Bis zu 34 Fälle gleichzeitig

Forchheim will mehr Jugendsozialarbeit an Schulen

30.9.2021, 08:02 Uhr
Natalie Grünert im Gespräch mit einem Grundschüler. Die Sozialpädagogin mit Schwerpunkt Jugendsozialarbeit an Schulen unterstützt Kinder an der Forchheimer Martinschule.

© Eduard Weigert Natalie Grünert im Gespräch mit einem Grundschüler. Die Sozialpädagogin mit Schwerpunkt Jugendsozialarbeit an Schulen unterstützt Kinder an der Forchheimer Martinschule.

Im Haupt-, Personal- und Kulturausschuss des Stadtrats berichteten Sozialpädagoginnen von ihren täglichen Einsätzen bei der Jugendsozialarbeit (JaS) an Schulen: An der Adalbert-Stifter-Mittelschule gibt es 250 Schüler von der 5. bis zur 11. Klasse, 60 Prozent davon mit Migrationshintergrund, berichtete JaS-Kraft Kim Behm.

Manche Schüler seien „tieftraurig, ihnen ist alles zu viel“. In einem Fall hatte sie es mit drohender Wohnungslosigkeit einer Mutter zu tun, in einem anderen litt ein Junge unter der Trennung seiner Eltern. Sie zählte auf, worunter Schüler häufig litten: Familiäre Probleme, Interkulturalität, geringes Selbstvertrauen, Selbstverletzung bis hin zu Suizidalität, psychische Belastungen, Mobbing, Frust, Sucht, Schulverweigerung sowie Sexualität und Gender.

"Innerliche Warteliste mit weiteren Kindern"

Natalie Grünert ist für die JaS an der Martinschule zuständig. Die NN hatten sie jüngst vor Ort besucht, um Einblicke in ihre Arbeit zu erhalten. 350 Kinder gehen auf die Schule, 56 Prozent haben Migrationshintergrund. Zu ihr kämen etwa 15 Prozent aller Schüler pro Schuljahr. Sie habe bis zu 20 Fälle gleichzeitig – und eine „innerliche Warteliste mit weiteren Kindern“, die Bedarf hätten, die sie gerade aber nicht auch noch übernehmen könne.

Mitunter lege man Kinder mit ähnlicher Thematik zusammen. Aber: „Das wird dem Kind oft nicht gerecht.“ Bei ihr käme hinzu, dass sie für zwei Häuser verantwortlich sei. Im Frühjahr war die Situation an der Martinschule schon einmal Thema, als es um die Aufstockung einer 75-Prozent-Stelle auf 100 Prozent ging, die dann befürwortet wurde. Nun wollten die Stadträte genauer über die Situation an den Grund- und Mittelschulen informiert werden.

Jugendsozialarbeit an Schulen: Wichtige „Brückenfunktion“

Gabriele Obenauf, Leiterin des Amtes für Jugend, Bildung, Sport und Soziales der Stadt Forchheim, erklärte: Ziel der Jugendsozialarbeit sei es, die Kinder in ihrer persönlichen Entwicklung zu fördern. JaS habe eine Brückenfunktion: Probleme könnten frühzeitig angegangen werden. Die sozialpädagogischen Fachkräfte seien vernetzt und würden je nach den Bedürfnissen Eltern und Kinder an die richtigen Fachstellen weitervermitteln können.

Früher sei für Grundschulen ein Migrationsanteil von 20 Prozent notwendig gewesen, um JaS-Stellen genehmigt zu bekommen. Doch das sei inzwischen nicht mehr notwendig, überhaupt sei der Bedarf an JaS immer mehr gestiegen.

Durchweg positive Rückmeldungen von Schulleitern

Die Rückmeldungen von Schulleitern zu bereits etablierten JaS-Stellen seien durchweg positiv, berichtete Gabriele Obenauf. An der Grundschule Reuth gibt es noch keine Stelle. Interesse sei da, nur die Raumfrage noch ungeklärt – denn eine JaS-Kraft hat immer ein eigenes Büro.

Gerade durch die Pandemie sei der Bedarf noch gestiegen. Auch bestehe die Befürchtung, dass Kinder aus bildungsarmen Schichten noch stärker abgehängt wurden. Insbesondere im Forchheimer Norden gebe es den höchsten Jugendhilfebedarf.

