Kaiserpfalzgespräche

Katja Boampong-Brummer und die "Faszination der Zwanziger Jahre"

15.11.2021, 11:55 Uhr
Katja Boampong-Brummer und die

© Katja Boampong-Brummer, NN

Die einen laufen mit offenem Schädel umher, damit ihre Hirnlosigkeit nur ja sichtbar wird. Die anderen tragen einen umgedrehten Nachttopf, damit es nicht ins Oberstübchen hineinregnet. Es sind aufgedunsene, besoffene, blutrünstige Gestalten, die entweder Uniform, Richterrobe oder Anzug mit Hakenkreuz tragen. So sah George Grosz die „Stützen der Gesellschaft“.

Der Maler der „Neuen Sachlichkeit“ machte sich wie seine Kollegen Otto Dix oder Max Beckmann keinerlei Illusionen über seine kranke Zeit und ihre Zeitgenossen. „Dix hatte den bösen Blick, gar nicht charmant, eher klinisch genau.“ Groteske, abstoßende Fratzen bevölkern seine Werke. Manche Motive sind kaum auszuhalten. „Er will uns damit Ohrfeigen geben“, sagt Boampong-Brummer. Ein Jahrzehnt später werden die Nationalsozialisten den ungeschminkten, schonungslosen, überspitzten Blick auf die Welt als „entartete Kunst“ diffamieren.

Widersprüchliche Epoche

Die Zwanziger Jahre sind eine widersprüchliche Epoche. Auf der einen Seite die rauschenden Feste, Glanz und Glamour, die Faszination der neuen Medien Kino und Radio. Man denke nur an den exotischen Tanz einer Josephine Baker, den Science Fiction-Film „Metropolis“ von Fritz Lang oder die neue, wilde Musik des Jazz. „Man möchte sich nicht mit den Problemen befassen, sondern einfach nur noch leben.“

Katja Boampong-Brummer und die

© Udo Güldner, NN

Auf der anderen Seite bitterstes Elend, die furchtbaren Folgen des Ersten Weltkrieges und brutale Gewalt. „Es war viel los in diesen Jahren.“ Das Gemetzel auf den Schlachtfeldern hatte die Körper, die Gedanken und die Gefühle der Menschen verkrüppelt. In vielen Bildern tauchen versehrte Männer auf, denen Gliedmaßen fehlen. Anderen fehlt die menschliche Wärme. Da wundert es nicht, dass die barocke Bildtradition der Vanitas wieder eine Rolle spielt. Das Aufeinandertreffen junger, schöner Frauen mit hässlichen alten Weibern, um die Vergänglichkeit menschlichen Daseins schonungslos vor Augen zu führen. Mitunter hat der Tod gleich selbst seine Hand im Spiel.

"Moderne Zeiten"

Stattdessen hält eine kaltblütige Berechenbarkeit Einzug in die Gesellschaft. In den farblosen Fabriken sind „Moderne Zeiten“ angebrochen. Alles muss schnell gehen, am besten noch schneller. Daher auch die Faszination jener Zeit für Autorennen. Der Mensch wird selbst zur Maschine, scheint sich roboterhaft zu bewegen, geht in der Masse Mensch unter. Sprachlos ist er, beziehungslos und leblos. Auch die schönste Schrebergarten-Idylle wird von qualmenden Schornsteinen verdunkelt. Der Mensch ist eingezwängt in winzige Wohnungen, ein kurzes Leben und gesellschaftliche Enge.

Angesichts der unerträglichen Wirklichkeit flüchten sich einige Künstler in die Harmlosigkeit der Stillleben. „Das sind nette Bilder, die wie gemalte Fotografien wirken.“ Beschaulich, fast schon neo-romantisch, immer aber harmlos kommen sie daher. Sie bewahren sich so inmitten eines Ozeans aus Schrecken und Schmerzen eine kleine Insel des Glücks. Zumindest glauben sie, dort ungestört bleiben zu können. Die Weltwirtschaftskrise, die Nazi-Diktatur und der Zweite Weltkrieg werden auch jene Zuflucht erreichen.

Frauen erkämpfen sich mehr Rechte

In der Kunst der Weimarer Republik spiegelte sich auch eine neue gesellschaftliche Realität wider. Die Frauen erkämpfen sich mehr und mehr Rechte, werden unabhängiger, auch als Künstlerinnen sichtbarer. Zumindest in den Metropolen. „Sie wirken cool, dandyhaft, selbstbewusst, klug und androgyn.“ Auf der Leinwand, etwa bei Lotte Laserstein, spielen sie Tennis, trinken Champagner und tanzen Charleston. Ein neuer Typus mit Bubikopf und in männlicher Kleidung betritt die Bühne. „Die lesbische Liebe wird offen gezeigt.“

Daneben gibt es aber auch die „Lotterweibchen“, die sich einen Sugardaddy anlachen, um sich unterhalten und aushalten zu lassen. Das kann man auf den Plakaten der Künstlerin Dörte Wolff alias Dodo erkennen. Auch vor unangenehmen, skandalträchtigen Themen wie der ungewollten Schwangerschaft scheut man nicht zurück. Immerhin ist es die Zeit, in der ein Paragraph 218 zum Schwangerschaftsabbruch heftige Kontroversen auslöst. Nicht nur an dieser Stelle ist es, als ob uns die Weimarer Republik näher wäre, als uns lieb sein könne.

Wer Katja Boampong-Brummer einmal live in einem ihrer kunstgeschichtlichen Zoom-Vorträge hören möchte, kann sich „Katjas Kunstbonbons“ unter www.kbb-reisen.com/ auf der Zunge zergehen lassen.

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