OB-Kandidatin Annette Prechtel: Diese Frau drückt auf die Tube

27.2.2020, 06:00 Uhr
OB-Kandidatin Annette Prechtel: Diese Frau drückt auf die Tube

© Roland Huber

Der Wind pfeift übers Dach in der Daimlerstraße 12. Nachwehen des Sturmtiefs Sabine sorgen für wechselhaftes Wetter mit Sonne, Regen, Hagel, gar Schneefall. Es hat einen Grund, warum Annette Prechtel trotzdem diesen Ort als Startpunkt für eine kleine Tour durch Forchheim ausgewählt hat. Dieser Grund ist nicht der Industrie-Baumarkt "Prechtel", den das Gebäude beherbergt.

Vielmehr die Tatsache, dass auf dem gesamten Dach eine PV-Anlage installiert wurde; von der Prechtel Beteiligungs GmbH. Deren Geschäftsführerin ist Annette Prechtel – Fraktionschefin der Forchheimer Grünen Liste (FGL) und OB-Kandidatin: "Ich trete an für ein besseres Klima und mehr Kultur in der Stadt", erklärt sie. Hinter ihr: das Industriegebiet des Stadtsüdens mit Siemens und Co. Ein Gebiet, so Prechtel, "von dem wir momentan sehr stark profitieren". Es geht ihr darum, "einfach mal nach oben zu klettern", sprich: den Überblick zu gewinnen. "Das ist meins", sagt sie.

 

Keine Äußerlichkeiten

 

OB-Kandidatin Annette Prechtel: Diese Frau drückt auf die Tube

© Foto: Ralf Rödel

Prechtel mag es schnörkellos, bei Äußerlichkeiten wie inhaltlich. Sie kommt lieber schnell auf den Punkt statt selbigen groß auszuschmücken. Ihre schulische Laufbahn? "Martinsschule, Ehrenbürg-Gymnasium, Abitur, fertig." Lieblingsfächer? "Englisch fand ich total gut. Biologie und Wirtschaft und Recht aber auch." Nach dem Abi: Geoökologie-Studium in Bayreuth. Den Titel ihrer Doktorarbeit hat die 45-Jährige nicht mehr im Kopf, "aber es ging um die Boden- und Gewässerversorgung und deren Entwicklung in den europäischen Wäldern beziehungsweise Wald-Ökosystemen". (Anm.d.Red.: Später reicht sie den Dissertationstitel nach: "Release of stored sulphur from acid forest soils in Europe under decreasing sulphur deposition")

Prechtels akademisches Naturell, es wird im Laufe der Stadttour immer wieder das Gespräch bestimmen – weshalb die kurzen Exkurse ins fränkisch-forchheimerische Lebensgefühl umso erbaulicher wirken. Zum Beispiel, wenn sie auf die Frage, ob sie am Wahlabend in der Blauen Glocke zu Rot- oder eher zu Weißwein tendiert, antwortet: "Erst mal a Bier."

OB-Kandidatin Annette Prechtel: Diese Frau drückt auf die Tube

© Foto: Ralf Rödel

Als Schülerin ruft sie mit anderen eine Umwelt-AG ins Leben, 1995 ist die Studentin Prechtel (im Zuge der Fällung der Pappeln am Seltsam-Gelände) Mitbegründerin der Grünen Liste, 1996 tritt sie der Partei Bündnis90/Die Grünen bei und zieht in den Stadtrat ein. 24 Jahre sind vergangen. Wieso nun der Wunsch, das höchste politische Amt der Stadt, inklusive der damit verbundenen Verantwortung, anzustreben?

"Die Herausforderung", erwidert Prechtel. "Wir müssen vieles deutlich schneller, deutlich energischer, deutlich ambitionierter anpacken – und das geht als Stadträtin nicht, das geht in der Opposition nicht, sondern es geht an der entscheidenden Stelle." Nach all den Jahren Menschen, Abläufe, den Stadtrat zu kennen, das sei "eine Bank, auf die man aufbauen kann". Und mit dem bundesweiten Aufschwung der Grünen – für den es, so Prechtel, "höchst an der Zeit gewesen ist" – seien die Menschen "mittlerweile bereit, anders zu wählen".

Vor der zweiten Station der Tour (die Prechtel größtenteils auf dem Rad bestreitet) wirbelt eine Böe den Sturzhelm aus dem Fahrradkorb, treibt ihn auf die Straße. Die OB-Kandidatin jagt hinterher; kaum hat sie den Helm aufgefischt, deutet sie zum Kolpingshaus: "So viele Kulturschaffende beklagen sich seit Jahren, dass wir nicht genügend Probe- und große Veranstaltungsräume haben." Das Kolpingshaus wäre dafür geeignet, der Stadtrat habe die Rahmenbedingungen für den Ausbau des Hauses in ein Kulturzentrum längst beschlossen. "Getan hat sich bisher leider nur sehr wenig", so Prechtel. Sie will es energischer vorantreiben. Sei das geschafft, wäre sie bei Bedarf einem größeren Vorhaben – wie einer Stadthalle – keineswegs abgeneigt.

