Russland aus einer anderen Perspektive

17.1.2014, 10:00 Uhr
Russland aus einer anderen Perspektive

© privat

„Man sieht Russland von einer anderen Seite. Ich wollte dorthin, wo kaum ein Tourist hinkommt“, sagt Sepp Martin. „Ich wollte Land und Leute erleben und keine Postkartenmotive mitbringen.“

Von der zweiwöchigen Reise Anfang 2013 hat der 64-jährige Martin, der seit 35 Jahren den Finger am Auslöser hat, rund 1000 Fotos mitgebracht. Für den Kersbacher ist die frühere Sowjetunion bekanntes Terrain. Er hat Usbekistan und Tadschikistan per Fahrrad durchquert und war auch schon vor 15 Jahren in Wladimir.

Jetzt bot eine Ausstellung seiner Foto-Kunst rund 200 Kilometer östlich von Moskau Gelegenheit, wieder einmal den Blick schweifen zu lassen. Bei seiner Erkundungsfahrt ließ sich Sepp Martin weder von der überfüllten Transsibirischen Eisenbahn noch von fehlenden Taxis, mangelhaften Sprachkenntnissen oder gar dem gefürchteten russischen Winter aufhalten: „Kurz zuvor war ich am Polarkreis. Dadurch waren meine Kamera und ich schon Minusgrade gewohnt.“

Die Herzlichkeit der Tataren

Nur der schneidende Wind bei minus 20 Grad habe gestört. Die Verständigung mit Händen und Füßen klappte auch bei einem Abstecher in den Südural. Dort erlebte das Ehepaar Martin unvergessliche Tage auf einer Datscha in Kungur, einer Kleinstadt im Ural, sowie einen herzlichen Empfang in einem Tatarendorf, wo sich Sepp Martin beim Besuch der örtlichen Schule in seine Kindheit zurückversetzt fühlte: „Da gibt es für 160 Schüler 24 Lehrer.“

Zur Erholung boten sich nur wenige Gelegenheiten: „Wir waren täglich 16 Stunden auf den Beinen“, erzählt Sepp Martin. „Nur zur Mittagszeit konnten wir in Ruhe essen.“ Dann nämlich ist das Tageslicht ungeeignet für stimmungsvolle Fotos.

Der Besuch des im Winter kaum zugänglichen Teufelsberges bei Kungur war das größte Reiseabenteuer. Das Kersbacher Ehepaar, das bereits in Franken Erfahrungen mit Schlittenhunden gesammelt hat, wagte sich an den Trip durch die Wildnis. „Wir hatten keine Begleitung, keine Karten, und Schilder gibt es dort sowieso nicht. Wir haben uns mit GPS-Signalen orientiert.“ Den Weg zum berühmten Felsmassiv nutzte Sepp Martin zur Verschnaufpause, während Frau Anneliese das Gefährt steuerte.

Die Route führte auch in die Millionenstadt Perm im Ural, die zu Sowjetzeiten wichtig für die Militärindustrie und für Ausländer gesperrt war. Den Martins zeigte sich Perm, wo ein Teil des Films „Doktor Schiwago“ gedreht wurde, nicht nur als Rüstungsschmiede. Sepp Martin beeindruckten vor allem die Eiskunstwerke im Stadtzentrum: „Da standen zehn Meter hohe Windmühlen aus Eisblöcken, weil Holland Thema der Schau war.“ Ein mehr als 30 Meter hoher Weihnachtsbaum überragte die Szenerie.

Eisskulpturen gab es auch in Jekaterinburg zu bestaunen – und zwar rund um die erst 2003 errichtete „Kathedrale auf dem Blut“, die an die Ermordung der Zarenfamilie Romanow 1918 erinnert. Sie war dort in Eis gebannt. Höhepunkt der Rundreise auf dem Goldenen Ring, einer Gruppe historischer Städte nordöstlich von Moskau, war Susdal. Das „russische Rothenburg ob der Tauber“ hat 10000 Einwohner, 48 Kirchen und einen mittelalterlichen Stadtkern. „Die Fülle der Motive war die größte Herausforderung“, sagt Sepp Martin. „Ich will ja nicht alles gleich fotografieren. Und dann braucht es das richtige Licht und eine interessante Perspektive.“ Davon können sich die Besucher nun selbst überzeugen.

Die Multivisionsschau „Rossiya — Bilder aus Russland“ ist am Mittwoch, 22. Januar, ab 20 Uhr, in der Stadtbücherei Forchheim zu sehen. Der Eintritt kostet fünf Euro.

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