Schneiderin aus Fulda näht fränkische Tracht

3.5.2013, 17:48 Uhr
Schneiderin aus Fulda näht fränkische Tracht

© Marquard Och

In der Zeit, als es noch keine Kleidung „von der Stange“ gab und ein neu geschneiderter Rock oder Anzug zum ersten Mal getragen wurde, hieß es: „Da muss erst der Schneider rausgezwickt werden.“ In der hessischen Vogelsberg-Region, aus der die Damen- und Herren-Maßschneiderin Sabine Retter kommt, wurde dem neuen Textil „der Schneider ausgepätzt“.

Die Anprobe der fränkischen Tracht für die Kundin Ursula Bölch aus Bamberg war begleitet von diesen Redewendungen und anderem Witz um den inzwischen fast ausgestorbenen Berufsstand des Schneiders. Wichtiger war aber doch das Abstecken der Rocklänge und die Abstimmung der Garnfarbe für das Mieder.

Bestechende Stoffauswahl

Sabine Retter ist mit 25 Jahren „der Liebe wegen“ nach Heilbronn und 2005 zur Neuorientierung nach Muggendorf gezogen. Mitbekommen hat sie damals von ihrem geizhalsigen Lehrmeister in Fulda das Garnbrett, das jetzt auch die Wand ihres Schneidergeschäfts ziert, das sie 2012 in Ebermannstadt eröffnet hat. Ausschlaggebend für ihre Hinwendung zur Trachtennäherei sei die große Auswahl an Baumwollstoffen in dem benachbarten Textilgeschäft der Geschwister Detzel gewesen, erzählt Sabine Retter. Hinzu kam noch, dass es im Umkreis kaum noch Trachtenschneiderinnen gibt.

Ingeborg Nickel, die ehemalige Leiterin des Arbeitskreises „Frauentrachten“ des Fränkische-Schweiz-Vereines, vermittelte Sabine Retter die Kenntnisse um die Eigenheiten der erneuerten fränkischen Tracht: So lernte sie das von Hand „gestiftelte“ und dann „geraffte“ Band, das Rock und Oberteil verbindet, kennen.

Mit großem Eifer machte sich die Schneiderin aus Fulda schließlich an die Arbeit und stellte sich dann bei der Eröffnung der ersten selbstständig geführten Schneiderei in geblümter fränkischer Tracht vor. Das kam bei der Kundschaft sehr gut an und führte zu weiteren Aufträgen — wie jetzt dem von Ursula Bölch, die den „Retter“-Tipp von einer Freundin bekommen hatte.

Als Bambergerin war es ihr an den hier typischen „Streifen“ und den Farben Blau und Rot gelegen. Den passenden Stoff für das Mieder hat sie erst nach langer Suche in München gefunden. „Die Tracht unterstreicht die Weiblichkeit, da bewegt man sich auch anders als in Jeans“, bemerkte die junggebliebene Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Beim Trachtenmarkt in Frensdorf am Muttertag, 12. Mai, wird Ursula Bölch ihre „Bamberger Tracht“ zeigen – vorher darf die Tochter aber „den Schneider rauszwicken“.

Das Geschäft in Ebermannstadt läuft gut. „Ich habe das Gefühl, hier eine Marktlücke entdeckt zu haben – besonders die normalen Öffnungszeiten und meine Beratung auch zu Änderungswünschen kommen gut an“, sagt Sabine Retter, die im Vorjahr auch die Sambakostüme der Ebermannstädter Elferratsgarde genäht hat.

„Ein schönes Dekolleté“

Das besondere Steckenpferd der Schneiderin ist es, die Formen etwas fülligerer Frauen vorteilhaft zu „verpacken“. „Ein paar Pfunde mehr auf den Rippen machen immer ein schönes Dekolleté“, meint Sabine Retter und macht so Mut zum Herzeigen der Rundungen auch in der Alltagskleidung. Nach der Anprobe und zuletzt der ausgewählten Garnfarbe für das Oberteil von Ursula Bölch blieb nur noch die Frage nach dem Preis für die Handarbeit. „Ich mache Preise, die bezahlbar sind, anhand der ,freiwilligen Zuzahlungen‘ weiß ich, dass ich nicht zu teuer bin“, betont die Schneidersfrau aus Fulda, die bei den „herzensguten Franken“, so Retter, ihr Glück gefunden hat.

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