Mit der Urne in der Tasche: Fünf Senioren ziehen los

12.11.2018, 15:28 Uhr
Mit der Urne in der Tasche: Fünf Senioren ziehen los

© Foto: Udo Güldner

Es ist eine "Winterreise" ins ewige Eis. Vielleicht eine ohne Wiederkehr. Denn die Gruppe, die sich da am nördlichen Ende Norwegens aufmacht, besteht aus lauter älteren Herrschaften, unterwegs in heikler Mission.

In der Handtasche wartet ihr früherer Mitbewohner im Altenheim "Schafweide" darauf, ins Meer gestreut zu werden. Denn Kapitän Ole Eriksson hat sich, ohne die anderen zu fragen, aus dem Staub gemacht. Nun ruhen seine Asche und die titanischen Knie-Ersatzteile in einer Urne.

Er, der immer die grenzenlose See befahren hatte, soll nun also in einem wenige Quadratzentimeter kleinen Loch versinken. Für seine fünf Freunde unvorstellbar. Für die Zuhörer ein Vergnügen.

Hätten sich die Rentner volllaufen lassen, um zu vergessen, dass sie die nächsten sein könnten, dann hätte man die Geschichte vergessen können. So aber wird es ein temporeiches Road Movie, das freilich größtenteils auf Schienen abrollt. Denn mit dem Auto wollen sie nachts nicht herumkurven, und mit dem Altmetall in der Asche können sie nicht durch den Flughafen-Scanner gelangen.

Mit dabei: Bestatter Karel, der bislang lebendig begraben zwischen Särgen und Gestecken dahinvegetierte. Immer mit dem Beerdigen anderer beschäftigt, um nicht an das eigene Ende denken zu müssen. Obwohl er es täglich vor Augen hat. Wie den etwas altersschwachen Hund Pi, der im Kreise der menschlichen Gefährten tierisch gute Laune verbreitet.

Die fünf Senioren sind keine Hundertjährigen, die aus dem Fenster steigen. Weil die Aussteiger ein Ziel haben und sich auf ihrem Weg quer durch Skandinavien keine Leichen links und rechts der Straße anhäufen. Wenn man mal von den lebenden Leichen absieht, die im Altenheim die Liegeplätze belegen und andere bedauernswerte Menschen, die auf einer Warteliste stehen und die demnächst das gleiche grausame Schicksal ereilt.

Dafür gibt es bei Simone Veenstra jede Menge skurriler Episoden, wie eine Zollkontrolle im Zug, der man sich durch Pferdedarm-Nuggets so stinkend wie elegant entzieht. Oder die Nacht in einem Kopenhagener Studentenwohnheim, die noch einmal Erinnerungen weckt an Kamasutra, Kiffen und Kickboxen. Oder das Abenteuer mit dem Postschiff, das trotz all der hohen Berge und tiefen Fjorde glücklicherweise barrierefrei ist.

Die ersten literarischen Impulse erhielt Simone Veenstra übrigens am Ehrenbürg-Gymnasium Forchheim. Nach der Geburt in Hanau kam sie mit ihren Eltern nach Erlangen, dann nach Forchheim, wo sie in der Grundschule Reuth das Schreiben lernte.

Aber erst Detlef Palt, der am Ehrenbürg-Gymnasium die Theatergruppe leitete, entfachte das Feuer für Drehbücher in ihr. Sie schrieb dann viel für Film und Fernsehen. Davon zeugen einige Anspielungen im Buch. Wird doch etwas augenzwinkernd die Szene aus dem Coen-Klassiker "The Big Lebowski" zitiert, in der der Dude und Walter die Asche ihres Freundes Donny von den Klippen streuen wollen. Ohne die Windrichtung zu beachten. So bleibt er bei ihnen.

Figuren aus dem Leben

Die Lebensnähe im Angesicht des Todes hat Simone Veenstra bei ihrer niederländischen Großmutter Jantina-Aleida Veenstra aufgeschnappt. Bei der 96-jährigen Dame recherchierte sie einen historischen Stoff für ein anderes, noch nicht geschriebenes Buch. Hier in der "Residenz Schafweide" liefen ihr all die Charaktere über den Weg, aus denen die Autorin die glamouröse Hedi, den nie verlegenen Lebemann Paul und den schüchternen, aber schwerhörigen Männi formte.

Die Hauptfigur benannte Simone Veenstra nach ihrer Oma "Tina". Selbst das Urnen-Problem nahm hier mit der Asche des Großvaters seinen Ausgang. Beim Zuhören inmitten einer umgebauten Scheune hat sich keiner der blätterWALD-Besucher zu Tode gelangweilt. Obwohl der ernste Stoff all der sprachlichen Kapriolen entbehren musste, die Simone Veenstras Kinder- und Jugendbücher so einzigartig machen. Dafür hat sie sich behutsam und humorvoll an ein Tabuthema herangetastet. Denn älter werden wir alle.

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