25 Jahre nach dem Abzug: Ein Amerikaner erinnert sich

30.5.2020, 16:00 Uhr
25 Jahre nach dem Abzug: Ein Amerikaner erinnert sich

© Hans-Joachim Winckler

Passt die Geschichte der US-Army im Großraum Nürnberg in eine Kiste? Bei Don Norris scheint es fast so: Unzählige Fotos, schwarz-weiß und in Farbe, Zeitungsartikel, ganze Ausgaben von The Stars and Stripes, der Zeitung der US-Streitkräfte, Zettel mit Notizen – alles ordentlich sortiert. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Norris hineingreift. Das Rascheln von Papier, schließlich liegen seine Schätze verteilt über den großen Tisch auf der Terrasse. Es ist nur eine Auswahl. Insgesamt hat der Wahl-Oberasbacher sein in Jahrzehnten gesammeltes Material auf knapp 20 Behälter verteilt.

Manches sticht ins Auge: das abgegriffene Wörterbuch aus dem September 1945 – Preis: 5 Reichsmark – oder die historischen Aufnahmen vom späteren "US Hospital Nuernberg" an der Rothenburger Straße aus den 1930ern. Doch da sind auch andere, unscheinbare Dinge, wie Rechnungen und Belege. Was sie dokumentieren, und warum sie speziell für ihn so wertvoll sind, das kann Don Norris in einem Satz erklären: "Ich war der, der das Licht zum Schluss ausgemacht hat."

Als die Vereinigten Staaten Anfang der 1990er Jahre mit dem Rückzug ihrer Truppen aus Europa begannen, traf das auch den Großraum mit seinen Kasernen in Nürnberg sowie der Stadt und dem Landkreis Fürth (siehe auch Artikel rechts). Norris hatte – bis 1983 als Soldat, danach bis 2008 als Verwaltungsbeamter – als Teil der US-Army lange Jahre am Standort-Lazarett in Nürnberg verbracht.

Bevor das Sternenbanner eingeholt wurde, ging er auf seine ganz persönliche Abschiedstour: "Ich wollte überall der Letzte sein", sagt Norris schmunzelnd und greift in die Kiste: die Rechnung für die letzten Burger im Restaurant, samt Foto natürlich. Ein anderes Bild zeigt ihn am Postschalter – auf dem dort erstandenen Briefmarkenheft ist der Status als letzter Kunde dokumentiert.

Der Letzte im Hospital, in der Bank, beim TÜV

Und selbstverständlich gibt es auch eine Aufnahme, die den ausgebildeten Röntgenassistenten am Bett des letzten Patienten im Hospital zeigt. Er sei ebenfalls, sagt Norris, finaler Kunde in der Bank, mit dem Auto beim Tüv gewesen, und, und, und . . . "Das war meine persönliche Abschiedstournee."

1995 endete ein jahrzehntelang währendes Kapitel: Seitdem sie sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs durch Deutschland gekämpft hatten und erst als Besatzungsmacht, dann als Verbündete, geblieben waren, prägten amerikanische Soldaten das Bild in vielen Städten und Gemeinden.

25 Jahre nach dem Abzug: Ein Amerikaner erinnert sich

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Don Norris kam am 19. April 1958 nach Europa, als 17-Jähriger verließen er und 4000 weitere GIs der 3. Infanteriedivision in Bremerhaven das Schiff. Zur Armee hatte es den Jungen aus den Ozark Mountains in Arkansas getrieben, "weil ich einen Beruf erlernen wollte". Stationiert war er zunächst in den Würzburger Leighton Barracks: So viele Fahrräder, ein paar Autos und dazu gepflasterte Straßen – Deutschland war "eine ganz neue Welt".

Nach 22 Tagen begegnete ihm die Frau seines Lebens

Eine Welt, die Don Norris kaum 22 Tage kannte, da begegnete ihm die Frau seines Lebens: Beim Spaziergang am Main lernte er Sigrun Mayer kennen. Norris eroberte erst ein Foto und dann das Herz der jungen Dame. Die gemeinsame Liebe hatte freilich einige Hindernisse zu überwinden, angefangen von der zunächst wenig begeisterten Schwiegermutter bis hin zur Bürokratie der US-Armee.