Zu Fuß geht es weiter zum ZOB. Das "Innenstadtkind" Prechtel und ihre zwei Geschwister (aufgewachsen in der Hornschuchallee) habe es immer in die Natur gezogen, erzählt sie – was mit der Fränkischen vor den Toren recht einfach war. Ganz und gar nicht einfach ist das Jahr 2008. Da wird Prechtel mit dem tragischen Unfalltod ihres älteren Bruders konfrontiert. Die Frage der Nachfolge im Familienunternehmen muss gestellt werden. Und so macht das Schicksal aus der Wissenschaftlerin die heutige Geschäftsfrau Annette Prechtel.

In ihrem Büro im ersten Stock überm Café Bogatz kümmert sie sich um die firmeneigenen Liegenschaften – und pocht auf die energetische Sanierung bestehender Bauten. Der eigenen ebenso wie der städtischen. Und das sehr viel schneller als bisher: "Pläne, die man nur hat, damit man sie hat, nutzen nix", meint Prechtel. Per Bus geht es zur Reuther Grundschule. Was sie als Kind erreichen wollte? "Ganz viel. Die Welt retten zum Beispiel", sagt sie und lacht. Ihr Musikgeschmack? "Mal Ringlstetter, mal Marquess, mal Mendelssohn Bartholdy." Gleiches gilt für ihre literarischen Vorlieben – wobei sie auf Lesestoff als Gestrandete auf einer einsamen Insel notfalls verzichten könnte. Lieber wären ihr ein Stift und leere Seiten, "um Tagebuch zu führen".

Während der Fahrt kommt sie auf den ÖPNV zu sprechen. Die Bus-Taktung und -Linienführung möchte sie spürbar verbessern. Man müsse als Stadt aktiver, ambitionierter sein, sagt sie – und im Landratsamt lauter werden. Dem momentanen Radwegenetz bescheinigt sie die Schulnoten "4 bis 5". Das Radfahren zählt neben Joggen zu ihren liebsten Leidenschaften – und vor allem das Schwimmen: "Das ist eigentlich eine Sucht", sagt sie. Die Chancen, sie im Sommer regelmäßig 50-Meter-Bahnen im Außenbecken des Königsbades ziehen zu sehen, würden aber eher schwinden, würde sie OB. Denn dann wäre sie nicht nur Rathaus-Chefin, sondern weiter auch Ehefrau und Mutter dreier Kinder, von denen die jüngste Tochter noch in den Kindergarten geht. Vor der Reuther Schule wird sie deutlich: Nicht nur die Problematik mangelnder Kita-Plätze, sondern auch die für sie bestenfalls schleppende Vergabe von Planungsleistungen für den Ausbau der Schulen ärgern Prechtel. "Hier geht es um Bildung, das ist dringend. Und wir müssen endlich in Gang kommen."

Das eine große Thema ihrer Partei spricht sie nicht oft an, auch nicht am Ende der Tour vor dem Frechshaus, bei dessen Generalsanierung sie "auf die Tube drücken" will. Das Thema Umweltschutz scheint Prechtel gar nicht groß ausführen zu müssen – spielt er doch überall (von Gebäuderenovierungen über bezahlbaren Wohnraum, von der Verkehrsplanung über die Straßensanierung, von Wirtschaftsfragen bis zum ÖPNV, von der Bildung, der Kinderbetreuung bis hin zum Kulturstandort) eine Rolle. Und mit Blick auf die Zukunft spielt er die wichtigste. Jeder, der OB werden oder bleiben will, ist sich dessen bewusst.

Und wer ist Annette Prechtel? Sie fährt Verbrennungsmotor ("Wenn das Bus- oder Zugangebot nicht da ist"), nutzt aber in der Stadt so oft es geht lieber ihren Drahtesel. Sei weiß, dass Forchheim bei neuem Wohnraum oder neuen Industriehallen unter Platzmangel leidet, will sich jedoch ("Wenn es ökologisch vertretbar ist") nicht verschließen, weil sie weiß, dass "wir ohne Mehrheiten gar nichts erreichen können". Sie scheiterte einst als Vegetarierin ("Wenn heute mal Fleisch, natürlich bio"), wählt allerdings als Henkersmahlzeit eine Butterbrezel – "und damit meine ich a Gscheide, a Echde, a Gude, a Frische".

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