Forchheim: Kleiner Chip mit großer Wirkung bei Depressionen

18.8.2018, 08:00 Uhr
Forchheim: Kleiner Chip mit großer Wirkung bei Depressionen

© Foto: Giulia Iannicelli

Himmelhoch jauchzent, zu Tode betrübt: Viele kennen diese Gemütszustände. Bei manchen jedoch sind sie so stark ausgeprägt, dass die Stimmung zwischen Phasen der Manie und Phasen der Depression schwankt. Bipolare Störung nennen Mediziner diese Form der psychischen Erkrankung. Zwischen einem und drei Prozent der Deutschen leidet darunter. Bei einem weiteren Prozent der Bevölkerung wurde im Laufe des Lebens die Krankheit Schizophrenie diagnostiziert. Auch diese eine Erkrankung, die in Schüben voranschreitet.

Beiden Patientengruppen will die Firma Mindpax helfen. Gegründet wurde sie in Prag als eine Art Ableger des Tschechischen Nationalinstituts für geistige Gesundheit. Inzwischen ist sie im Forchheimer Medical Valley Center zu Hause. Seit fünf Jahren arbeitet das Team um Chief Executive Officer (CEO) Pavel Nevicky an einem System, das manisch-depressiven Patienten und deren Ärzten helfen soll, Schübe der Krankheit vorherzusagen, um rechtzeitig medikamentös gegensteuern zu können.

Dabei hat nur einer der Gründungsmitglieder, Filip Španiel, in seinem Beruf als Psychiater überhaupt mit diesem Krankheitsbild zu tun. Pavel Nevicky selbst hat Statistik studiert und zusätzlich einen Wirtschaftsabschluss in der Tasche. Sein Kollege Jan Novak ist IT-Spezialist.

"Eines Abends saßen wir im Restaurant zusammen und Filip erzählte uns, dass er vermute, die Attacken seiner manisch-depressiven oder schizophrenen Patienten hängen mit ihrem Schlafverhalten und ihrer körperlichen Aktivität zusammen", erinnert sich Pavel Nevicky. Sollte sich diese Vermutung bestätigen, könnte das bedeuten, dass man die Krankheitsschübe anhand von diesen Parametern vorhersagen könnte. Die Idee für Mindpax war geboren.

Rohdaten werden gesammelt

Fünf Jahre später ist aus der Idee ein System geworden, das in Tschechien bereits im klinischen Einsatz ist und das nun auf dem deutschen Markt etabliert werden soll. Dieses sammelt mit Hilfe einer Handy-App und eines speziellen Armbands Rohdaten aus dem Alltag des Patienten. "In der App beantwortet der Patient einmal in der Woche einen Fragebogen", erklärt der CEO. Dabei soll er zum Beispiel angeben, ob der glaubt, er könnte im Moment alles erreichen. Oder ob er denkt, er habe nicht genug Energie, um morgens aufzustehen.

Zusätzlich zu diesen Fragen sammelt der Chip im Armband — ähnlich wie bei einem herkömmlichen Fitness-Armband — Daten über den Aktivitätsgrad des Patienten und über deren Schlafverhalten. Auch diese Daten werden in der App abgebildet. "Natürlich könnte man dafür auch jedes andere Fitness-Armband benutzen, doch wir gehen anders mit den Daten um", erläutert der Manager. Mindpax arbeite mit Primärdaten und suche dabei langfristige Trends und Verbindungen zum Gesundheitszustand des Patienten.

"Im Laufe unserer ersten klinischen Versuche in Tschechien hat sich herausgestellt, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Schlaf- und Aktivitätsverhalten und bevorstehender Attacke gibt", erklärt Pavel Nevicky. "Wenn zum Beispiel eine manische Phase bevorsteht, beginnt der Patient weniger zu schlafen."

Ob das tatsächlich ein Anhaltspunkt für einen bevorstehenden Krankheitsschub ist, rechnet im Hintergrund ein Algorithmus aus, der dafür alle Daten zusammenführt. Das Ergebnis wird dem behandelnden Arzt mitgeteilt, der dann einschätzen kann, ob es Zeit ist, die Medikamente umzustellen. "Passiert das rechtzeitig, also fünf bis sechs Wochen vor dem anstehenden Schub, ist es möglich, den Schub zu verhindern oder dessen Intensität zu verringern", erklärt der 42-Jährige Firmenchef. Schon die allererste Studie, die die Firma an einer Klinik in Japan durchgeführt hat, wies in die richtige Richtung: "70 Prozent der Teilnehmer mussten trotz bevorstehender Attacke nicht ins Krankenhaus."

Diese Daten wiederum haben deutsche Krankenkassen aufhorchen lassen. Denn die stationäre Behandlung von psychisch Kranken ist ein Kostenfaktor im Gesundheitssystem. "Die Kosten für Krankenhausbehandlungen von Patienten mit Schizophrenie und bipolaren Störungen liegen bei 100 Billionen Euro pro Jahr in der EU", so Pavel Nevicky. Deutschland sei dabei eines der Länder, in denen die Behandlung am teuersten ist. "Aus diesem Grund, aber auch weil die Unis Erlangen und München bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen einen sehr guten Ruf haben, haben wir uns für den nächsten Schritt Deutschland ausgesucht", sagt er.

Lebensqualität steigern

Vor gut einem Jahr mietete sich Mindpax ins Forchheimer Medical Valley Center ein. Inzwischen sind alle zehn festangestellten Mitarbeiter "mitten im Umzug". Bis sich das System in der deutschen Psychiatrie durchsetzt, dauert es noch viele Jahre, das wissen die Firmengründer. Doch das Interesse ist da, eine klinische Studie mit 400 Patienten läuft gerade an der Universität Prag. Am Klinikum in Ansbach soll bald die erste Studie in einem deutschen Krankenhaus folgen.

Zudem konnte das Unternehmen einen US-Investor an Land ziehen, der das Mindpax-System für den fehlenden Baustein bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen hält. "In den USA wird daran geforscht, wie man herausbekommt, ob die Medikamente für einen Patienten die richtigen sind", sagt Nevicky und erklärt: Von der Diagnose bis zu dem Zeitpunkt, an dem Patienten medikamentös richtig eingestellt sind, dauere es heute bis zu sieben Jahre. "Wenn sich dieser Zeitpunkt verkürzt und zusätzlich durch unser System Attacken verhindert werden können, haben wir viel erreicht" — für die Lebensqualität der Patienten, aber auch in der Versorgung psychisch Kranker.

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