In den zehn Jahren nach der Heirat 1961 – aus dem Paar wurde eine Familie mit drei Kindern – pendelte man zwischen den USA und Deutschland, ehe 1971 das US-Hospital Nürnberg, Abstecher nach Würzburg und Frankfurt inklusive, zum festen Arbeitsplatz wurde.

In Deutschland zu leben, diese Entscheidung traf Don Norris ganz bewusst – vor allem der Kinder wegen. Der TV-Konsum und das lockere Waffenrecht waren Dinge, die ihm in den USA missfielen. Die Familie wollte es ländlich und landete in Rehdorf. Die "Amis" waren in dem Ort mit seinen damals gerade einmal knapp 160 Einwohnern schnell akzeptiert.

Kaum eingezogen, schleppte ihn ein Nachbar zum Männergesangverein Anwanden, und es dauerte nicht lange, bis Norris auch Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr war. Treu ist er beiden geblieben. Für ihn steht fest: "Die Rehdorfer halten zusammen, so einen Ort gibt es selten."

Abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel in Roßtal blieben Don Norris und seine Familie auch Oberasbach treu. 1988 kaufte der Amerikaner die "Alte Waldschänke", eine ehemalige Wirtschaft, die damals schon einige Jahre leer stand. Viele Arbeitsstunden und eine Komplettsanierung später hatte die Familie ihren Lebensmittelpunkt gefunden.

Hier versammeln sich die Tochter und die beiden Söhne von Don und Sigrun Norris mit ihren Familien zum Truthahnessen an Thanksgiving. An Weihnachten schlürft man im Wohnzimmer, der ehemaligen Gaststube, zusammen Eggnog, den Eierpunsch. Traditionen, die der Amerikaner nicht missen möchte, aber natürlich hat Don Norris inzwischen längst auch so etwas wie eine deutsche Seite. Seine Liebe zum Vereinsleben etwa.

Und dann ist da etwas, mit dem ihn seine Enkelkinder noch heute necken: Der "Grandpa" und seine Ordnungsliebe. "Meine Frau würde sagen, da bin ich deutscher als die Deutschen." Der mächtige weiße Schnurrer zuckt kurz. Der ehemalige Stabsoberfeldwebel erzählt das sichtlich amüsiert.

"Ich lebe zwei Leben"

Seine Frau und er sind jedes Jahr mehrere Monate in den Staaten unterwegs. Das gehört dazu, wie die Euro- und Dollarscheine im Portemonnaie. "Ich lebe zwei Leben", meint der Mann mit dem markanten Haarschopf. Und was ist für ihn Heimat? "My home is, where I hang my hat." Nun, der Hut hängt seit Jahrzehnten in Oberasbach.

Und aus den vergangenen Zeiten gäbe es noch so viel zu erzählen. Ein letztes Foto, von den Leighton Barracks in Würzburg: das Einholen der Flagge, und Norris, natürlich zum Schluss allein, am Tor zur Kaserne. 2018 blühte ein Teil des ehemaligen Militärgeländes im wahrsten Sinne des Wortes auf, bei der Landesgartenschau. Norris war dort, mit seiner Sigrun, gemeinsam feierten sie ihren 60. Jahrestag.

Schöne Erinnerungen, keine Wehmut. Wobei: Wenn Don Norris heute die Rothenburger Straße entlang fährt und dort die Häuser sieht, für die das Militärhospital der Abrissbirne zum Opfer fiel, mag er es noch immer nicht glauben: "Es war ein schönes Krankenhaus, so solide gebaut. Das man das kaputt gemacht hat . . ."

Nächstes Ziel: ein Tandemsprung

Don Norris wird am 30. Juni 80 Jahre alt. Kaum zu glauben, der Mann ist ein Energiebündel. Gut so, denn es gibt noch etwas nachholen: Vor rund 60 Jahren wollte er bei der Army eigentlich zu den Fallschirmjägern. Geklappt hat das nicht. Jetzt möchte er wenigstens einen Tandemsprung aus luftigen Höhen wagen.

"Der Kardiologe", sagt der Amerikaner, "hat dafür schon grünes Licht gegeben." Das einzige – allerdings große – Fragezeichen setzt nun Corona. Doch wenn es klappt, gibt es sicher eine Urkunde und ein paar schöne Fotos dazu.

Dafür fände sich sicher auch noch ein Plätzchen in einer der vielen Kisten des Sergeant Majors Don Norris.

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