Lukas ist Zoodirektor des "Wannbacher Tiergartens"

5.8.2017, 11:24 Uhr
Lukas beim Füttern: In vier Wochen haben sich aus den kleinen Gänsen bereits prächtige Tiere entwickelt.

© Edgar Pfrogner Lukas beim Füttern: In vier Wochen haben sich aus den kleinen Gänsen bereits prächtige Tiere entwickelt.

Die Sonne knallt in den letzten Stunden des Tages auf die trockene Wiese. Die Grillen künden von der Dämmerung. Ein Landwirt im Mähdrescher wirbelt Staub auf, als er das angehäufte Gras einfährt. Vom Traktor verschluckt, rollt es in einen Heuballen verwandelt wenige Minuten und Meter später vom Anhänger herunter.

Zwischen den Bäumen der angrenzenden Häuser in Wannbach bahnt sich ein Junge den Weg aufs Feld. Mit fest zugeschnürten Schuhen, kurzer Hose, Hut und einem Grashalm zwischen den Zähnen, wandern seine Finger über die Ballen (Wie diese entstehen, zeigt das folgende Video). "Ich zähle sie einfach aus Spaß", sagt der Junge, der sich als Lukas vorstellt. "Dort hinten", deutet er in die Richtung, aus der er kam, "ist Wannbachs größter Tiergarten", sagt er. "Das ist meiner", schiebt er mit einem verschmitzten Lächeln hinterher.

Lukas ist Zoodirektor des

© Patrick Schroll

Ein Spaziergang weiter zeigt sich Schlappi unbeeindruckt. Lukas ältester Hase schläft vor sich hin. Aufgeregter sind die dutzend Artgenossen in den Ställen. Nur einen Steinwurf entfernt gackern die Hühner um die Wette. Lukas betritt ihr Gehege, gibt ihnen ihr Abendbrot. Ruhig geht es am kleinen Teich zu. Neben einem Holzhäuschen finden Gänse ihr Zuhause.

Mama Hildegund biegt um die Ecke. Ein mildes Grinsen in ihrem Gesicht verrät, wie ihr Sohn sie mit seiner Energie immer wieder überrascht. Und dann erzählt sie die Geschichte, als sich Lukas, kaum dass er sicher auf den Beinen stehen konnte, die übergroßen Gummistiefel angezogen hatte und zu den Schafen drängte. Später hat er eines mit der Milchflasche großgezogen. Heute lebt das Tier im Nachbarort. "Ich hab’s nicht übers Herz gebracht, das Schaf zu schlachten", sagt Lukas. Doch die Familie trennte sich in den Jahren nicht nur von Schafen, sondern auch von Hängebauchschweinen, die Lukas zwischenzeitlich versorgte.

Vor acht Jahren erlitt sein Vater einen Schlaganfall, ist seitdem pflegebedürftig und an den Rollstuhl gefesselt. Lukas war zu dem Zeitpunkt fünf Jahre alt. "Seinen Vater kennt er gesund nur von Videoaufnahmen", sagt Hildegund. Von ihm muss er die Energie geerbt haben, ist sich die Mutter sicher.

Kaum kommt Lukas mit dem Bus zurück aus Ebermannstadt, wo er die Realschule besucht, landet der Schulranzen in der Ecke. "Zuerst drehe ich mit dem Rad eine Runde durchs Dorf, um zu sehen, was sich getan hat", sagt Lukas. Das hat schon sein Vater so gemacht. Jüngst war seine Tour erfolgreich: Ein Pfluggerät, das im Nachbarort nur noch auf den Sperrmüll wartete, ist dem 13-Jährigen nun hilfreich.

Ein Eldorado für die Katzen

Die Arbeit auf dem Hof scheint schier endlos. Lukas greift mit Mistgabel und Traktor seiner Mutter fleißig unter die Arme. Die Tage sind lang und ziehen sich bis in die Abendstunden hinein. Die Äcker wollen bestellt, das Gemüsebeet von Unkraut befreit, die Wiesen gemäht, die Tiere gefüttert und die am Wohnhaus angrenzende Scheune aufgeräumt werden. Ein Eldorado für die zwei umherstreifenden Katzen der Familie. In der Freizeit, die bleibt, spielt Lukas im Wannbacher Posaunenchor Trompete oder singt im Schulchor.

Die Wiese hinter dem Wohnhaus hat Lukas vor wenigen Tagen gemäht. Das Gras hat in der Hitze der Sommersonne bereits sein Grün verloren. Um den richtigen Zeitpunkt für die Heuernte nicht zu verpassen, hat Lukas einen Test parat. Er greift zu ein paar Halmen, spannt sie zwischen seinen Händen und dreht, als würden seine Fäuste ein Pedal am Fahrrad in Bewegung setzen. Dreimal strampelt er. "Bricht das Gras, ist es genau richtig", erklärt er. "Liegt es zu lange, wird das Gras zu Stroh." Nach dem Test schaut er nicht ganz zufrieden: "Ich glaube, ich habe einen Tag zu spät gemäht."

