulen und das Konzept des "autonomen Lernens". Doch wie davon loskommen? Michael Winterhoff riet zu Wald-Spaziergängen, um wieder bei sich anzukommen. Im Abstand von zwei Wochen zwei Stunden durch den Wald spaziert, könnten da schon enorme Veränderungen bewirken.

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