Corona-Pandemie hat die Lage verschärft

„Ganz neu ist das Programm ,Aufholen nach Corona‘ des Bundes“, erklärte Obenauf. Damit könnten Kommunen jetzt JaS-Stellen für das Schuljahr 2022/23 beantragen. Diese Stellen seien dann zwei Jahre befristet und verbunden mit einer dreifachen Förderung.

"Schulen nicht im Regen stehen lassen"

Thomas Werner (CSU) zeigte sich betroffen und lobte die „wertvolle Arbeit“. Kinder seien die Zukunft. „Dass es eine Warteliste im Geiste gibt, weil es nicht geht, sich um alle zu kümmern, die es brauchen, kann nicht so bleiben.“ Er wolle, dass die Schulen nächstes Schuljahr nicht wieder im Regen stehen. Eine Kenntnisnahme des Vortrags, wie in der Beschlussvorlage vorgesehen, sei ihm eindeutig zu wenig.

„Die Stadt muss als Vorreiter dienen. Wir müssen Stellen schaffen und einen klaren Auftrag formulieren“, forderte er. Bürgermeisterin Annette Prechtel (FGL) antwortete: „Dass es nicht bei der Kenntnisnahme bleibt, habe ich mir schon gedacht, aber wollte nicht vorgreifen und die Diskussion abwarten.“

An der Raumfrage soll es nicht scheitern

Cordula Haderlein, Leiterin des Staatlichen Schulamtes, betonte: „Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig der Ort Schule ist.“ Die Jugendsozialarbeit sei eine wertvolle Hilfe neben dem System Schule, die individuell unterstütze. Auch in Reuth gebe es Bedarf: „An der Raumfrage soll es nicht scheitern. Schulen sind durchaus kreativ, wenn es darum geht, Räume zu finden.“

Melanie Rövekamp (FGL), selbst an der Martinschule tätig, konnte beitragen: „Lehrer sehen die Notwendigkeit der JaS und schätzen sie sehr.“ Zudem erkundigte sie sich nach den neuen Förderbedingungen für die Stellen. Gabriele Obenauf antwortete: „Ich sehe gute Chancen, jetzt Stellen genehmigt zu bekommen.“ Natürlich müssten die Schulleiter entsprechende Stellungnahmen abgeben. Aber durch das Programm des Bundes sei es gerade günstig, Fördermittel zu erhalten.

Bis zu 34 Fälle gleichzeitig

Atila Karabag (SPD) betonte, „dass hier wertvolle Arbeit geleistet wird“. Er fand es „sehr beeindruckend“, dass die JaS-Kraft mit bis zu 20 Fällen gleichzeitig betraut ist. Daraus ergab sich eine Nachfrage an Kim Behm, die ergänzte, bei ihr an der Adalbert-Stifter-Mittelschule seien es bis zu 34 Fälle gleichzeitig.

Lisa Hofmann (SPD) fügte hinzu: „Ich denke, wir haben jetzt ein gutes Bild von der Situation in Forchheim und von dem, was nun zu tun ist.“ Der Jugendhilfeausschuss fände wieder im Oktober statt: „Das wäre sportlich, aber könnte man schaffen.“

"Das sind Hilferufe von Kindern"

Manfred Hümmer (FW) schloss sich im Namen seiner Fraktion an, dass man konkret werden müsse und eine nachhaltige Entwicklung und Stärkung brauche. Ähnlich sah es Carina Schneider (JB): „Das sind Hilferufe von Kindern, das ist traurig. Wie wir im Bericht gehört haben, brennt es an vielen Stellen. Deshalb unterstütze ich das Vorhaben.“

Bürgermeisterin Prechtel wollte die Beschlussvorlage so anpassen, dass eine „personelle Aufstockung gewünscht sei und das mit Schulleitungen und dem Landkreis abgeklärt“ werden solle. Thomas Werner daraufhin: „Die Formulierung ,wird gewünscht‘ geht mir nicht weit genug.“ Bis 2022 müsse etwas passieren. „Wir müssen Nägel mit Köpfen machen.“

Die Formulierung wurde angepasst – der Beschluss fiel einstimmig, sich mit Schulleitungen und dem Landkreis abzustimmen, um die Ergebnisse noch vor den Haushaltsberatungen vorgestellt zu bekommen.

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