Pärchen vergessen: Geschichten ums Forchheimer Annafest-Riesenrad

27.7.2020, 05:08 Uhr
Pärchen vergessen: Geschichten ums Forchheimer Annafest-Riesenrad

© Foto: Anestis Aslanidis

Das Herz des Orion liegt am Boden. In einer große Halle im Forchheimer Stadtsüden hat Michael Drliczek all die Einzelteile des Riesenrads eingelagert. "Das dort ist die grüne Nabe, die sich im Zentrum des Rades dreht", erzählt der Schausteller, und man kann es sich dabei nur schwer vorstellen.

Drumherum liegen, Meter für Meter, die ewig langen Speichen. In einem anderen Anhänger lagern die Gondeln, 18 an der Zahl, mit ihren 18 Dächern. Immer drei Gondeln sind aufeinander gestapelt. Eng ist’s in dem Transporter, jeder Zentimeter ist ausgenutzt. "Ich könnte die Anhänger mit den Riesenrad-Einzelteilen blind bestücken", sagt Drliczek. Kein Fitzelchen Raum bleibt dabei ungenutzt, es ist Millimeterarbeit.

Ein paar Meter weiter steht der bullige Lkw, der das Riesenrad, wenn es denn aus seinem Corona-Schlaf erwachen darf, zu den Volksfesten transportiert. 420 PS hat die Maschine unter der Haube, der Auflieger hat fette Doppelachsen. Schließlich bringt das "Orion" insgesamt 55 Tonnen Gesamtgewicht auf die Waage.

Schausteller-Dynastie: Seit 1832 auf Volksfesten

Die Drliczeks sind eine Schausteller-Dynastie: Seit dem Jahr 1832 sorgen sie auf Volksfesten für Kurzweil. Michael Drliczek führt das Geschäft in der fünften Generation, seine Tochter Anna, die sechste Generation, ist bereits am Start mit Imbissbude und Crêpesstand.

Riesenräder hatten die Drliczeks (fast) schon immer, das erste wurde vor genau hundert Jahren, im Jahr 1920 angeschafft. Waren die Riesenräder in früheren Zeiten aus Holz, "gab es in den 60er Jahren einen großen Wandel in der Riesenrad-Szene", weiß Michael Drliczek. Das erste mobile Riesenrad aus Stahl schafften damals seine Großeltern an. Und weil früher Namen aus ferne Galaxien en vogue waren, benannte man die Riesenräder nach Planeten. Weil der Name Jupiter schon vergeben war, entschied sich Michael Drliczeks Opa für "Orion". Als Orion im Jahr 1985 durch ein neues Riesenrad bunt, mit kunterbuntem Streifendesign ersetzt wurde, nannte man es kurzerhand Orion II.

Pärchen vergessen: Geschichten ums Forchheimer Annafest-Riesenrad

© Foto: Anestis Aslanidis

Eine Saison ohne Riesenrad? Daran kann sich der 49-Jährige selbst gar nicht erinnern. Aus der Familiengeschichte weiß er, dass das höchstens "nur zu Kriegszeiten" der Fall war, als es keine Volksfeste gegeben habe.

Rappelvoll ist Drliczeks Lager, Zäune, Fahnenmasten, bunte Glühbirnchenschlangen für Lichtanlagen, Pizzastand, Punschschänke, Crêperie und Lebkuchenstand sind seit Ende letzten Jahres eingemottet, die Krise hat die Schaustellerei mit voller Wucht getroffen: Corona, das sei "eine komische Zeit", sagt Drliczek und doch meint er damit, dass es "finanziell schwierig" sei. "Wir leben von der Substanz." Neben den monetären Engpässen sei die Krise auch "seelisch und mental" schwer zu verkraften. Schließlich könne niemand sagen, wann das nächste Volksfest stattfinden kann. "Wir haben keine Perspektive", sagt Drliczek.

Pärchen in Gondel vergessen

Zwar versuche man sich, wie etwa mit dem Crêpes-Stand auf dem Paradeplatz, über Wasser zu halten. "Aber das ist wenig bis zu wenig, um den Betrieb zu erhalten." Unter dem Strich fehle das Geld, die Folge: "Wir werden die Lebensarbeitszeit nach hinten verlängern müssen. Wir hatten einen gut laufenden Betrieb und wollen doch einfach nur unseren Job machen", sagt Drliczek. "Die Menschen vermissen ihre Kerwa."

Auch nach Jahrzehnten steigt er selbst immer noch gerne in eine Riesenrad-Gondel, genießt gerne den Ausblick von ganz oben, "von hier kann man die Veränderungen einer Stadt besonders gut sehen".

Und es ranken sich auch viele Geschichten ums Orion: Heiratsanträge in luftiger Höhe, "die gibt es ganz oft", erzählt Drliczek, etwa dann, wenn der Bräutigam ein Transparent mit einem "Willst du mich heiraten?" hoch oben an der Gondel hisst oder wenn er vom nervösen Bräutigam gebeten wird, über den Riesenrad-Lautsprecher ganz speziell für die Braut eine ganz spezielle Durchsage zu machen.

Zu den "Best of Orion" gehört auch die Geschichte des Liebespärchens, das sich einst während des Annafestes nachts heimlich in eine Gondel schlich und auf der letzten Fahrt "vergessen" wurde. Stunden nach der letzten Fahrt, die Lichter waren schon lange gelöscht, der Kellerwald im Schlaf versunken, haben ihn ein lautes Rufen mit "Hallo, ist das jemand???", in seinem Wohnwagen aus dem Schlaf geholt. Ganz oben in der Gondel saß ein frierendes Pärchen, das meinte: "Es war echt wunderschön, aber jetzt wollen wir dann doch mal wieder runter."

Wer Lust aufs Riesenrad hat: Das Orion dreht sich vom 1. bis 30. August auf der Fürther Freiheit.

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