Sessel rollt auf Panzerketten durch die Fränkische Schweiz

30.8.2020, 14:29 Uhr
Der gelernte Avioniker (Experte für Fluggeräte) Martin Ebner sitzt auf seinem selbst entworfenen und gebauten Offroad-Rollstuhl "Scuttler".

© Nicolas Armer, dpa Der gelernte Avioniker (Experte für Fluggeräte) Martin Ebner sitzt auf seinem selbst entworfenen und gebauten Offroad-Rollstuhl "Scuttler".

Noch ruckelt es ein bisschen. Doch der Sessel auf Panzerketten bezwingt langsam die steile Straße in der Fränkischen Schweiz, wo selbst mancher Autofahrer seine Schwierigkeiten hat. Aber das reicht dem Tüftler Martin Ebner noch nicht, sein "Scuttler" soll auch unbefestigte Wege schaffen. "Bald möchte ich es auf einem Skiberg testen", erzählt der 55-Jährige und gibt noch ein bisschen mehr Gas.

Der Offroad-Rollstuhl soll unwegsames Gelände befahrbar machen. Für Rollstuhlfahrer, aber auch für ältere Urlauber, die das Mittelgebirge ohne Hilfe nicht mehr erklimmen könnten. "Das Gerät ließe sich auch zur Rettungsliege umbauen oder in der Forstwirtschaft und bei der Ernte einsetzen", meint Ebner. Ein vergleichbares Gefährt gebe es seines Wissens nicht. "Die meisten Rollstühle für's Gelände haben nur breitere Reifen, aber das reicht nicht."

Auch steile Anstiege in der Fränkischen Schweiz sind für den "Scuttler" kein Problem.

Auch steile Anstiege in der Fränkischen Schweiz sind für den "Scuttler" kein Problem. © Nicolas Armer, dpa

Die Idee dazu hatte er nach einem Gespräch mit dem Bürgermeister des oberfränkischen Luftkurorts Muggendorf (Markt Wiesenttal/Landkreis Forchheim). "Er erzählte mir, dass Stammgäste abgesagt hätten, weil eine aus der Gruppe nicht mehr gut zu Fuß sei." Dann habe er angefangen zu recherchieren: Welche Wanderungen und Ausflüge sind barrierefrei möglich?

Viele Ziele sind nicht speziell für Rollstuhlfahrer geeignet

Die Datenbank des bundesweiten Projekts "Reisen für alle" bietet einen Überblick über barrierefreien Tourismus in Deutschland. Rund 2000 zertifizierte Angebote werden gelistet - von Hotels an der Ostsee, über die Landesgartenschau in Nordrhein-Westfalen bis zum Panoramaweg auf dem Nebelhorn in den Allgäuer Alpen.

Doch bei weitem nicht alle Ziele sind speziell für Rollstuhlfahrer geeignet. Da beschränkt sich die Auswahl laut Datenbank nur noch auf rund 150 Unterkünfte, Museen und Wanderwege - bundesweit. Denn die Kriterien sind streng: Wanderwege müssen beispielsweise nahezu durchgängig 180 Zentimeter breit sein und alle 500 Meter eine Sitzgelegenheit wie Bänke, einen Baumstumpf oder eine Mauer bieten.

Wunsch nach Selbstbestimmtheit

"Neben den Themen Übernachtung, Gastronomie, Freizeit, Kultur (...) finden sich gerade im Alpenvorland auch immer mehr Tipps zu Wandertouren vor Ort", meint Dagmar Kuhn vom Landesverband Bayern für körper- und mehrfachbehinderte Menschen. "Es bleibt allerdings noch viel zu tun, bis wirklich bayernweit barrierefreie Ausflüge möglich sind."

Martin Ebner möchte, dass Touristen spontan losziehen können - und zwar wo immer sie auch hin möchten. "Stell dir vor: Du kannst auf einmal wieder in den Wald, hoch zur Burg, dann zu einem Café zwei Kilometer weiter..." Den Wunsch nach Selbstbestimmtheit kennt er nur zu gut. "Nach einem Schlaganfall war ich für drei Tage gelähmt", erzählt er. Mit Mitte 40 kämpfte er sich ins Leben zurück und entdeckte wieder den Spaß am Tüfteln. "Ich glaube, das habe ich von meinem Vater." Erst bastelt er an einer drei Meter großen Drohne, dann an einem E-Liegerad - bis ihm die Idee für den Offroad-Rollstuhl einfällt.

Der gelernte Luft- und Raumfahrtelektroniker verbringt daraufhin Stunden in seiner Werkstatt, entwirft Pläne und bastelt ein Holzmodell, um die Höhe für die Stoßdämpfer zu testen. Er bestellt Ketten, Rollen, Motor und Getriebe und lässt die Metallteile lasern. Außerdem entwickelt er einen Sensor, der den Fahrer vor gefährlichen Schräglagen optisch und akustisch warnen soll. Bevor der Rollstuhl umkippt, stoppt er und kann dann mit einer Fernsteuerung wieder in sicheres Gelände manövriert werden.

Bald schon Großproduktion?

Ein Blick auf die entnehmbare Steuereinheit: Mit bis zu sechs Kilometer pro Stunde düst der "Scuttler" momentan durch die Gegend.

Ein Blick auf die entnehmbare Steuereinheit: Mit bis zu sechs Kilometer pro Stunde düst der "Scuttler" momentan durch die Gegend. © Nicolas Armer, dpa

Nach einem halben Jahr tüfteln, schrauben und schweißen düst der Rollstuhl mit maximal sechs Kilometer pro Stunde durch die Gegend. "Dass das jetzt der Weisheit letzter Schluss ist, glaube ich nicht. Ich möchte die Aufhängung noch weicher bekommen, vielleicht ein bisschen sportiver", sagt der 55-Jährige mit prüfenden Blick auf das Gefährt. Es soll noch lackiert und mit einem GPS-Tracker versehen werden. Knapp zwei Stunden hält der Akku des Rollstuhls bisher durch. "Drei bis vier Stunden möchte ich eigentlich hinbekommen."

Martin Ebner spuken verschiedene Visionen im Kopf. Wenn es Interessenten gibt, steigt er vielleicht in die Großproduktion ein. Oder er stellt den Rollstuhl dem Rathaus oder Hotels zur Verfügung, wo sich Touristen das Gefährt dann ausleihen könnten. Auch einen Bausatz aus Aluminium könnte er sich vorstellen. "Ein junger Mann im Rollstuhl könnte mit entsprechender Montage-Anleitung dann fast 90 Prozent selbst aufbauen", ist Ebner überzeugt.

"Aber eigentlich ist der Scuttler für meine Mama mit 80 Jahren, die verständlicherweise nicht mehr über die Kondition für so manche Wanderungen verfügt. Ich hoffe, dass sie damit wieder bei einem Tagesausflug mit dabei sein kann", meint der Tüftler und fügt schmunzelnd hinzu: "Und wer weiß, vielleicht kann ich ihn eines Tages auch mal brauchen."

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