Poetry Slam: Oliver Walter hat die Zunge vorn

30.9.2016, 18:32 Uhr
Die Slammer auf der Bühne.

© Udo Güldner Die Slammer auf der Bühne.

Vielleicht war es eine jahreszeitliche Sache, dass sich nicht nur die Blätter an den Bäumen, sondern auch die Sätze der Autoren herbstlich färbten. Ein melancholischer Grundton beherrschte den Abend, der Poeten hervorbrachte, die sich leise Töne leisten konnten. Es waren sehr persönliche, bisweilen verstörende Momente, die ein slam-unerfahrenes Publikum nach einem harten Arbeitstag erleben durfte. Wie zu allen Zeiten leiden die Dichter; an sich, an anderen, an der Welt. Einige hatten aber nur kurz Gelegenheit dazu. Etwa Anni Hengst (Regensburg), die ihre trübsinnigen Gedanken um Leben und Tod in einem erschreckend ehrlichen Text über den Häuptern des Publikums kreisen ließ. Dabei hatte sie, wie alle anderen auch, nur ihre eigenen Zeilen, verzichtete auf Requisiten oder Verkleidung und warb sieben Minuten um die Gunst des klatschsüchtigen Publikums.

Lokalmatador Michi Graul

Das kannte den Shooting-Star „Steven“ (Nürnberg) bereits von „Stadtpark mit Musik“. Aber nicht seine sperrige Seite, die nicht Kalauern auflauerte, sondern sich in Einsamkeit, Lieblosigkeit und Gefühllosigkeit verlor. Mit Michael „Michi“ Graul war auch ein Lokalmatador aus der „Ritter von Twitter-Schule“ am Wort. Er schien seine Sätze aus mitgebrachten Notizen heraus zu improvisieren. Die von tiefer Verzweiflung und heftigem Zorn geprägte Tirade im Stile mancher Bußprediger nahm die jammernde, jämmerliche Dekadenz ins Visier.

Die 18-jährige „Blacky“ (Nürnberg) war die jüngste Dichterin. „So tief reicht der Schmerz, so tief könnte ich nie schneiden.“ Bei ihrem ersten Poetry Slam beeindruckte sie mit einer schonungslosen Performance, die „Stille“ hieß und diese nach den sieben Minuten Lesung auch erschuf. Dass sie nicht weiterkam, hatte wohl etwas mit der Leidensfähigkeit der Zuhörer zu tun.

Mit ihrem „Was wäre wenn“ hing Ezgi Zengin (Augsburg) der ersten Liebe nach, der sie sich nicht zu nahen traute. „Ich habe mich oft gefragt, wie Deine Küsse schmecken.“ Als musikalischer Masseur griff Philipp Stenger aus Erlangen danach in die Gitarrensaiten. Wobei er als Einziger on stage englischsprachige Texte vortrug. War er doch nicht im Wettbewerb. Er flüchtete sich in irische Idyllen, bilderreiche Balladen und schwermütige Songs, deren leichthändiger Klang und die tiefgründige Texte gefielen.

Von Verzweiflung gepackt

Einen anfangs ruhig fließenden, später vor Kitsch triefenden, dabei aber nie eintönigen Text rezitierte Anna Lioba Teufel (Karlsruhe). Wo ihre Kollegen sich in Zweifeln an sich und der Welt ergingen, packte die junge Frau die Verzweiflung. Welche Spuren hinterließe ein kleiner Mensch in einer großen Welt?

Am Ende des dreistündigen Wortgefechtes hatte Altmeister Oliver Walter (45) aus Spalt die Zunge vorn. Ausgerechnet mit einer „Kackophonie“, die durch Darm und Bein ging. Er blickte durch die Klo-Brille auf die Weltliteratur, in der „fast überhaupt nicht geschissen wird“. Ein gedärmerschütternder Beifall löste sich und spülte ihn in der Gunst ganz nach oben. Zum guten Schluss kamen sich dann Philipp Stenger und der Slam-Moderator Felix Kaden (Erlangen) im gedämpften Scheinwerferlicht gefährlich nahe. Der eine als gefühlvoller Singer-Songwriter, der andere als liebenswerter Karaoke-Chaot. Der erste Poetry Slam im Jungen Theater war eine wunderbare Zumutung, die hoffentlich weitere Dichter und noch mehr Zuhörer ermutigt.

Die nächsten Poetry Slams finden am 26. Oktober, 30. November, 20. Dezember, 25. Januar, 22. Februar, 29. März, 26. April und 31. Mai um 20 Uhr im Jungen Theater statt. Karten zu sechs Euro nur an der Abendkasse.

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