Zufluchtsort: Burk

13.9.2015, 08:00 Uhr
Zufluchtsort: Burk

© Söhnlein

Über Nacht sind sie da. Sie brauchen ein Dach über dem Kopf. Denn es ist Winter. Also werden ein Schlafzimmer und ein Abstellraum leergeräumt. Nicht ganz freiwillig, denn der Wohnraum im Elternhaus Heinz Söhnleins ist von den Behörden beschlagnahmt. Provisorisch wird ein Loch in die Außenwand geschlagen, um das Rohr eines Kanonenofens hindurchzuführen. Schließlich sollen die beiden Eltern Robert und Meta Breuer, Jahrgang 1894, und ihre drei Töchter Hilde, Elisabeth und Sigrid, in den rund 30 Quadratmetern nicht frieren. „Unter ihrem Bett hatten sie Schinken und Glasfleisch deponiert. Die Breuers glaubten noch jahrelang, dass sie eines Tages in ihre Heimat Zirkau (heutiges Polen) bei Liegnitz würden zurückkehren können. Tatsächlich sind beide in den 90er Jahren in Burk bestattet worden“, erzählt Heinz Söhnlein.

„Wir waren nicht erfreut, dass da fremde Leute ins Haus kamen. Es gab natürlich Streit, aber richtigen Radau gab es nicht. Und mit der Zeit ging es besser.“ Damit wurde es im Bauernhaus in der Hadergasse, in dem bereits zwei Wohnungen vermietet waren, noch enger. Ganz oben wohnten die Gößweins mit vier Kindern, weiter unten die Lützelbergers mit vier, dann die Breuers mit drei und ganz unten die Söhnleins mit drei Kindern. „Alle mussten auf denselben Abort im Hof. Wir schliefen auf Strohmatratzen, das war damals normal. All die Jahre teilten wir uns den Platz am Küchentisch.“

Roggenbrot und Malzkaffee

Um die Verpflegung der Flüchtlinge habe sich der Staat gekümmert. „Wir waren zwar Selbstversorger, aber viel hatten wir bei nur drei Hektar Fläche trotzdem nicht.“ Das Frühstück war mit Malzkaffee und eingetunktem Roggenbrot für alle gleich. Mittags gab es Mehlsuppe mit geröstetem Brot. Die Neuankömmlinge halfen bei der Ernte, bei der Mahd und im Stall, wo es nötig war. „Die waren voll dabei. Es gab dann im Gegenzug Milch, Eier oder Kartoffeln.“

Wenn Heinz Söhnlein von den Vertriebenen spricht, die im Februar und März 1945 nach Burk gekommen sind, dann nennt er sie der Einfachheit halber „Preußen“. Dabei stammten die Frauen, Kinder und älteren Menschen, die der Flüchtlingstreck an die Regnitz geführt hatte, aus Schlesien. Aus Furcht vor der „Roten Armee“ waren die Familien, darunter die Breuers, gen Westen aufgebrochen. „Sie kamen über Plauen und Bayreuth mit Leiterwagen und drei Zugpferden, an deren Namen ich mich heute noch erinnern kann: Irma, Roland und Elli.“ Mit den Pferden habe er als Jugendlicher auch das Ackern, Pflügen und Eggen gelernt. „Robert Breuer war Landwirt und hat mir alles beigebracht.“ Heinz Söhnleins Vater war im Oktober 1943 an der Ostfront bei Kiew vermisst gemeldet worden. „Für mich wurde Robert Breuer zum zweiten Vater.“

Die drei „Breuer-Fräuleins“ begannen schon früh, einen Beruf zu ergreifen, um die Familie in schweren Zeiten zu unterstützen. „Lizzy wurde Kellnerin in der Bahnhofs-Gaststätte, in der Einheimische und US-Amerikaner verkehrten, Sigrid begann in der Weberei, und Hildchen wurde Erntehelferin in Schwabmünchen.“

Da sie evangelische Christen waren, durften sie mit Erlaubnis des Pfarrers Hans Bauer einmal monatlich in der katholischen Burker Kirche einen eigenen Gottesdienst am Sonntagnachmittag feiern.

Bäume für den Bergbau

Bis 1953 fällten Heinz Söhnlein und sein Mentor Robert Breuer Baum um Baum, um Grubenholz für die Bergwerke im Ruhrgebiet liefern zu können. Einmal im Jahr holten Robert Breuer und sein Schwager Max Fechner zudem den Kerwa-Baum aus dem Wald und stellten ihn mit auf. „Sie waren fleißig und im Dorf integriert.“

Es dauerte acht lange Jahre, bis die Breuers aus der „Hadergasse“ ausziehen konnten. „Erst dann hatten sie das nötige Kapital beisammen, um in eine größere Wohnung in der Röthenstraße zu ziehen.“ Ende der 50er Jahre gelang sogar der Bau eines Eigenheimes an der Burker Hauptstraße. Dabei waren die Breuers nicht die einzigen Schlesier, die in der Gemeinde Burk Unterschlupf fanden. „Der für die Beschlagnahme von Wohnraum zuständige Bezirksamtmann Klinger und Bürgermeister Georg Persau brachten die Familien Richter (bei Schwarzmanns), Krug (bei Dobeneks), Harnisch (bei Kainer), Laugisch (bei Baptist Müller), Jander (in der Bäckerei Engel) und eine namensgleiche Familie Breuer (bei Schellers) im Dorf unter.“ Außerdem Max Fechner (bei Johann Hofmann) und Felix Siegmund (bei Seelmanns). Ende 1945 gelangten auch noch Flüchtlinge aus Ostpreußen und Heimatvertriebene aus dem Böhmerwald hinzu, die in einem Notaufnahmelager im Saal des Gasthauses „Roter Ochs“ lebten. Eine davon war Hermine Haas. 15 Jahre später heiratete Heinz Söhnlein Hermine Haas. Als Festessen gab es fränkischen Braten und schlesischen Mohnkuchen, erinnert er sich.

Am heutigen Samstag ist das Kriegsende vor 70 Jahren und die Folgen auch Thema der langen Museumsnacht in der Forchheimer Kaiserpfalz. Beginn: 20 Uhr.

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