Mit dem Nordostwind vom Feuerstein bis an die Loire

26.3.2015, 10:15 Uhr
Mit dem Nordostwind vom Feuerstein bis an die Loire

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Am 26. Mai 1957 erreicht Baptist Hofmann um 13 Uhr Nancy – in luftiger Höhe. Drei Stunden zuvor ist er mit seinem Segelflugzeug in der fränkischen Heimat vom Feuerstein gestartet. Im Gepäck hat er ein bisschen Taschengeld und eine Autokarte. Seinen einzigen Proviant, einen wurmstichigen Apfel, hat er noch über Adelsdorf aus dem Fenster geworfen. Richtig orientieren kann sich der 33-Jährige auch nicht mehr. Ab der Markierung Nancy geht es über den westlichen Rand seiner Karte hinaus. Der Wind peitscht in Richtung Südwesten. Trotzdem setzt Hofmann seine Reise fort.

Schon der Start war ein Abenteuer. Der Forchheimer Luftsportclub hatte Hofmanns Flugzeug, einen „Spatz“, gerade generalüberholt und der Segelbegeisterte ein paar Karten studiert. „Für Langstrecken kann man Nordostwinde nutzen, wusste er und beschloss dann: Am Wochenende könnte es was werden. Damals gab es ja noch keine Wetterkarten oder Radiomeldungen“, erzählt Baptists Sohn Peter Hofmann. Die Vereinskameraden halfen zusammen, flickten den „Spatz“ mit Schweißbrenner und Wäscheleinen zusammen. Als der neue Lack zwei Tage später gerade trocken geworden ist, passt das Wetter wie erhofft perfekt. Um 9.45 Uhr an diesem Sonntag steigen Baptist Hofmann und in einer zweiten Maschine sein Bruder Josef in den Himmel auf und nehmen Kurs gen Westen. Die Fliegerei haben die Hofmanns in den Genen. Schon der Vater der Gebrüder war Fluglehrer, heute sind Peter Hofmann und auch sein Sohn ebenfalls Fluglehrer beim LSC Forchheim, der mittlerweile in Dobenreuth beheimatet ist. Zusammen nahmen Peter Hofmann und der Sohnemann sogar bei Weltmeisterschaften im Segelkunstflug teil, gewannen dabei in einem wiederum von Baptist mitgebauten Flieger mehrere Auszeichnungen.

Im Mai 1957 überfliegt Baptist Hofmann nach eineinhalb Stunden Mannheim. „Die Wolken hängen wie ein Rosenkranz am Himmel“, notiert er für einen Text, der später mit dem Satz „Er war nur schwer zu bewegen, etwas über seinen Flug zu schreiben“ eingeleitet werden sollte. „Mein Vater war kein Mann weniger Worte, aber schreibfaul“, erklärt Peter Hofmann. Baptists Stil ist knapp, der Humor trocken. Außer dem kleinen Artikel zeugen nur zwei Fotos von seinem Rekordflug.

Um kurz nach 17 Uhr überfliegt Hofmann einen Platz mit einer großen Halle. „Cosne“ steht auf dem Dach. „Ich fragte mich: ,Wo ist das?‘ Es hat mir aber keiner gesagt. Kurz entschloss ich mich zum Landen.“ Es stellt sich heraus, der französische Ort heißt Cosne-sur-Loire und liegt nordöstlich von Bourges, Luftlinie 661,6 Kilometer vom heimischen Forchheim entfernt. Dies bedeutete einen neuen deutschen Rekord im Segelstreckenflug gerader Linie, der fünf Jahre Bestand haben sollte. Bruder Josef hatte derweil bereits in Verdun landen müssen.

Mit dem Nordostwind vom Feuerstein bis an die Loire

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Das Abenteuer des Baptist Hofmann hätte sogar noch weitergehen können, weiß Sohn Peter: „Er sagte später zu mir, er hätte sicher noch zwei Stunden weiter fliegen können.“ Hofmanns „Spatz“ hatte damals ein Gleitverhältnis von 1:28. Aus einem Kilometer Höhe kann der Pilot 28 Kilometer Strecke gewinnen. Moderne Segelflugzeuge schaffen mehr als doppelt so viel. Der Rekord bei freier Zielstrecke liegt heute bei 2123 Kilometern. Die Faszination, die seine Familie erfasste, beschreibt Peter Hofmann so: „Das Fliegen ist eine Leidenschaft. In 1500 bis 2000 Metern verblassen wie bei Reinhard Mey die Probleme. Man ist ganz eng mit der Natur verbunden.“

In Frankreich wird Baptist Hofmann, der kein Wort französisch spricht und kaum Geld hat, freundlich empfangen. „Begrüßung mit Zeichensprache, große feuchte Versammlung ohne Zeichensprache“, notiert der Rekordmann. Die Vereinskameraden werden informiert und kommen zum Abholen. Während Segelflugzeuge der heutigen Generation mit einem eigenen Motor den Rückflug aus eigener Kraft geschafft hätten, muss der „Spatz“ mit einem Käfer an die 900 Kilometer entfernte Loire geschleppt werden. Noch einmal wird bei einem Sieben-Gänge-Menü gefeiert, ehe die Gruppe aufbricht. Weil in Straßburg das Benzin aus geht, wird auf die andere Rhein-Seite nach Kehl geschoben und getankt. Am Dienstagnachmittag, 28. Mai, endet das fränkische Segelflug-Abenteuer. Baptist Hofmann über seine Ankunft zu Hause: „Begrüßung ohne Zeichensprache, große feuchte Versammlung mit Zeichensprache, Schlafen fällt aus.“

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