Katastrophe

Vor über 240 Jahren: Große Pfingstflut von Gräfenberg

23.5.2021, 10:17 Uhr
Vor über 240 Jahren: Große Pfingstflut von Gräfenberg

© Foto: privat/Stadtchronik Gräfenberg

Es war schon Abend. Die Gräfenberger feierten ausgelassen im Saal vom Gasthaus "Grüner Baum", wo zum Tanzen aufgespielt wurde. "Darf es noch ein Bier sein", fragte die Müllerin, die dort bediente, wohl noch den einen oder anderen Gast, nicht ahnend, dass sie ihre Familie nicht mehr lebend wieder sehen würde. Denn während sich die Bürger amüsierten, braute sich über dem Buchwald die nahende Katastrophe zusammen. Schwarze Wolken türmten sich am Himmel. Es donnerte, blitzte, schüttete wie aus Kübeln und dicke Hagelkörner prasselten nieder.

Die plötzlichen Wassermassen fluteten in Richtung von Gräfenberg, schwemmten Äste und Bäume mit an und hatten die Kalkach übervoll werden lassen. Zum Glück waren nicht alle Gräfenbeger beim Tanz. Diejenigen, die zu Hause geblieben waren, handelten mutig und beherzt, stürmten auf den Marktplatz und verbarrikadierten das Tor mit Balken und Bohlen. "Das Obertor, wie das Egloffsteiner Tor genannt wurde, konnte noch rechtzeitig geschlossen werden. Die Wassermassen drangen nicht in die Innenstadt", erzählt Hans-Peter Reck, Vorstand der Altstadtfreunde. Das Wasser suchte sich einen anderen Weg, Richtung Gasthaus Lindenbräu, und riss mit aller Wucht mit, was nicht niet- und nagelfest war.

"Die alte Färberei in der Nähe des Obertors wurde stark in Mitleidenschaft gezogen, die Holzanbauten einfach mitgerissen", sagt Reck. Selbst wenn jetzt die Bürger aus den Fenstern des "Grünen Baums" geschaut hatten, wäre kein Handeln mehr möglich gewesen. Denn auch der Anbau am "Grünen Baum" wurde von den Wassermassen zerstört. Nur die Badbrücke hielt der Wucht stand. Das Kommunbrauhaus füllte sich mit Hagelkörnern, die später beim Schmelzen eine Schicht wie fester Beton bildeten.

Vernichtender Sog

"Vier Wochen später haben sie diese Schicht noch aus dem Kommunbrauhaus geschaufelt", weiß Reck. Die Bürger waren wehrlos gegen die Kraft des Wassers. Wie ein Sturzbach fluteten die Wassermassen alles und richteten im Kessel – dem Tal, in dem die Mühlen waren – die nächste Katastrophe an. War von der oberen Mühle nur der Anbau betroffen, kamen weiter unten Menschen, sogar Kinder ums Leben. "An der unteren Mühle riss es die Scheune, das Wohnhaus und die neu gebaute Mahlmühle weg. Die Leiche der Magd wurde erst sieben Wochen später unter einem Ast in der Nähe von Weißenohe gefunden", erzählt Reck. Die Magd hatte wohl versucht sich an einem Ast festzuhalten, konnte sich aber den Wassermassen genauso wenig widersetzen wie der Müller, dessen Sohn und der blinde Müllersgeselle. Alle kamen bei der Pfingstflut ums Leben. Nur die Müllerin, die im "Grünen Baum" bediente, ahnte noch nichts davon.

Obwohl noch keine zwei Stunden seit dem Gewitter über dem Buchwald vergangen waren, zog das Wasser in einem vernichtenden Sog alles mit, was sich in den Weg stellte. "Auch die Pinselbrücke wurde weggerissen", sagt Reck.

Dort, wo man jetzt noch in den Wasserfall schauen kann, lebte der Wagner Appelt. "Er, seine Frau und die 14-jährige Tochter wollten ihre Tiere retten und wurden von den Wassermassen mitgerissen. Die drei jüngeren Kinder, die im Haus geblieben waren, kletterten auf den Kachelofen und konnten sich retten. Sie blieben am Leben", berichtet Reck vom weiteren Verlauf der Pfingstmontagskatastrophe. Deren Folgen waren schlimm, denn "jede Menge Häuser waren beschädigt. Kinder sind ums Leben gekommen oder zu Waisen geworden, Menschen wurden obdachlos". Die Bürger, die nach den eineinhalb bangen Stunden das Gasthaus "Grüner Baum" verlassen konnten, packte das blanke Grauen.

Die Predigt, die der damalige Pfarrer Witschel nach der Flut gehalten hat, ist heute noch nachlesbar. Die Not war groß. Doch "die Bürger hielten in einer unglaublichen Gemeinschaftshilfsaktion zusammen", weiß Reck: "Beeindruckende Hilfsmaßnahmen fanden statt". Im Gebiet des Nürnberger Pflegamtes wurden für die Gräfenberger 4500 Gulden für den Wiederaufbau gespendet. Die Bürger konnten Kredite aufnehmen. Das war wichtig, denn Baumaterial war sehr teuer. Aus den umliegenden Orten wurde Bauholz geliefert.

Könnte diese Katastrophe heute mit der Verrohrung des Kesselbachs, sprich der Kalkach, trotzdem wieder passieren? Ja, denn sie würde die Wassermassen, die im 18. Jahrhundert in kurzer Zeit zusammmenkamen wohl auch heute nicht fassen.

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