Fürths ruhmreiche Kraftsportler brauchen Hilfe

12.6.2016, 10:00 Uhr
Fürths ruhmreiche Kraftsportler brauchen Hilfe

© Foto: Tsimplostefanaki

Die Vergangenheit war so groß, dass sie sich mühelos am Leben halten konnte in diesem Raum. Sie hat sich eingenistet, in den Bilderrahmen an den Wänden, in dicken Ordnern, voll mit Zeitungsausschnitten und sorgsam dokumentierten Erfolgen. Sie haftet an den Gewichten und Hanteln und an dem vergilbten Poster mit der leicht bekleideten Frau, das man in so einer Muckibude auch irgendwie erwartet.

Sogar Karl-Heinz Radschinksky ist nie ganz verschwunden. Die Schwarzweißbilder über der Trainingsbank halten Wettkampfmomente fest, das Farbfoto gegenüber zeigt ihn bei seinem größten Erfolg: „Olympiasieger Los Angeles 84“ steht darauf, er hat die Hände jubelnd nach oben gerissen. Zu dem Zeitpunkt war er schon nicht mehr beim MTV Grundig Fürth, seinem, wie er rückblickend einmal sagte, „besten Verein“.

Während Radschinsky zwei Jahre nach seinem sportlichen Höhepunkt tief fiel – wegen Anabolika-Handels wurde er zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt – , zu seinem Heimatverein, dem ASV Neumarkt, zurückkehrte und sich später in Chemnitz als Immobilienkaufmann selbstständig machte, blieb sein früherer Teamkollege und Trainer Egon Milchthaler bis heute in Fürth und beim MTV, der inzwischen MTV Stadeln heißt. Er ist mit den Jahren das Herz der Abteilung geworden – um deren Zukunft der 77-Jährige jetzt bangt. Im August werden sich Abrissbagger die MTV-Halle vornehmen. Die Kündigung für die 200 Quadratmeter große Fläche im Rückgebäude ist längst da – Ersatz nicht in Sicht. „Das ist für mich so schwer, dass man uns im Stich lässt“, gesteht er. Und gibt die Hoffnung nicht auf.

Egon Milchthaler gehörte in jenen schillernden Jahren neben Radschinsky zur ersten Mannschaft der Gewichtheber-Abteilung, die zwischen 1977 und 1980 in der Bundesliga war. „Wir waren schon eine Truppe!“, sagt er, tolle Zeiten seien das gewesen, als 500 bis 700 Zuschauer zum Gewichtheben kamen.

Fürths ruhmreiche Kraftsportler brauchen Hilfe

© Foto: privat

Milchthaler liebt diesen Sport, er hob schon mit 18 Jahren die ersten – selbst gekauften – Gewichte, die Familie wohnte damals in der Gartenstraße in der Fürther Innenstadt, trainiert wurde im Hinterhof.

Er war es auch, der die Ordner gefüllt hat, jeden Erfolg der Kraftsport-Abteilung hat er protokolliert. Zwischen 1969 und 2003 kamen 300 Titel zusammen, vom mittelfränkischen bis zum deutschen Meistertitel. „Das war Wahnsinn, was bei uns los war“, seufzt er. „Wir haben uns geschunden, da stand hinterher das Wasser auf dem Boden“, erzählte er den FN vor Jahren einmal, als Kurt Lang, ein anderer erfolgreicher Gewichtheber des MTV, 70 wurde.

Milchthaler, der 1955 zunächst beim TV Fürth 1860 anfing, selbst 19 Mal bayerischer Meister wurde und insgesamt 50 Titel anhäufte, leitet die Kraftsport-Abteilung seit 1980. Er hat miterlebt, wie der Kraftdreikampf das Gewichtheben beim MTV ablöste, weil Sportler weggingen, und wie 1982 die Sparte Fitness hinzukam, die schnell boomte. 1984 war die Abteilung auf 300 Leute angewachsen.

Heute sind es noch 30. Fitness bommt zwar noch – aber nicht beim MTV, sondern in Fitnessstudios. Manche Mitglieder haben den Verein auch verlassen, weil sie nicht wussten, wie es nach dem Abriss weitergeht, sagt Milchthaler.

Zusammen mit Gerd Biedermann, der zum MTV kam, um etwas für seine Fitness und Gesundheit zu tun, sieht er eine Zukunft für die Abteilung. Trotz der Konkurrenz durch die Fitnessstudios: „Ich bin selbst im Verein groß geworden“, sagt Biedermann, „ich verstehe nicht, warum die Vereine kommerziellen Anbietern das Feld überlassen. Kaum sind sie 18, lässt man die jungen Menschen ziehen.“ Großes Potenzial sieht er zudem im Reha- und Gesundheitssportbereich. Mit der älter werdenden Gesellschaft werden solche Angebote immer wichtiger, prophezeit er.

Und die dritte Säule könnten Sportler anderer Sportarten aus dem Verein sein, die an den Geräten ein auf sie zugeschnittenes Athletiktraining absolvieren könnten, wie es bisher schon die Handballer und Fußballer des MTV tun, oder Verletzungen auskurieren könnten, sagt Milchthaler.

Vereine angeschrieben

Fürths ruhmreiche Kraftsportler brauchen Hilfe

© Foto: Kögler

Die Zeit drängt: Ab August steht die Abteilung ohne Räume da. Im Julius-Hirsch-Sportzentrum, das am Schießanger entsteht, ist kein Kraftraum vorgesehen. Weil die Stadtspitze keine Lösung für sie hat, hat Biedermann andere Fürther Vereine angeschrieben – mit dem Vorschlag, eine vereinsübergreifende Fitness-Abteilung zu schaffen. „Wieso muss jeder seinen eigenen Bereich haben?“, fragt er. Angesprungen auf das Angebot ist allerdings keiner so richtig. „Wenn wir anfangen müssten, die Geräte zu verkaufen, wäre das das Ende der Abteilung“, fürchtet Milchthaler. Sein Herz blute.

Im Sportreferat weiß man um die schwierige Situation. „Seit eineinhalb Jahren versuchen wir, eine Lösung zu finden“, sagt Sportreferent Markus Braun, der jedoch den Glauben an ein Happy End verloren hat. „Sportvereine, die in Konkurrenz mit Fitnessketten treten, tun sich unheimlich schwer“, gibt er zu bedenken. Die privaten Anbieter warten mit Trainingszeiten fast rund um die Uhr auf, mit einer Bar, Sauna, einem Pool oder Kinderbetreuung. Und mit modernsten Maschinen. Die Geräte des MTV – „unverwüstlich“ nennen sie Milchthaler und Biedermann – könnten da nicht mithalten, vermutet er: „Die Verantwortlichen haben in der Vergangenheit Hervorragendes geleistet – aber die Anforderungen an die Gegenwart sind andere.“

Der Nürnberger Post SV, der mit über 18 500 Mitgliedern zu den größten Sportvereinen Deutschlands gehört, sei da „die Riesenausnahme“, er habe es geschafft, Strukturen fast wie bei einer Fitnesskette aufzubauen, um konkurrenzfähig zu sein. „Klassische Sportvereine können die dafür nötigen Investitionen in der Regel nicht stemmen“, sagt Braun. Und fügt hinzu: Von den Aktiven sei alles versucht worden, um neue Räume zu finden. „Mir fehlt die Phantasie, was da noch helfen könnte.“

Helfen würde der Abteilung vorerst ein großer Raum, in dem sie die Geräte unterstellen kann, während sie weiter eine Lösung sucht. Wer etwas anbieten kann, wendet sich an den MTV Stadeln.

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