Identische Neubauten: Forchheim, eine Stadt voller Schuhschachteln?

18.7.2020, 08:56 Uhr
Identische Neubauten: Forchheim, eine Stadt voller Schuhschachteln?

© Foto: Edgar Pfrogner

In der (Comic-)Antike in "Asterix bei den Briten" suchen der Gallier und seine Gefährten eine ganz bestimmte Adresse inmitten einer Neubausiedlung in London (beziehungsweise Londinium). "Ein Glück, dass wir die Hausnummer haben...", meint Obelix angesichts der endlosen Reihen identischer Bauten mit identischen Fenstern, Gärten und Zäunen, "...die Beschreibung des Hauses hätte wahrscheinlich nicht ausgereicht".

In dystopischen Zukunftsvisionen in Buch- und Filmform ist es ungefähr dasselbe Bild: Megastädte auf der Erde, dem Mond oder sonstwo, die von roboterhafter Gleichförmigkeit geprägt sind. Identische Plattenbauten und Wolkenkratzer, außen wie innen kalt, farblos, bewohnt von Menschen, die eher an Mensch-Maschinen erinnern.

Identische Neubauten: Forchheim, eine Stadt voller Schuhschachteln?

© Foto: Edgar Pfrogner

Und heute, in der Gegenwart des Jahres 2020? Schaut man sich Neubauten an – egal, ob (Mehr-)Familienhäuser, Wohnungskomplexe, Hotels oder Behördengebäude – sieht die Architektur im Grunde gleich aus: Es dominieren auch in und um Forchheim die Quader in Weiß unter einem möglichst flachen Dach in Grau (inzwischen "Anthrazit" genannt), durchzogen von Reißbrett-Fenster- und Türreihen.

Kantig, kühl und keimfrei

Die Inneneinrichtung gleicht sich der äußeren Fassade an, kantig, kühl und keimfrei, Ikea-Einheitsbrei. Nicht ausnahmslos, aber doch x-fach. Für architektonische Schönheit (ein weites Feld), farbenfrohe Unterschiede oder wenigstens etwas Fantasie in Form individueller dekorativer Elemente scheint heutzutage kein Platz mehr zu sein.

Identische Neubauten: Forchheim, eine Stadt voller Schuhschachteln?

© Foto: Edgar Pfrogner

Platz ist auch das richtige Stichwort: Denn es geht darum, diesen möglichst effizient nutzen. "Die kubische, rechteckig-gerade Schachtel-Bauweise ermöglicht es eben, die Wohnfläche von unten bis ganz oben zu optimieren. Man hat am Ende mehr Platz als bei schrägen Wänden mit Satteldach", sagt der Forchheimer Architekt Sebastian Körber, seines Zeichens baupolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag. Nicht alles, was geradlinig und schachtelhaft ist, sei misslungen, so Körber. Allerdings gebe es genug abstoßende Beispiele architektonischer "Mondlandschaften" – in Forchheim im kleineren Maß, in Großstädten aber oft in ganzen Vierteln.

"Platz-Optimierung"

Die "Platz-Optimierung" ist aber nur ein Faktor, der bei der zeitgenössischen Architektur eine Rolle spielt. Die Schuh- beziehungsweise Eierschachteln der Postmoderne müssen sich für die Bauträger schlichtweg lohnen und rechnen, vor allem in Zeiten extrem gestiegener Bau- und Bodenpreise, für die es immer mehr Bürokratie und Vorschriften gibt.

Identische Neubauten: Forchheim, eine Stadt voller Schuhschachteln?

© Foto: Ralf Rödel

Effizienz in der Finanzrechnung ist hier das Maß der Dinge für Bauherren – während die Ästhetik zurückstehen muss. Ganz zu schweigen von Begriffen wie Liebreiz, Charakter oder Diversität, die in Sachen Hausbau dieser Tage völlig Fehl am Platz wirken.

Vergabe von großflächigen Gebieten ist Trend

Hinzu kommt eine sich über Jahrzehnte gewandelte Art der Vergabe, wenn es um gemeindlichen Grund und Boden geht: Wurden bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bauflächen in kleinen, eigenständigen Flurstücken oder in größeren, dafür aber nicht immer zusammenhängenden Einheiten von Kommunen verkauft, überwiegt heute die Vergabe von relativ großflächigen benachbarten Gebieten am Stück. Womit Baufirmen zur günstigeren, effizienten Blockbauweise animiert werden.

Identische Neubauten: Forchheim, eine Stadt voller Schuhschachteln?

© Foto: Ralf Rödel

Und in Sachen Behördenbau: Wer würde es heute einer Dorf-, Stadt-, Kreis- oder Staatsverwaltung schon durchgehen lassen, wenn sich Bürgermeister, Landräte, Ministerpräsidenten und Co. statt eines nüchtern-sparsamen Verwaltungstraktes einen klassizistischen Prachtbau als Amtssitz gönnten? "Vor Gericht mit solch selbstherrlichen Steuergeld-Verschwendern in ihrer spätrömischen Dekadenz!", wäre dann folgerichtig Volkes Forderung. Nicht mal die (katholische) Kirche kann sich Prunk noch erlauben. Andernfalls tebartz-van-elst es gehörig unter Schäfchen wie Heiden.

Es ist wichtig und richtig, dass Neubauten bei uns effizient entstehen, so gebaut werden, dass der vorhandene Platz nicht unnötig verschwendet wird. Denn Wohnraum ist knapp, Grundstückpreise und Mieten schnellen in die Höhe, was den sozialen Wohnbau umso dringlicher macht. Doch muss auch die Frage erlaubt sein: Wollen wir in einer Stadt voller Schuhschachteln leben?

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