Sein Wissen hat sich Lukas in den vergangenen Jahren selbst angeeignet. "Wenn ich einen Bauern bei der Arbeit gesehen habe, habe ich nachgefragt, was er gerade macht."

Jeder hat seinen Frieden

Das Heu, das sich im Wannbacher Zungenschlag von Lukas in ein "Hai" verwandelt, verkauft er. Mit dem Geld will er seinen Hof schrittweise vergrößern. Gerade spart er auf einen größeren Mähdrescher.

Lukas ist Zoodirektor des

© Patrick Schroll

Kontakte zu befreundeten Landwirten nutzt Lukas, um Hilfe für große Aufgaben zu erhalten. "Ich tu’ dir was Gutes, dann tust du mir was Gutes", beschreibt er das gegenseitige Tauschgeschäft. "So hat jeder seinen Frieden." Regelmäßig geht Lukas einem befreundeten Viehwirt in der Nähe zur Hand. Auch wenn es für ihn keine Arbeit ist, strengen die langen Tage an. Zumal an jeder Ecke neue Projekte geduldig auf die fleißigen Hände von Mama und Sohn warten.

"Es ist nicht immer einfach", beschreibt Hildegund die Lage. Auszeiten sind deshalb notwendig. Im Bayerischen Wald haben beide sich das für eine Woche gegönnt. Ihr Zuhause tauschten sie mit einem noch größeren Hof ein. Ferien auf dem Bauernhof — wörtlich nahm das Lukas nicht. Ruhe wollte er dort nicht finden. "Von früh bis spät hat er mitgearbeitet", erzählt seine Mama.

Vielleicht mal Bürgermeister

Was er einmal werden will? Das beantwortet er, ohne danach gefragt worden zu sein: „Bauer.“ Von den Mühen, die dieser Traum mit sich bringt, muss Hildegund ihrem Sohn nichts erzählen. Er lässt sich davon nicht abschrecken. Zwischen Wirklichkeit und Traum passt höchstens das Bürgermeisteramt. "Wir haben ja bereits unsere eigene Kirchengemeinde in Wannbach, vielleicht werden wir auch noch eine eigenständige Gemeinde und ich dann Bürgermeister", sagt er. Es ist nicht eindeutig, ob das nur Spaß ist.

Lukas ist Zoodirektor des

© Patrick Schroll

"Landwirt zu sein, bedeutet viel Arbeit. Doch das Leben besteht nicht nur aus Arbeit von früh bis spät", sagt Hildegund. Bei seinem Lebenstraum unterstützt die Mutter ihren Sohn so gut es ihr möglich ist. Sie räumt ihm Freiheiten ein, seinen eigenen Weg zu gehen, damit er selbst Erfahrungen sammeln kann. Grenzen setzt sie ihrem Sohn dennoch.

Keine Abstriche will Hildegund bei der Schule machen. Wer später einen Hof führen will, müsse nicht nur rechnen können, sondern zudem viel wissen. Auch wenn Lukas nur seine Tiere und den Hof im Kopf habe, könne sie sich über seinen schulischen Eifer nicht beschweren.

Ein faszinierendes Schauspiel

Seine Heimat ist zweifellos die "Wannbacher Insel". So bezeichnen beide ihr Idyll, das nicht nur von Wiesen und Feldern, sondern auch vom Thosmühlbach umgeben ist. Aus dem höher gelegenen Wolkenstein fließt das Gewässer gen Wannbach. Es teilt sich vor einer Wiese der Zieglers und scheint das Gehöft mit zwei breit gespannten Armen zu umarmen. Auf Höhe des Hauseingangs fließt der Bach von beiden Seiten zusammen.

Ein Schauspiel, das immer wieder Fremde fasziniert. Sie bleiben vor dem Bachgeländer stehen und drehen ihre Köpfe abwechselnd nach rechts, dann nach links und schließlich wieder nach rechts, erzählt Hildegund. An dieser Stelle fließt das Bächlein wieder zusammen und schließt in seine Bacharme die Familie Ziegler ein.

Das ist die Welt von Lukas, in der er sich zu Hause und am richtigen Platz fühlt. Ein Ort, an dem er seiner Leidenschaft nachgehen kann. Auf die Unterstützung ihres Sohnes verlässt sich Mama Hildegund blind.

Gegenüber Menschen offen zu sein — das hat Lukas von jungen Jahren an gelernt — und das hilft ihm auf beschwerlichen Lebensstrecken. Dass die Karotten und Radieschen in Nachbarschaft zu den blühenden Kartoffelpflanzen dieses Jahr scheinbar nicht wachsen wollen, bekümmert Lukas nicht, denn die Freude an seinem Tun bleibt.

 

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