Jahresrückblick: Ein Trio an Forchheims Stadtspitze

27.12.2020, 21:27 Uhr
Jahresrückblick: Ein Trio an Forchheims Stadtspitze

© Foto: Ralf Rödel

Das Seuchenjahr 2020 war ja nicht nur ein Jahr der Pandemie. Quasi parallel zu Corona erlebte die Stadt eine politische Sensation: Ein Oberbürgermeister der SPD wird wiedergewählt und anschließend avancieren die beiden Konkurrent/innen zu seinen Stellvertreter/innen, darunter eine Grüne. Das gab es noch nie. Deswegen ist dies mein Thema des Jahres.

Nur Corona verhinderte, dass diese politische Entscheidung stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit dringen konnte. Eigentlich läuft der Polit-Betrieb wie immer: Der Stadtrat und seine Ausschüsse tagen, es gibt unterschiedliche Meinungen, am Ende entscheidet die Mehrheit – na und?

Doch: Die traditionellen Forchheimer Verhältnisse (Stichwort: strukturelle "bürgerliche" Mehrheit versus Grüne und Rote) gibt es nicht mehr. Der SPD-OB stimmt nicht automatisch mit "seiner" Fraktion. Beispiel Rathaussanierung: Die SPD lehnte das "Fenster in die Vergangenheit" in den Rathaushallen ab – wegen Zeitverzögerung und hoher Kosten. Der OB war dafür. Er schloss sich der großen Mehrheit an.

In die Schmollecke

Die SPD manövriert sich sichtbar seit einiger Zeit in die Schmollecke. Sie reibt sich ständig an der aus ihrer Sicht "konservativen grün-schwarzen Mehrheit" im Stadtrat. Freie-Wähler-Chef Manfred Hümmer: "Die SPD ist im Stadtrat komplett isoliert." Ihr fehle der Wille und die Fähigkeit zum Netzwerken, um Allianzen zu schmieden, für ihre Positionen zu werben: "Die Verhaltensweisen sind oft nicht mehr nachvollziehbar."

Das ist interessant. Denn im März konnte die Partei ja einen Triumph feiern: "Ihr" OB Uwe Kirschstein wurde nach vier nicht einfachen Jahren wiedergewählt, gegen zwei starke Kandidaten aus dem schwarzen und grünen Lager. Gleichzeitig vergrößerte sich die zwischenzeitlich geschrumpfte Fraktion wieder. Eigentlich war zu erwarten, dass die Sozialdemokratie nun mit breiter Brust und dem OB als Taktgeber die Agenda setzt.

Forchheim als kreisfreie Stadt?

Statt dessen erlebt Forchheim einen OB, der die Öffentlichkeit schon mal irritiert. Zum ersten Mal im März: Er wolle Forchheim auf lange Sicht aus dem Landkreis herausführen. Wie bitte? Hatte er nicht gerade unter dem Slogan "Stadt und Land Hand in Hand" die Fusion von Stadt- und Kreis-Klinik zustande gebracht?

Freilich. Aber schon 2016 hatte er das Thema Kreisfreiheit (das wegen Forchheims zu geringer Einwohnerzahl für Jahrzehnte nicht aktuell werden wird) bei einer Bürgermeisterdienstbesprechung mit dem Landrat aufs Tapet gebracht. Offenbar hatte ihn damals keiner ernst genommen und das ist natürlich gefährlich.

Denn die Stadt Forchheim, Siemens sei Dank, füllt mit ihrer Gewerbesteuer seit 2017 nicht nur das eigene Säckel, sondern via Kreisumlage auch das des Landkreises mit viel, viel, viel mehr Geld als sich das die Altvorderen jemals hätten träumen lassen. Und hier fordert der OB nun mit seinem wenig dezenten Hinweis auf Forchheims (Leistungs-)Kraft, der Landrat möge doch bitteschön berücksichtigen, woher das Geld kommt, das er auszugeben gedenkt – und dass Forchheim auch ganz spezielle Wünsche hat. Merke: Mit vollen Hosen ist gut stinken.

Abstrichstelle "ohne Rücksprache mit der Stadt"

Dann bestand Kirschstein darauf, noch vor allen anderen Kommunen in Bayern mitten im ersten Lockdown das Freibad zu öffnen – gegen den erklärten Willen der Staatsregierung und gegen die Warnung seines eigenen Behördenchefs. Noch heute steht er dazu: "Es war damals so und ist es noch heute, dass sich die Verordnungen im Tages- und manchmal im Minutentakt ändern." Hätte ja gut sein können, heißt das, dass die Staatsregierung just zum Forchheimer Öffnungstermin ihre Haltung wieder verändert. Hat sie aber nicht.

