"Ich erschieß dich": Der 15. April 1945 in Kirchehrenbach

15.4.2015, 00:00 Uhr

© Och

Wie Theo Schnitzerlein erzählte, rückten schon am 15. April von Weilersbach her die amerikanischen Truppen an. Auf ihrem Rückzug beschossen Wehrmachtsangehörige den Feind. Von einer amerikanischen Granate getroffen, starben am Fuß des Walberlas die deutschen Soldaten Hubert van Dahlen und Klaus Jürgen Thiele. Ihr Grab im Friedhof wird bis heute von Einheimischen gepflegt.

Bei der Einnahme des Dorfes nahmen die Amerikaner deutsche Soldaten gefangen und sperrten sie im Keller der Gastwirtschaft Schnell ein, deren Gewehre hatten sie an einer Scheune in der Brunnengasse abgestellt. "Unter uns Schulkindern ergriffen einige die Gelegenheit, Soldaten zu spielen und so entwickelte sich das tragische Unglück, bei dem der Schulkamerad Alexander Dötzer um sein Leben kam."

Munition lag herum

Um die Ecke entfernt spielte Theo mit Alexander – damals zehn Jahre – auf einem Sandhaufen, da hörten sie, wie Ferdinand (Krafft) verkündete, er habe ein Gewehr geladen – die Munition lag überall offen herum. Alexander sagte: »Jetzt gehe ich mal zu den Soldatenspielern.« Kaum war er um die Scheunenecke, rief von dort der Schulkollege Hans: "Jetzt erschieß ich dich" - und schon knallte ein Schuss.

"Erschrocken fuhr ich zusammen und sah, wie sich die Schulkameraden total verstört davonschlichen. Mein Freund Alexander lag zusammengekauert am Boden. 'Der Hans hat mich erschossen‘ waren die letzten Worte, die ich von ihm hörte", erzählte Schnitzerlein. Ein Amerikaner fuhr den noch lebenden Jungen ins Forchheimer Krankenhaus. Einige Stunden später ist Alexander Dötzer an seinen Verletzungen verstorben.

Ein blutiges Ereignis vom gleichen Tag hat Maria Stöcklein, geborene Vasold, aufgezeichnet: Ein deutscher Soldat lief mit MG-Kette und Panzerfaust den Weg zum Walberla hoch. Sie bekam Angst und lief schnell in den Keller des Nachbarn Hortel. Kaum da, brachten drei deutsche Soldaten einen Kameraden, dem das halbe Bein abgeschossen war. Von der Kellertreppe aus war zu sehen, dass die Blutlache des auf dem Sofa gebetteten Soldaten - angeblich ein Nürnberger - immer größer wurde. Gegen die Schmerzen wurde Schnaps verabreicht. Erst gegen 16.30 Uhr hörten die Schießereien auf. Der Nachbar Primus verständigte die amerikanischen Sanitäter. Ob der junge Soldat überlebt hat, ist nicht bekannt.

Am Abend hatten die Amis auch das Haus der Vasolds besetzt. Die Mama hatte "Bonnakern" gekocht und erst nach eigenen Kostproben aßen die "GI’s" mit. Eine Handgranate und einen Stahlhelm voll Bohnenkaffee ließen sie nach der einen Nächtigung zurück. "Es waren anständige Amerikaner", betonte Maria Stöcklein, sogar einen Ring bekam das junge Mädchen geschenkt.

Nur als es gegen Abend in Begleitung eines schwerbewaffneten Soldaten zum "Martinheiner" ins Dorf ging, kam die Angst wieder - besonders auf dem Rückweg, als der US-Boy die Hand um sie legen wollte. Noch heute sei sie stolz darauf, dass ihr damals der Satz über die Lippen ging: "Du Amerikaner, ich Deutsche, nix gut!" Rosa Amon bestätigte das zivilisierte Verhalten der GI’s: "Die haben zum Schlafen die Sofadecke umgedreht und unsere Puppen haben sie nicht angerührt."

Gab es auch andere Erfahrungen mit den Besatzern oder der abziehenden Wehrmacht, hakte Rosi Hofmann, die die Veranstaltung moderierte, nach. Ihre Schwester Marga Farschon konnte sich erinnern, dass sich deutsche Soldaten in der Backstube ihres Vaters (der spätere Bürgermeister Heinrich Hofmann) aufwärmten. Zur Aufforderung, sie sollten sich doch ergeben, entgegnete einer: "Den Eid, den wir dem Führer geschworen haben, dürfen wir nicht brechen."

"Brot rausgeschmissen"

Zur Frage nach Kriegsgefangenen in Kirchehrenbach wusste die heute 74-Jährige von einem großen Lager mit Russen. "Wir Kinder haben ihnen, wenn sie ausgeführt wurden, Brot rausgeschmissen. Auch wenn die Aufseher das verboten hatten, sagten wir, wir werden es wieder tun." In der Scheune vom Gasthaus Schnell seien Belgier und Franzosen untergebracht gewesen, "teilweise mussten sie Zwangsarbeit bei den Bauern verrichten", erinnerte sich Konrad Pieger.

Von einer Odyssee in Eisenbahnwaggons erzählte die 1921 in Mähren geborene Johanna Müller, die als Vertriebene 1947 beim "Staffelgötz"-Wirt eine erste Wohnung zugewiesen bekam. Dort stand plötzlich ihr totgeglaubter Mann unter der Tür. In der alten Heimat habe sie die Greueltaten der Russen erlebt. "Für uns war der Krieg erst 1947 zu Ende", erklärte Johanna Müller. Mit dem "anderen Gebetbuch" dazu sei sie anfangs hier nur geduldet gewesen. Das änderte sich spätestens, als sie von Willi Lochner aufgenommen worden sei, so die greise Dame heute.

An vielen anderen Orten in der Welt erlebten Männer aus dem Walberladorf, wie Josef Welsch, Martin Hofmann und Konrad Gebhardt die letzten Kriegstage. Hofmann wurde 1944 als 16-Jähriger eingezogen und 1946 aus französischer Gefangenschaft entlassen. Fußball habe er in dem 120 000 Mann-Lager als noch Jugendlicher nicht spielen dürfen, "aber schießen durfte ich", fasste Hofmann die Schizophrenie des Krieges in Worte. Josef Welsch war zunächst beim Reichsarbeitsdienst an der "Wolfsschanze" bei Rastenburg schikaniert worden. 1944 kam er in einem Jägerbataillon in Nizza und dann bei Avignon zum Einsatz. "Nach dem Angriff der Amis sind wir eine halbe Stunde lang nur über unsere Toten gestiegen, traumatisiert waren wir unfähig, auch nur die Erkennungsmarken abzunehmen", so Welsch. Stationen der Gefangenschaft waren für den Verwundeten dann Algerien, New York, ein Lager am Mississippi, danach Cherbourg in Frankreich und zuletzt das Lazarett in Idstein im Taunus.

Vom Kriegsende am 8. Mai hat Welsch aus einem Film in Amerika erfahren. Am 20. April 1945 (Hitlers Geburtstag) ist Josef Welsch heimgekommen. "Ich bin dankbar, dass ich heute eingeladen worden bin und meine Erlebnisse erzählen durfte - ich geh heut a weng‘ leichter heim", beschrieb Josef Welsch seine Gefühle.

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