Forchheim: Hier schaut das Mittelalter aus dem Boden

23.9.2020, 12:00 Uhr
Forchheim: Hier schaut das Mittelalter aus dem Boden

© Foto: Ralf Rödel

Seit knapp zwei Wochen wird an der Ecke zwischen Luitpoldstraße und Wallstraße fleißig gekehrt, geputzt, geschaufelt und abgetragen. Schotter wird verteilt, Steine werden geklopft und Bagger fahren ein und aus. Aber nicht nur die Sanierung der Straße wirbelt einigen Staub auf, auch unter dem Straßenbelag hat sich erstaunliches aufgetan: Archäologen sind in der Stadt.

Während der Erneuerung des Asphalts sind Überreste der spätmittelalterlichen Stadtmauer aufgetaucht. In einer Tiefe von etwa 1,50 Metern ist das Team um Matthias Hoffmann vom Bamberger Archäologie-Büro ReVe derzeit mit den Ausgrabungen beschäftigt. "Der Fund ist schlichtweg fantastisch", eröffnet Hoffmann den kleinen Rundgang über das knapp 15 Meter lange und 1,50 Meter breite Mauerwerk.

Geschichte wird sichtbar

Die gut erhaltenen Buckelquader geben auf mehreren Ebenen Rückschluss auf die Geschichte der alten Stadtmauer: "Wir können nun den Verlauf, den wir vorher nur ungenügend mithilfe von anderen Funden nachzeichnen konnten, genauer kartieren", führt der Archäologe aus.

Die bislang einzigen Überreste der alten Stadtmauer im heutigen Stadtgebiet sind im Gemäuer des Saltorturms sowie an der südwestlichen Kemenate an der Kaiserpfalz zu sehen. Ähnlich wie am Pfalzmuseum blieb der neue Fund so hervorragend konserviert, weil das Mauerwerk als Fundament für spätere Bauten an dieser Stelle diente.

Bis 1953 stand hier die sogenannte Fron-Veste, ein historisches Ensemble mit Wohnhaus, Stallung, Holzlege und Kerker. Hier sperrten die Handlanger des Bamberger Fürstbischofs ab 1698 all diejenigen ein, die sich schlimmer Straftaten wie Mord, Vergewaltigung, Brandstiftung oder schweren Diebstahls schuldig gemacht hatten. Nach Abriss des Hauses brachten die Luitpold-Lichtspiele von Walter Witthüser in den 1950er Jahren an gleicher Stelle Glanz und Glamour in die Stadt, der ein oder andere Forchheimer kennt vielleicht noch den "Tengelmann", den ersten Supermarkt der Stadt, als Nachfolgenutzung. Zuletzt war hier ein Bekleidungsgeschäft für Kinder untergebracht.

Exakte Datierung möglich?

Ein weiterer Aspekt, der den Fund besonders macht, ist das Vordringen bis zur ursprünglichen Baugrube der Befestigung. Die Archäologen hoffen, bei weiteren Ausgrabungen westlich in Richtung Wallstraße so genannte Pfahlroste zu finden. Diese Konstruktionen aus Eichenholz dienten im Mittelalter als Fundament für Wallbefestigungen. Sollten die Wissenschaftler fündig werden, sei mithilfe der Methode der Dendrochronologie an dieser Stelle eine naturwissenschaftlich exakte Datierung des Baubeginns möglich.

Bei diesem Verfahren wird das Alter von Holz anhand der unterschiedlichen Breite der Jahresringe einem bestimmten Zeitraum zugeordnet. "Eine genaue Datierung wäre eine tolle Sache", schwärmt Hoffmann. Bislang konnten die Forscher das Alter der spätmittelalterlichen Mauer nämlich nur anhand unzureichender schriftlicher Quellen einschätzen und in etwa auf das Jahr 1310 datieren.

Wehrturm gefunden?

Ein weiterer Umstand, der Hoffnung auf noch mehr Erkenntnisse macht, ist die Verzahnung von Ost-West- und Nord-Süd Achse der beiden Mauerüberreste. Wären diese beiden Verläufe nicht ineinander verbaut, würde dies auf unterschiedliche Bauzeiten hinweisen. Da sie aber ineinander greifen, vermuten die Archäologen, die Überreste eines großen Stadtmauerturms gefunden zu haben.

Dieser würde in seinen Ausmaßen sogar die Dimensionen des Saltorturms deutlich übersteigen. "Ich bin vorsichtig optimistisch, da mit dem Nürnberger Tor unweit einer der drei Zugänge in die Festung Forchheim liegt und ein Turm an dieser Stelle somit Sinn machen würde", ergänzt Hoffmann.

Eine so alte Stadt wie Forchheim sei ein einziges Bodendenkmal, deshalb habe ihn der Fund nicht überrascht: "Die Wallstraße trägt nicht umsonst ihren Namen." In den nächsten Wochen gilt es, die offenen Fragen zu klären. Dafür schwitzen täglich bis zu sechs Mitarbeiter/innen in der Hitze des Spätsommers, schachten, stratifizieren, vermessen, konservieren und legen frei. Immer wieder stoppen Passanten für einen neugierigen Blick oder einen kurzen Plausch, auch das eine oder andere Foto wird geschossen.

Wie mit den Überresten verfahren wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Stadt als Bauherrin und das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege entscheiden gemeinsam über den Verbleib des Denkmals. Hoffmann bringt eine Plakette inklusive Präsentation eines Quaders vor Ort als mögliche Idee ins Spiel.

Dass das Zweischalenmauerwerk nach der sorgsamen Dokumentation durch die Archäologen abgetragen wird, steht jedoch fest. Dies sei ein ganz normales Prozedere mit Denkmälern an viel befahrenen Straßen und im Sinne der Bürger. Es bleibt also spannend rund um Paradeplatz und Martinschule.

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