Stacheldraht und Scheinhinrichtungen: Das vergessene Kriegsgefangenenlager in Pautzfeld

20.9.2020, 08:00 Uhr
Stacheldraht und Scheinhinrichtungen: Das vergessene Kriegsgefangenenlager in Pautzfeld

Heute ist diese Episode beinahe vergessen. Wir erinnern mit Hilfe von Zeitzeugen wie Hans Dörfler (Jahrgang 1924) an ein spannendes Stück Ortsgeschichte. Er erzählt uns seine Geschichte:

Es war Sonntag, der 5. August 1945. Inmitten des Stacheldrahts herrschte zugleich Erleichterung und Entsetzen. Erleichterung bei den einfachen Soldaten, die nun endgültig die Gefangenschaft hinter sich lassen konnten. Entsetzen bei den Mitgliedern der SS-Einheiten, die weiter nach Forchheim und später unter anderem in das berüchtigte Internierungslager Hammelburg transportiert wurden.

Nur der Stacheldraht blieb stehen

Stacheldraht und Scheinhinrichtungen: Das vergessene Kriegsgefangenenlager in Pautzfeld

© Foto: Udo Güldner

"Unter Ersteren war auch mein Großvater Klaus Bader (1919-1997), der mit zwei seiner pommerschen Kameraden zu Fuß nach Buckenhofen zog. Hier fanden die drei Arbeit bei der von Bürgermeister Michael Knauer (1898-1960) geführten Gemeinde und in der Gärtnerei Meßbacher."

Derweil waren die Pautzfelder damit beschäftigt, sich mit Erlaubnis der US-Army Holz und Metall unter den Nagel zu reißen. Nur der Stacheldraht rund um die Wiesen der Familien Kammerer und Kolb blieb erst einmal noch stehen.

Das Lager war nach einem kurzen Sommer aufgelöst worden. Bei der Behandlung der Internierten verstanden die US-Soldaten freilich keinen Spaß. "So schilderte mein Großvater, mit dem ich mich in seinen letzten Lebensjahren mehrfach über seine Soldatenzeit unterhalten hatte, dass hinter dem Stacheldraht großer Hunger geherrscht habe."

Mit Maschinengewehren: Sie haben sich einen Spaß daraus gemacht

Die Amerikaner hätten sich einen Spaß daraus gemacht, ihre eigenen Essensabfälle vor aller Augen auszubreiten und mit einem Maschinengewehr zu bewachen. Auch von Scheinhinrichtungen an einigen Kameraden berichtete er. Man habe Gefangene ein Loch buddeln und sie sich hineinstellen lassen. Dann habe man abgedrückt – ohne Munition im Magazin. Es waren Scheinhinrichtungen.

Vielleicht lag es daran, dass das 777th Anti Aircraft Artillery Battalion im April 1945 an der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald beteiligt gewesen war, wo die einfachen US-Soldaten von unvorstellbaren Gräueln erfahren hatten.

Außerdem hatte es auch noch rund um Pautzfeld heftige Gegenwehr versprengter deutscher Einheiten gegeben. Davon zeugt ein kleines Gedenkschild an einem Baum nahe der Waldkapelle. Hans Dörfler hat es anbringen lassen.

Es erinnert an Leutnant Gerhard Müller aus Hermannstadt, der hier in Sichtweite des späteren Lagers am 17. April 1945 mit gerade einmal 24 Jahren den Tod fand.

Kinder vertrauten sie, weil sich nicht verdächtig waren, Nazis zu sein

Sonst aber suchte man durchaus ein vertrauensvolles Verhältnis zur jüngeren Bevölkerung. Insbesondere zu den Kindern, die nicht verdächtig waren, Nazis gewesen zu sein."

So kann sich Franziska Hofmann, geb. Schneider (Jahrgang 1937) noch an die beiden Wachtürme vorne an der Straße und hinten an einem Feldweg erinnern. Sie habe sogar hinaufsteigen und am Maschinengewehr drehen dürfen.

