In Forchheim unterrichtet der Lehrer im Boubou

15.10.2017, 08:00 Uhr
In Forchheim unterrichtet der Lehrer im Boubou

© Fotos: Roland Huber

Ruhig, ohne Eile holt Joël das weite, traditionelle Gewand aus Baumwolle aus der Tüte und streift es sich über den Kopf. Dann streicht er die Kopfbedeckung glatt und setzt sie auf. In den "boubou" gekleidet könnte er jetzt in seinem Heimatland mit seiner Familie losgehen und um die Hand einer Frau anhalten. Mit vielen Geschenken im Gepäck, als Zeichen seiner Liebe. Doch er hat, hier im fernen Forchheim, etwas anderes vor mit seiner Tracht. "Machen Kleider Leute?" ist das Thema der Unterrichtsstunde.

Joël möchte, dass sich seine Neuntklässler am Herder-Gymnasium auf Französisch über Kleidung unterhalten. Die Tracht soll sie neugierig machen und die Stimmung etwas lockern, so dass sich die Jugendlichen reden trauen.

Auch hat er sich ein spezielles Konzept überlegt: Die Schüler sollen eine Art Speed-Dating absolvieren. Sie sitzen sich paarweise gegenüber, bekommen einen Zettel mit Fragen in die Hand. Sie unterhalten sich für ein paar Minuten, dann wechseln sie den Partner. So werden sie mit immer neuen Fragen konfrontiert und bleiben ständig im Dialog.

Circa 15 Schüler sitzen um den Tisch. In seinem Heimatland, wo er nach seinem Bachelorabschluss in Germanistik Deutsch an Privatschulen unterrichtete, hatte er deutlich mehr Schützlinge. In einer Klasse können es schon mal 70 Kinder sein. In Deutschland ist so eine Zahl heute unvorstellbar — auch wenn es früher hierzulande ähnlich war.

Ebenfalls undenkbar ist, dass sich dort zwei, manchmal auch mehr Schüler ein Lehrbuch teilen müssen. "Die Schulen in meiner Heimat sind nicht so gut mit Lehrmaterialien ausgestattet wie hier", erzählt der 24-Jährige. Dabei läsen die Kinder dort gerne. "Wenn ich könnte, würde ich alle Bücher mitnehmen", sagt er halb scherzend, halb ernst.

"Partnerwechsel" ruft Joël dann auf Französisch in die Runde. Brav rutschen die Schüler einen Platz auf und reden weiter.

Doch warum studiert man an der Elfenbeinküste eigentlich Germanistik und lernt Deutsch, wenn man im benachbarten Ghana beispielsweise Englisch als Amtssprache spricht? "Deutsch ist bei uns schon eine exotische Sprache", sagt Joël. Aber bei der Jobsuche seien Deutschkenntnisse, neben Englisch, das beinahe Pflichtqualifikation ist, ein großes Plus. "Man bekommt Respekt entgegengebracht, wenn man Deutsch kann." Aber nicht nur die Sprache zählt. "Wir lernen auch Tugenden wie Gründlichkeit und Pünktlichkeit, das kommt auf dem Arbeitsmarkt an." Daher ist Deutsch beliebt, ein Drittel der Schüler an höheren Schulen lernen es als zweite Fremdsprache.

Deutsche Tugenden

Neben Vokabeln steht also auch ein bisschen "Deutsch sein" auf dem Lehrplan — denn ansonsten ist an der Elfenbeinküste die afrikanische Uhrzeit verbreitet: Man kommt zu einem Termin, wann man es schafft. Mitunter auch mal ein paar Stunden später. "Partnerwechsel" ruft Joël erneut in die Runde. Es folgen Stühlerücken und Konversation.

Seit September lebt und arbeitet der junge Mann in Forchheim, zwei Wochen lang wurde er an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg auf seinen Einsatz vorbereitet. Über die Universität läuft auch das Doktoranden-Austauschprogramm für Fremdsprachenassistenten mit der Partneruniversität Félix Houphouët-Boigny in Abidjan, mit dem er nach Deutschland kam.

Bis nächsten Sommer wird Joël am Ehrenbürg- und am Herder-Gymnasium unterrichten, in letzterem hat er zwei neunte Klassen, eine Oberstufe und eine Konversationsklasse. Er hat schon viel Erfahrung gesammelt. Die soll ihm helfen, seinen Berufswunsch zu verwirklichen: Er möchte mit seinem Doktortitel in Abidjan an der Universität Germanistik lehren.

Was er am meisten vermisst? Seine Tochter und seine Familie, sagt Joël. Aber wenn er sie wiedersieht, wird er um viele Erlebnisse reicher sein. Er wird viel zu erzählen haben. Zum Beispiel, wie er eine Unterrichtsstunde im Boubou gehalten hat.

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