"Rucksack voll Sorgen": Das sind die Herausforderungen an Forchheims Martinschule

29.4.2021, 07:56 Uhr

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Schwierigkeiten mit der Konzentration, bei der Verständigung bis hin zu Verhaltensauffälligkeiten und Konflikten: Das alles ist Alltag an der Martingrundschule in Forchheim. "Es gibt einige Kinder, die einen Rucksack voll Sorgen, ein ganz großes Päckchen zu tragen haben und das macht sich auch im Schulleben bemerkbar", sagt Schulleiterin Kerstin Friedrich.

Das reiche von zerrütteten Verhältnissen oder Trennung der Eltern, Überforderung in der Familie, über eine enge Wohnsituation und eingeschränkte finanzielle Situation bis hin zu Gewalt in der Familie oder Alkohol- und Drogenproblemen.

Immer mehr Schüler

Auf die Martinschule gehen an den beiden Standorten Wallstraße und Schulhaus Kersbach rund 350 Schülerinnen und Schüler. "Die Zahl hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen", schildert die Schulleiterin.

Etwa 45 Prozent stammen aus Familien mit Migrationshintergrund. "Viele unserer Schüler kommen aus Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil und ein Großteil ist nachmittags auf schulische und außerschulische Betreuung angewiesen", sagt sie.

Nahe einer Körperverletzung

Gerade im Innenstadtbereich gebe es in der Grundschule vermehrt Kinder mit einer erhöhten sozialen Hilfsbedürftigkeit sowie einem erhöhten Förderbedarf. Vor allem in den Pausen gebe es häufig Konflikte zwischen einzelnen Schülern. "Zum Teil sind es Fälle, die an der Grenze zur Körperverletzung sind."

Oft handele es sich um Kinder mit Migrationshintergrund, die je nach Herkunft untereinander Gruppen bildeten und sich gegenseitig ärgerten. Bei den teils immer wieder vorkommenden Konflikten sei eine intensive Konfliktbearbeitung nötig. "In vielen Fällen übersteigt das die zeitlichen Ressourcen der Lehrkräfte, die in erster Linie für den Unterricht zuständig sein sollen", schildert die Schulleiterin.

Beim Diebstahl erwischt

Mehrmals habe die Schule mitbekommen, dass Grundschüler in der Müller-Drogerie, aber auch in anderen Geschäften beim Diebstahl erwischt wurden. Auch Sachbeschädigungen der Schultoilette kamen mehrfach vor.

"Es gab eine Zeit, da war es extrem schlimm", erinnert sich Kerstin Friedrich. Da wurden Klopapierrollen in die Toiletten gestopft oder sie beschmiert. "Zum Glück hat sich das gebessert, auch schon direkt, nachdem die Toiletten renoviert wurden, wahrscheinlich weil die Kinder dann schon den neuen Zustand optimal erhalten wollten."

Gewaltspiele ab 18 Jahren

Einige der Grundschüler spielten zu Hause Gewaltspiele am Computer, die erst ab 16 oder 18 Jahren erlaubt sind. "Ich bin nicht gegen Computerspiele, aber die, die sie spielen, sind nicht für ihr Alter geeignet", sagt die Schulleiterin. Einige Kinder erzählten ganz offen von den Spielen oder tragen auch T-Shirts mit den Namen. "Wenn wir nachforschen, haben wir festgestellt, dass die gar nicht für Kinder erlaubt sind."

Laut Aussage der Schüler seien die Spiele zu Hause frei zugänglich oder manche Eltern verbieten die Spiele, halten ihre Verbote aber nicht konsequent ein. "Gerade ein paar dieser Schüler fallen durch häufiges aggressives Verhalten auf." Hier sei eine intensive Präventionsarbeit durch eine Fachkraft wichtig.

ADHS und Konzentrationsstörungen

In den Familien mit Migrationshintergrund werde zu Hause oft die Muttersprache gesprochen, die Kinder kämpften mit Sprachproblemen. Auch bei Gesprächen zwischen Lehrern und Eltern gebe es häufig Verständigungsprobleme: "Oft wird eine dritte Person benötigt, die beide Sprachen spricht."

Viele Schüler schauten sehr viel Fernsehen: "Teils zu Zeiten, in denen sie eigentlich ins Bett gehören, um mit ausreichend Schlaf versorgt zu sein, und teils Filme, die nicht für Grundschüler geeignet sind." All das macht sich im Unterricht bemerkbar: "Viele unserer Schüler zeigen eine ausgeprägte Unaufmerksamkeit."

Von ADHS, Konzentrationsstörungen und Hyperaktivität im Unterricht seien viele betroffen. "Die Diagnose ADHS nimmt ja insgesamt zu", sagt die Schulleiterin. Aber in manchen Klassen der Martinschule gebe es eine Häufung. "Diese Schüler brauchen einfach mehr Unterstützung."

Erhöhter Förderbedarf

Jedes Jahr wechselten einige in eine sogenannte Safe-Klasse der Pestalozzischule mit einer Klassengröße von neun Schülern. "Ihr Intelligenzquotient ist absolut normal, aber sie haben bezüglich ihres Sozialverhaltens einen höheren Förderbedarf", erklärt sie. Nicht immer gebe es aber Platz in den Förderklassen. "Dann bleiben die Schüler erst mal bei uns."

Um die Schüler individuell zu unterstützen, leistet die Jugendsozialarbeit einen Beitrag mit Elterntrainings, Schülergesprächen vor- und nachmittags sowie mit Verhaltenstherapie.

Spielerische Projekte, Schulwegbegleitung oder Hausbesuche

"Das kann spielerisch sein oder in Einzel- und Gruppenprojekten. Auch Schulwegbegleitung oder Hausbesuche sind möglich." In Corona-Zeiten findet einiges unabhängig vom Präsenzunterricht statt, hinzu kommen digitale Besprechungen.

Der Bedarf an Jugendsozialarbeit war jüngst Thema im Haupt-, Personal- und Kulturausschuss des Stadtrates: Die bisherige 75-Prozent-Stelle an der Martinschule soll auf 100 Prozent aufgestockt werden. Das beschloss der Stadtrat einstimmig und will zudem prüfen, eine zweite Stelle zu besetzen.

"Das freut uns sehr, mit zwei Stellen wären wir schon besser aufgestellt", sagt Kerstin Friedrich. "Auch ehrenamtliche Unterstützung, lerntechnisch oder sozial, fände ich schön. Alles, was den Kindern noch mehr hilft, ist eine gute Sache."

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