Josef Betz (Jahrgang 1929), der mit seinen Eltern in Hausnummer 48 lebte, also unmittelbar neben dem Kriegsgefangenenlager, musste selbst einige Tage im Inneren verbringen. Ihn hatte man dabei erwischt, wie er den hungrigen Landsern Brot hatte zustecken wollen.

Die schlechte Versorgung mit Lebensmitteln brachte die Frauen des Dorfes schließlich dazu, regelmäßig im Hof der Familie Betz aufzukochen. Meist Knödel und Kraut – das machte satt. Es gab aber auch Hilfe von außerhalb.

Anna Zapf (1922-2014) aus Buckenhofen war als junge Frau ehrenamtlich beim Roten Kreuz tätig und wohnte nahe der Spinnerei Forchheim. Dort war unmittelbar nach dem Krieg die Firma Piasten untergebracht, die anfangs keine Süßwaren, sondern Nudeln herstellte.

Fabrikdirektor Fritz Hornschuch (1874-1955), Besitzer von Weberei und Spinnerei, hatte von dem Lager in Pautzfeld erfahren und setzte sich dafür ein, dass die Gefangenen ausreichend verpflegt wurden.

Essen in Wannen

Von ehrenamtlichen Helferinnen – eine von ihnen war Anna Zapf – wurde Essen in großen Mengen zubereitet und in Töpfen und Wannen auf einem Lkw nach Pautzfeld gebracht.

Die Prisoners of War (Kriegsgefangenen) mussten erstaunlicherweise keine Zwangsarbeit wie Erntehilfe, Straßenbau oder Kampfmittelbeseitigung leisten.

An spezielle Häftlingskleidung kann sich Waldemar Kolb (Jahrgang 1934) ebenso wenig erinnern. Die Insassen trugen den Uniformrock, den sie noch in den letzten Kampfhandlungen am Leibe gehabt hatten. Schon im eigenen Interesse sorgten sich die Bewacher aber um die hygienischen Zustände.

120 Männer saßen fest

Immerhin saßen auf 200 mal 100 Metern Fläche auf der Flur Bodensäcker rund 120 Männer fest. Nicht etwa in hölzernen Baracken, sondern in provisorischen Zelten. In regelmäßigen Abständen galt es also, mit einem reinigenden Bad in der nahen Regnitz Infektionskrankheiten vorzubeugen. "Die hatten sogar ein Sprungbrett. Darauf waren wir sehr neidisch", so Josef Betz.

Der Kommandant des Lagers, ein aus Deutschland geflüchteter Jude, residierte mit seiner Wachmannschaft in Hausnummer 49. Dort hatte Franz Starklauf (1910-1977) schon vor dem Krieg eine Bau- und Möbelschreinerei eingerichtet, wie seine Tochter Brigitte Wild (Jahrgang 1947) berichtet.

Das Gebäude gefiel der US-Army, so berichtet es Waldemar Schneider (Jahrgang 1946), weil es als eines der wenigen im Dorf an die Wasserleitung angeschlossen war.

Heute ist es eine Villa

Auch äußerlich machte es im toskanischen Stil erbaut, unter all den einfachen Fachwerkhäusern einiges her. Heute befindet sich in der Pautzfelder Straße 10 die "Villa Vital".

Heute ist es die Villa Vital in Pautzfeld. Damals wurde das Gebäude von US-Soldaten genutzt.

Heute ist es die Villa Vital in Pautzfeld. Damals wurde das Gebäude von US-Soldaten genutzt. © Foto: Udo Güldner

Bislang sind keine Fotografien des Kriegsgefangenenlagers aufgetaucht. Auch Akten finden sich in den Archiven nicht. Und die materiellen Überreste wie Stoff und Metall haben die Pautzfelder Bürger längst wiederverwendet.

Ein Entschädigungsantrag der Starklaufs an die US-Militärbehörden für die Nutzung seines Anwesens ist das einzige amtliche Dokument, das die Existenz des Lagers beweist. In den Erinnerungen lebt es weiter.

 

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