Schließlich rückte der OB dem Landkreis an der provisorischen Abstrichstelle in Kersbach mit der Polizei im Gefolge auf die Pelle: "Ohne Rücksprache mit der Stadt" sei dort getestet worden. Botschaft: So nicht, mein lieber Landrat.

Im Vergleich dazu leiten Udo Schönfelder (CSU) und Annette Prechtel (FGL) "ihre" Ausschüsse (Finanzen sowie Haupt-, Personal- und Kulturausschuss) unspektakulär. Noch, freilich, mussten sie nicht liefern. Im nächsten Jahr wird sich das ändern: Kellerwaldgestaltung, Verkehrskonzept, Umwelt – da will die Öffentlichkeit Ergebnisse sehen.

OB Kirschstein bleibt optimistisch: "Wir haben wahnsinnig viele Themen zu bearbeiten, das ist jetzt besser möglich." Die zu Beginn getroffene Aufgabenverteilung habe sich bewährt: "Die Zusammenarbeit ist gut, ich sehe nur Positives."

"Nicht immer einig"

Wie bei jedem Thema gibt es auch hier unterschiedliche Wahrnehmungen: Das Trio sei sich "nicht immer einig", sagt ein Stadtrat, manches laufe "nicht rund". Trotz der wöchentlichen Besprechung montags früh um 9 Uhr zu dritt, noch vor der Referatsleitersitzung. "Es läuft schon gut, kann sich aber noch mehr einspielen", sagt einer, der dort auch immer mitredet.

"Mehr klare Ansagen" des OB vermisst ein anderer an der Stadtspitze. So würden Stellen in der Verwaltung, die geschaffen wurden, einfach nicht besetzt, auch wegen fehlender Räume: "Wir könnten ja auch Büros anmieten", aber das geschehe nicht, das Raumproblem bleibt.

Sachthemen vorantreiben

Wieder ein anderer vermisst beim OB noch den Teamgedanken: "Kirschstein macht, was er will. Die Stadtspitze ist ein Ein-Mann-, kein Drei-Personen-Vorstand." Wenigstens aber habe der OB nun "zwei Menschen um sich herum, die Sachthemen vorantreiben".

Manfred Hümmer, der mehrfach unterlegene OB-Kandidat der Freien Wähler, war und ist einer der stärksten Befürworter der Trio-Lösung: "Das ist der richtige Weg. Es wird viel beschleunigt seither, was lange liegen geblieben ist." Endlich werde einer seiner Hauptkritikpunkte ernst genommen: die Abarbeitung vieler Anträge der Fraktionen: "Die Anträge kommen jetzt zeitnah auf die Tagesordnung." Die Demokratie macht damit einen Schritt nach vorne. Denn die aktive inhaltliche Mitwirkung der Fraktionen ist für die Willensbildung des Stadtrates von größter Bedeutung. Die Zeit, da schlecht oder gar nicht vorbereitete Stadträt/innen die Vorlagen der Verwaltung einfach abnickten, sollte vorbei sein.

Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist auch gar nicht mehr so leicht vorherzusehen. Die CSU, früher der schwarze Dampfer mit FBF und FW als farblosen Beibooten im Schlepptau, ist sich selbst nicht mehr immer grün. Drei Strömungen ringen um die Deutungshoheit, wobei die neuen, jüngeren Mitglieder offenbar gewillt sind, eigene Meinungen zu haben, ebenso wie die erfahreneren. Und dann gibt es noch die Juristen. Fraktionschef Josua Flierl, obschon erst Anfang 40, hat als altgedienter Stadtrat jede Menge Arbeit mit der Integration seiner Leute.

Der natürliche Feind

Dazu muss er die Kontakte zur FGL pflegen, dem früheren natürlichen Feind der CSU. Denn neuerdings arbeitet man punktuell zusammen, Stichwort Kolpinghaus. FGL-Fraktionschef Gerhard Meixner, bärbeißiger Veteran des kalten Krieges "Grün vs. Schwarz", fällt es anscheinend leichter als gedacht, Kreide zu fressen und sich mit CSU-Kollegen abzusprechen.

Störfälle nicht ausgeschlossen: die Entfernung eines FGL-Rates aus dem Aufsichtsrat der Stadtwerke zum Beispiel (eine Klage vor dem Verwaltungsgericht läuft). Oder die sehr merkwürdigen Umstände der Berufung von Lorenz Deutsch zum Leiter des neuen Kulturamtes – im Fachausschuss knapp abgelehnt, im Stadtrat mit großer Mehrheit akzeptiert.

Von Einigkeit und Absprachen keine Spur, ein wildes Abstimmungsverhalten quer durch fast alle Fraktionen – ist das Demokratie oder doch nur mangelhafte Vorbereitung? Wie auch immer: Irgendwann verschwindet Corona im Hintergrund. Dann rückt die Stadtpolitik wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Und ihre Protagonist/innen auch. Ich freue mich darauf.

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