250-Kilo-Bombe war noch völlig intakt

23.9.2009, 00:00 Uhr
250-Kilo-Bombe war noch völlig intakt

© Sabine Rempe

Ein sanfter Septembernebel wallt an diesem Morgen durch die stillen Straßen. Nichts regt sich. Stille liegt über dem Wohngebiet, für dessen Straßennamen die Städte des Ostens Pate standen. Karl-Heinz Wolfram ist die Ruhe in Person. Gelassen geht er zu seinem Arbeitsplatz. Der liegt heute im Steinfeldweg. Der 62-Jährige kommt vom Sprengkommando Nürnberg und wird die Bombe entschärfen, die am Montagnachmittag rund 2,50 Meter tief in der Erde freigelegt wurde.

Für Heiko Zettel (37), Baumaschinenführer aus Chemnitz, und seinen Kollegen Stefan Seibold (21) aus Kammerstein hatte die Woche zunächst ganz normal begonnen. Routiniert waren die beiden mit den Kanalbauarbeiten hinter dem Ikea-Gelände beschäftigt gewesen. Am Nachmittag, als gerade ein Stück Rohr im Boden versenkt werden sollte, machte Zettel aus seinem Bagger heraus eine Entdeckung: «Ich spürte einen Widerstand und sah plötzlich Metall.»

«Disziplinierte Bürger»

Zettel stellte seinen Bagger ab und griff zur Handschaufel: «Das Ding war rund, lief spitz zu, da haben wir lieber die Polizei gerufen.» Den beiden Männern kam sofort die Erinnerung an den Unfall ins Gedächtnis, bei dem vor zwei Jahren auf der A 3 bei Aschaffenburg ein Arbeiter von einer Bombe zerrissen wurde, die unbemerkt im Erdreich gelegen hatte.

Seit Montagabend liefen die Vorbereitungen für die Sprengung des Poppenreuther Fundstücks auf Hochtouren. Polizei, Feuerwehr, BRK und THW trafen sich um 20 Uhr zur Lagebesprechung auf dem Selgros-Parkplatz. Mit Flugblättern und Informationen schwärmten die Helfer aus und unterrichteten bis kurz vor Mitternacht die Anwohner über die rasch geplante Evakuierung am nächsten Morgen. Walter Kaiser (50) vom BRK, der bei der nächtlichen Info-Aktion dabei war, lobt: «Die Leute, bei denen wir geklingelt haben, waren trotz der späten Stunde zuvorkommend, nett und verständnisvoll.» Ein Kompliment, das Fürths Polizeichef Roman Fertinger unterstreicht: «Eine unglaublich disziplinierte Mitarbeit der Bürger war das.»

In der Kantine von Möbel Höffner in der Seeackerstraße wurden rund 200 Bürger, die gestern Morgen hier Zuflucht suchten, mit Kaffee versorgt. Eine blinde Frau und vier Gehbehinderte wurden vom Roten Kreuz dorthin gebracht, Shuttle-Busse der infra erwarteten Evakuierte wie Irene (75) und Hubert Barczyk (81), die zur frühen Stunde gefasst ihre Wohnung und ihr Hab und Gut verließen. Bloß ihr Sparbuch habe sie noch eingesteckt, verriet die Rentnerin.

Alle übrigen Bewohner der betroffenen Gegend räumten bis 8 Uhr das Wohngebiet zu Fuß, per Fahrrad oder Pkw, während die Einsatzkräfte mit Lautsprecherwagen durch die Straßen fuhren.

Zuvor standen aber trotz Bombenalarm kurz nach 7 Uhr die Schulweghelferinnen am Übergang Im Stöckig, wenige Meter von der Fundstelle entfernt. Auch Resi Brode (52) und Heidi Wild (43) erlebten einen außergewöhnlichen Morgen: «Das ist im Moment eine gruselige Stimmung, schon jetzt ist alles so leer, überall die Absperrungen, die wartenden Sanitäter . . .» Melissa (6), Marcel (6), Vanessa (9) und Adrian (6) starteten aufgeregt in ihren Schultag in der Pesta, die von der Evakuierung nicht betroffen war. Marcel hatte sich schon schlau gemacht: «Die Bombe ist riesengroß und alt und schwer, die kenn’ ich aus dem Fernsehn.»

Karl-Heinz Wolfram, der Fachmann, hat die Fliegerbombe mittlerweile identifiziert, nachdem Baggerführer Zettel das 250-Kilo-Stück vorsichtig aus dem Erdreich gehoben hat: «Es handelt sich um eine amerikanische GP 500 mit zwei Zündern, die 130 Kilo Sprengstoff enthält.» Während der Experte auf das endgültige Kommando zum Entschärfen wartet, muss sich Daniela Götz (38), Verkäuferin in der nahen Bäckerei Wirth, auf die neue Situation einstellen: «Ich habe den Zettel mit den Infos gefunden, als ich den Laden aufgeschlossen habe, jetzt weiß ich gar nicht, wo ich hin soll.»Kalt blieb zunächst auch die Ikea-Küche. Das beliebte Schweden-Frühstück, das Morgen für Morgen viele Hungrige anzieht, blieb ausnahmsweise erst einmal liegen. Sicherheitshalber musste das Möbelhaus später öffnen. Beim Praktiker-Baumarkt informierte ein handgeschriebenes Schild, dass der Betrieb hoffentlich um 9 Uhr los geht.

Ein Zeitplan, der nicht ganz eingehalten werden konnte. Um 9.20 Uhr, nach einer letzten Kontrolle des Wohngebiets, machte sich Sprengmeister Wolfram ans Werk. 15 Minuten später hielt er die beiden Zünder in der Hand. «Sowohl der Kopf-, als auch der Heckzünder ist in Ordnung, ich habe keine Ahnung, warum die Bombe damals nicht hochging.» Der Experte lässt keinen Zweifel daran, dass die Gefahr jetzt groß war. Im Falle einer Explosion wären durch die «Riesendruckwelle» das Ikea-Gebäude, ebenso wie die Häuser in der Umgebung, schwer geschädigt worden.

Gefährlicher als TNT

Bei dem Sprengstoff handele es sich um Composition B, der sei gefährlicher als TNT. Gelassen erklärt der 62-Jährige, dass man in seinem feinfühligen Gewerbe «solche Sachen» wie das Entfernen der Zünder eben im Schlaf können müsse: «Fehler kann man sich nur einmal erlauben.» Seine Frau habe trotzdem keine Angst, wenn er morgens zur Arbeit geht: «Sie weiß, dass ich gut bin.»

Die 1,17 Meter lange, im Durchschnitt 37 Zentimeter breite Fliegerbombe wurde anschließend nach Feucht gefahren, dort ist das Sprengkommando Nürnberg untergebracht. Die mehr als 60 Jahre alte Antiquität wird nun vorsichtig auseinandergenommen und recycelt. «Schließlich», sagt Sprengmeister Willi Becher (56), der Wolfram bei der Entschärfung assistierte, «ist der Sprengstoff ja noch völlig in Ordnung.»

Heiko Zettel hat derweil schon wieder den Bagger angelassen. Im Steinfeldweg gehen die Kanalarbeiten weiter. Langsam senkt sich das Rohr, das am Montag nicht zum Zuge kam, in die Erde . . .