Forchheimer blätterWALD 2019 startet furios

5.11.2019, 16:51 Uhr
Forchheimer blätterWALD 2019 startet furios

© Foto: Udo Güldner

Die letzten Scheinwerfer sind schon lange erloschen. Die blonde Venus verbirgt ihr maskenhaft bleiches Antlitz. Mit brüchiger Stimme erzählt sie von längst vergangenen Zeiten, als sie als "spanische Tänzerin" die Kinobesucher entzückte. Trotzig sang sie einst gegen die Vergänglichkeit an. Mit melancholischen Chansons, die auch von Lili Marleen berichteten. Nun hat sich die zähe alte Dame in selbstgewählte Einsamkeit begeben. In ihrer Pariser Wohnung schreibt sie ihre Memoiren. Die Erinnerungen an einst glorreiche Zeiten sucht sie mit Alkohol und Tabletten gleichermaßen hervorzulocken, wie vergessen zu machen.

Schon früh machte der kleinen Marlene die Weltpolitik einen Strich durch die Rechnung. Da wuchs sie behütet in einem wohlhabenden Elternhaus in Berlin auf, das Geigen- und Klavierlehrer, sowie eine englische Gouvernante kannte. Die Schule hingegen empfand sie als Gefängnis, in dem sie Angst vor Lehrern, Strafen und der Einsamkeit unter den älteren Klassenkameradinnen hatte. Nur ihre Französisch-Lehrerin "kannte meine scheuesten Hoffnungen". Dann kam der Erste Weltkrieg, und Mademoiselle Breguand war verschwunden. Sie war schließlich einer der "Erbfeinde". Wie die Kriegsgefangenen, denen das Mädchen Marlene am Tag der Bastille weiße Rosen durch den Stacheldraht reichte. Es ist mucksmäuschenstill in der Schalterhalle der Sparkasse, als Michelsen die Zuhörer mit sanfter Stimme an den gefährlichen Zaun führt, als sie erzählt, dass das Mädchen damals deswegen von der Schule verwiesen wurde. Schon damals war die Dietrich eine Frau mit Haltung.

Es sind Frauen, die Marlene Dietrich von Kindesbeinen an geprägt haben. Eine charmante und elegante Großmutter, die in ihr das Verlangen nach schönen Dingen weckte. Pferde, Kleider und Schmuck eben, aber auch Literatur, Musik, Kunst. Eine Mutter, die sie zur Pflicht erzog. Cousinen und eine Tante, die im Haushalt lebten. Männer hingegen waren rar. Ihr Vater war schon früh gestorben, ihr Stiefvater an der russischen Front seinen schlimmen Verletzungen erlegen. So hat der Krieg ihr nicht nur den Schlaf geraubt. Sie kam in ein Internat nach Weimar, wo sie sich ins Theater und die Konzerte flüchtete, um nicht früh zu Bett gehen zu müssen. Ihr Ersatzvater wurde ein gewisser Goethe, den sie all die Schuljahre angebetet hatte. Doch die Sehnsucht nach echter Liebe ließ die einsame junge Frau nicht los. Es sollte ein Glücksfall sein, dass sich ihre Liebe zur Sprache und die körperliche Zuneigung aufs Beste verbinden ließen. Sie lernte Rudolf Sieber kennen, mit dem sie erste Gehversuche vor einer Filmkamera und andere Erfahrungen abseits des Scheinwerferlichtes machte. Sie heirateten und bekamen Tochter Maria, beider ganzes Glück.

Während Marlene Dietrich für das Kinopublikum verdorbene Frauen darstellte war sie doch viel lieber eine gefühlvolle Mutter. Die Erfolge des "Fräulein Dietrich" mit dem Regisseur Joseph von Sternberg, der sie als "Blauen Engel" über die Leinwand schweben ließ, ermöglichten ihr den ersten Nerzmantel und eine Karriere in Hollywood.

Nun musste die Entwurzelte perfektes Englisch sprechen und "irgendwie mysteriös sein". Als femme fatale faszinierte sie, verwischte mit Hut und Krawatte die Geschlechtergrenzen. Zugleich lernte sie den Schriftsteller Erich Maria Remarque kennen – und lieben. Er war, wie ihre große Leidenschaft, der legendäre Jean Gabin, verwundbar und melancholisch.

Gabin war aber auch ein Kämpfer, der sich wie die Dietrich im Zweiten Weltkrieg engagierte. Er als Frontsoldat für de Gaulles "Freies Frankreich" in Nordafrika, was ihn mehrfach nur knapp überleben ließ. Sie als Entertainerin in der Truppenbetreuung bei der US-Armee. Dafür wurde sie in Deutschland angefeindet. Während der Nazi-Diktatur und nachher auch noch. Sie meinte nur, man könne doch ein guter Deutscher sein, gerade weil man ein Feind eines verbrecherischen Regimes sein müsste. Dafür opferte sie gar ihre heißgeliebten Juwelen und reiste drei Jahre dem Krieg durch ganz Europa hinterher.

Danach wurde sie ein Star in Las Vegas, der Welt schönste Großmutter und Urgroßmutter, ein Opfer des Finanzamtes und eine Diva, die sich die Austern mit dem Hubschrauber liefern ließ. Der körperliche Verfall machte ihr schwer zu schaffen. Nacheinander starben all ihre geliebten Männer. Es wurde noch einsamer um die Einsame. Anders als in vielen ihrer Filme gab es kein Happy End.

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