Telefonterror und nicht enden wollende Angst: Ein Stalking-Opfer erzählt

8.9.2019, 15:51 Uhr
Telefonterror und nicht enden wollende Angst: Ein Stalking-Opfer erzählt

© Symbolbild: Angelika Warmuth/dpa

Das Handy vibriert auf dem Küchentisch. Brr brr brr. Auf dem Display leuchtet auf: 38 neue Nachrichten auf der Mailbox. Wieder surrt das Handy. Brr brr brr. Elena (Name geändert) schaltet das Handy aus, geht ins Wohnzimmer und setzt sich auf das Sofa. Sie beugt sich nach vorne und stützt die Arme auf die Knie, ihre Hände massieren die Schläfen. Seit Wochen hat sie nicht mehr durchgeschlafen. Einatmen, ausatmen, ein, aus, ein - denkt sie. Ruhig bleiben. Sie lehnt sich zurück und schaut aus dem Fenster, draußen dämmert es. Ist er wieder da draußen, vor der Wohnung, hinter den Mülltonnen?, fragt sie sich.

Elena wird gestalked von ihrem Ex-Mann. Seit sie sich von ihm getrennt hat, verfolgt er sie. Macht Telefonterror. "Die Beziehung ist erst beendet, wenn ich es sage", spricht er immer wieder aufs Band. Oder er beschimpft sie. Alle fünf Minuten kontaktiert er sie. Auch auf ihrer Arbeit ruft er sie an.

Jahrelang immer neue Attacken

Laut polizeilicher Kriminalprävention der Länder und des Bundes wurden im Jahr 2018 insgesamt 18 960 Fälle von Stalking in Deutschland polizeilich erfasst. Die Dunkelziffer sei höher einzuschätzen. Die meisten Stalker seien Männer, die häufigsten Opfer Frauen. Betroffenen von Stalking wird geraten, bei akuter Bedrohung die Polizei zu rufen und Anzeige zu erstatten. In der Regel handele es sich bei Stalking nicht um eine klar abzugrenzende Einzeltat.

Das erlebt das Stalking Opfer aus dem Landkreis am eigenen Leib. Aus Angst, das Stalking könne wieder beginnen will sie anonym im Zeitungsartikel bleiben. Denn auch nach acht Jahren bleibe die Angst vor neuen Attacken.

Auch neue Handynummern helfen nicht

Über zwei Jahre hören die täglichen Anrufe nicht auf. Elena wechselt die Nummer. Kurze Zeit später findet ihr Ex-Mann auch diese heraus. Sie steigt auf Prepaidhandys um und wechselt die Anbieter durch. Immer wieder schafft es ihr Ex-Mann bei den Anbietern die Nummer herauszufinden. Sie beantragt neue Zugangsdaten.


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Nicht nur verbal wird Elena drei Jahre nach der Trennung angegriffen. Ihr Stalker klaut ihr Nummernschild, zerkratzt ihr Auto, beschmiert das ehemals gemeinsame Heim, klaut die Post und bestellt auf ihren Namen im Internet teure Luxusartikel. Nur mit Hilfe der Polizei bleibt sie nicht auf den Kosten sitzen und die Verkäufer nehmen die Ware wieder zurück.

Anzeige bleibt ohne Wirkung

Ihr Stalker zeigt Präsenz vor ihrer Wohnung. Er läuft die Straße auf und ab, klopft ans Fenster. Bis sie sich nicht mehr ohne Begleitung aus dem Haus traut. Elena lässt alle Schlösser wechseln. Abends den Müll raus bringen? Undenkbar für sie. "Ich hatte Angst, er würde unten warten", sagt sie. Elena erstattet Anzeige. Ohne Wirkung. Unsicherheit und Angst treiben sie um. "Ich habe in dieser Zeit 20 Kilo abgenommen", sagt sie und reibt mit ihre Handballen aneinander. Kurz schweigt sie und senkt den Blick auf den Tisch vor ihr, zu viele Angriffe hat es geben, von denen sie heute sprechen könnte.

Dann hört sie vom Weißen Ring, einer Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer. Sie vereinbart ein Beratungsgespräch und fühlt sich zum ersten Mal in dieser qualvollen Zeit verstanden. Ihre Sorgen werden ernst genommen. Sie erhält einen Beratungsgutschein für einen Anwalt.

Früher galt Stalking als Kavaliersdelikt. Seit 2007 ist der Tatbestand der "Nachstellung" ins Strafgesetzbuch aufgenommen und strafbar. Heute gebe es ein größeres Bewusstsein für das Thema Stalking und Opferschutz, so Experten der Hilfsorganisation Weißer Ring.  Die Organisation unterstützt bei der Anwaltssuche und übernimmt unter Umständen auch die Prozesskosten.

Tagebuch hilft während Verhandlung

Elena führt schließlich Stalking-Tagebuch. Wann war die Attacke? Wie lange? Wer kann es bezeugen? In der Verhandlung hat sie es bei sich. "Es war so wichtig, um die einzelne Ereignisse darzustellen", sagt sie heute. Irgendwann würden einem Zweifel kommen, gerade wenn der Stalker alles abstreitet, ist es gut das Tagebuch zu haben.

Durch ihren Anwalt reicht sie Nebenklage ein, hat Einsicht in die Akten und kann sich während des Gerichtsprozesses, der nach fünf Jahren Stalking stattfindet, besser vorbereiten. Ohne Anwalt wäre sie lediglich Zeugin. Schließlich erwirkt sie ein Kontaktverbot gegen ihren Ex-Mann und Stalker. Doch der Prozess und das Stalking über die Jahre haben an ihren Nerven gezerrt. Sie zieht weg aus dem Landkreis und findet eine neue Liebe. Mit Hilfe des Weißen Rings macht sie eine Therapie.

Heute hilft Elena ehrenamtlich anderen Stalking Opfern und rät, dem Stalker keine Reaktion zu zeigen. "Ignorieren, ignorieren, ignorieren! Das soll zeigen, ich will keinerlei Kontakt mit dir", sagt sie. Nach all der Zeit fühlt sie sich nicht mehr machtlos. Ihr ist es ein besonderes Anliegen, dass Opfern von Stalking geglaubt wird.