Neues Buch veröffentlicht

Fränkische Vergangenheit: Lokalhistoriker über die NS-Zeit und ein Massaker am Weißen Sonntag 1919

23.11.2021, 08:58 Uhr
Fränkische Vergangenheit: Lokalhistoriker über die NS-Zeit und ein Massaker am Weißen Sonntag 1919

© Repro: Manfred Franze

Das Los des Lokalhistorikers ist es, ganz dicke Bretter zu bohren. Denn hier ist, anders als bei Darstellungen zu weltbewegenden Ereignissen, die Recherche und Überprüfung der Tatsachen ungleich aufwendiger. Man kann, wenn man die Ereignisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Gasseldorf oder Moggast erforschen will, nicht einfach ins Bücherregal greifen. Jedenfalls konnte man das nicht, bevor Manfred Franze sich ans Werk machte.

Behandelt keine Wohlfühlthemen: Manfred Franze.  

Behandelt keine Wohlfühlthemen: Manfred Franze.   © e-nn-for-20210706_170129-2.jpg, NN

Juden, die in Pottenstein, am Ort ihrer jahrelangen Pein, ausgelassen Fußball spielen? Überlebende eines Konzentrationslagers mitten im Dorf, die 1946 einen Sportclub namens Makkabi gründen und damit sogar ziemlich erfolgreich sind? Es klingt wie eine erfundene Geschichte – und doch ist sie wahr. Ebenso wahr wie das Massaker am „Weißen Sonntag“ 1919, als das Militär unbewaffnete Zivilisten niederschoss. Wie der ganz legale Raub der „Binghöhle“, der als Arisierung verharmlost wurde. Oder die Pogromnacht 1938, in der die „Volksgenossen“ sich nicht so sehr um die Juden sorgten, die misshandelt und verschleppt wurden, sondern vielmehr um den volkswirtschaftlichen Schaden durch die Zerstörungen.

Aufwendige Recherche

Stundenlang hat Franze im Stadtarchiv Forchheim oder in der Bibliothek des Fränkische Schweiz-Vereins in Ebermannstadt Zeitungsbände durchgeblättert, noch auf jeden kleinsten Hinweis geachtet. Er hat Zeitzeugen befragt, die sehr wahrscheinlich noch nie einem Außenstehenden ihre Erinnerungen erzählt haben, und deren Aussagen kritisch geprüft. Damit sich keine Missverständnisse oder Ungenauigkeiten einschleichen oder man jemandem aufsitzt, der einem Märchen auftischt. Er hat so ungeheuer viel Wissen gesichert, das ansonsten lautlos verschwunden wäre.

Die Hetzjagd vom 9. November 1938 auf die Juden in Forchheim und in unserer Region. Das Foto zeigt die zerstörte Synagoge in Forchheim.

Die Hetzjagd vom 9. November 1938 auf die Juden in Forchheim und in unserer Region. Das Foto zeigt die zerstörte Synagoge in Forchheim. © e-nn-for-20191105_115226-1.jpg, NN


Nun hat sich Manfred Franze zeit seines Lebens keine Wohlfühlthemen ausgesucht. Schon früh hat er sich mit den beiden Weltkriegen und dem Nationalsozialismus befasst. Vielleicht weil andere sich mit mittelalterlicher Geschichte oder barocker Kunst beschäftigt haben. Bei den Heimatkundlern schien lange Zeit die Devise vorzuherrschen, nur möglichst weit zurück zu schauen. Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass einige der hochgerühmten Heimatforscher selbst eine „braune“ Vergangenheit hatten.

Die Schwierigkeiten waren enorm

Ganz sicher hängt Franzes Engagement aber auch damit zusammen, dass er und seine Familie als Vertriebene aus ihrer sudetendeutschen Heimat zu Opfern des vom „Dritten Reich“ erbarmungslos geführten Weltkrieges geworden sind.

Teilnehmer eines NS-Aufmarsches Ende der 1930er Jahre auf dem Rathausplatz in Forchheim.  

Teilnehmer eines NS-Aufmarsches Ende der 1930er Jahre auf dem Rathausplatz in Forchheim.   © Repro: Manfred Franze

Der neue Lebensmittelpunkt inmitten der Fränkischen Schweiz interessierte Franze. Zugleich musste er als Neubürger Ebermannstadts keine große Rücksicht auf Familienangehörige, Nachbarn oder Freunde nehmen, die hier vor 1945 zu Tätern, Helfershelfern oder wohlwollenden Zuschauern geworden waren. Diese Freiheit nutzte Franze. Er nannte früh auch die Namen der Beteiligten und zeichnete so ein vollständiges, wenn auch für einige recht schmerzhaftes Bild.

Dabei waren die Schwierigkeiten enorm: Zum einen ist die Quellenlage alles andere als günstig. Noch kurz vor Kriegsende, in einigen Fällen auch lange nach dem letzten Schuss, haben die Täter belastende Unterlagen vernichtet. Zum anderen herrschte lange Jahre beredtes Schweigen. Obwohl kaum jemand sich der eigenen Vergangenheit stellen wollte, hieß es schon in den 1950ern, jetzt müsse „doch endlich einmal ein Schlussstrich gezogen werden“. Selbst die Nachkommen wollten mindestens eine Generation lang nichts davon wissen, was ihre Familienangehörigen im Nationalsozialismus getrieben hatten.

Dutzende Aufsätze

Das neueste Buch Franzes versammelt Dutzende Aufsätze der letzten fünf Jahre, die in den Nordbayerischen Nachrichten erschienen sind. Sie berichten aber nicht nur von jener Epoche, die ewiggestrige Gestalten als „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte abtun wollen. Sie richten den Blick des Lesers auf den Ersten Weltkrieg und seine Verheerungen, die Weimarer Republik und ihre zaghaften demokratischen Entwicklungen und die Nachkriegszeit, als es Dank der alliierten Besatzungsmächte zu einer doch etwas tieferen Annäherung der Westdeutschen an Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Demokratie gekommen ist.

Die Pogromnacht am 9. November. Am nächsten Tag sieht eine Schar Forchheimer bei der Zerstörung der jüdischen Synagoge in der Wiesentstraße zu.

Die Pogromnacht am 9. November. Am nächsten Tag sieht eine Schar Forchheimer bei der Zerstörung der jüdischen Synagoge in der Wiesentstraße zu. © Archiv: Manfred Franze

Nun kann man diese Texte noch einmal nachlesen. Man kann in über 800 Fußnoten auch nachsehen, woher Franze seine Erkenntnisse hat. Es sind die Früchte aufwendiger Recherchen und langen Nachdenkens. Sie seien allen wärmstens ans Herz gelegt, die mehr über unsere Region und ihre Geschichte erfahren wollen.

Manfred Franze: „Der schwierige Weg zur Demokratie. Forchheim, Ebermannstadt und die fränkische Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, geb. 300 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Bumerang-Verlag Bayreuth 2021, ist zum Preis von 19,50 Euro im Buchhandel erhältlich.

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