Als die Liebe nicht mehr strafbar war

27.8.2019, 21:00 Uhr
Als die Liebe nicht mehr strafbar war

© Foto: Michael Reichel/dpa

Was hat der Paragraph 175 für Sie bedeutet, Herr Glas?

Michael Glas: Ich habe mich wahnsinnig über ihn geärgert. Zudem hat er an meinem Selbstbewusstsein gekratzt. Als ich festgestellt habe: Gut, ich bin homosexuell, also ich bin "so einer", war das schon ein Ding, von einem bestimmten Strafrechtsparagraphen bedroht zu sein – also quasi ein Verbrecher oder Krimineller zu sein, nur weil du dich in andere Männer verguckst. Das war eine seelische Belastung, mit der ich fertig werden musste.

 

Sie hatten Ihr Outing 1983, als Sie 23 Jahre alt waren. Sexuelle Kontakte waren damals unter volljährigen Männern nicht mehr strafbar. Mussten Sie überhaupt etwas befürchten? Hatten Sie im Alltag mit Anfeindungen zu kämpfen?

Glas: Nun ja, ich hätte mich ja auch in einen 17-Jährigen verlieben können. Und das klassische Bild in der Gesellschaft war, dass Schwule böse Kindsverführer und pervers sind. Ich war deswegen sehr vorsichtig und habe es an meinem Arbeitsplatz geheim gehalten. Ich wollte einfach nicht in Schwierigkeiten geraten. Aber ich hatte einen Freundeskreis, dem gegenüber ich offen sein konnte.

 

Wie hat Ihr Umfeld denn auf Ihr Outing reagiert?

Glas: Nachdem ich vorher eine Freundin hatte und ein heterosexuelles Leben geführt habe, sind meine Eltern aus allen Wolken gefallen. Sie hatten große Probleme damit und unser Kontakt ist in der ersten Zeit auch abgerissen. Mittlerweile ist alles ok. Aber es war sehr schwer für sie, das zu verstehen und zu akzeptieren.

Als die Liebe nicht mehr strafbar war

© Foto: Projekt 100% Mensch

Sie haben lange in Fürth gelebt. Gab es hier eine Schwulenszene?

Glas: Bedauerlicherweise nicht. Die Schwulen sind alle in Nürnberg ausgegangen. Ab Ende der 80er Jahre gab es dann zwei schwule WGs in Fürth, das war dann quasi die private Schwulen-Infrastruktur. Ein bisschen geändert hat sich das, als die Kofferfabrik als Kulturkneipenzentrum kam. Da waren dann auch viele schwule Fürther unterwegs.

 

Hatten Lesben öffentlich Probleme?

Glas: Die hatten eher das Problem, dass sie nicht wahrgenommen wurden. Es gab damals eine Diskussion, warum man mit dem Paragraphen 175 nur homosexuelle Männer bestraft und keine Frauen. Jemand im Justizministerium sagte, das könne man nicht machen, da sei die Beweisführung so schwierig. Denn man könne Sexualität unter Frauen nicht von gegenseitiger Körperpflege unterscheiden. Nach dem Motto: Frauen haben ja keine Sexualität. Was will man da bestrafen?

 

Kennen Sie Leute, die richtig Probleme wegen des Paragraphen 175 bekommen haben?

Glas: Es waren keine Massen mehr. Aber Anfang der 80er Jahre habe ich mitbekommen, dass es eine Handvoll Fälle gab. Ich kann ein Beispiel nennen: Da waren zwei 17-jährige Jungs. Der eine wurde volljährig und dann gab’s Ärger von den Eltern. Die hatten mit Paragraph 175 einen Hebel und konnten Anzeige erstatten.

 

War der Paragraph in der Praxis eher eine Drohung, auf die dann selten Anzeigen folgten?

Glas: In den 50er und 60er Jahren wurden in der Bundesrepublik an die 100.000 Ermittlungsverfahren durchgeführt und an die 50.000 Männer nach Paragraph 175 verurteilt. Ende der 60er gab es eine Reihe von politischen Initiativen dagegen. In den 70ern spielte er dann in diesem Ausmaß keine Rolle mehr. Aber der Paragraph hat dazu geführt, dass man sich nicht wirklich frei gefühlt hat und es auch nicht war.

 

Wie haben Sie sich für die Abschaffung eingesetzt?

Glas: Mit Demonstrationen, Info-Tischen und Pressearbeit. Da kamen am Anfang öfter Sprüche wie "Ihr gehört doch vergast." Irgendwann gab's dann diesen Aha-Effekt: "Aha, die sind das. Die habe ich mir schlimmer vorgestellt." Ist bei den Ausländern ja auch oft so. Wenn man Menschen persönlich kennt, fällt es schwer, Vorurteile weiter zu behalten. Deswegen macht es Sinn, offen aufzutreten.

 

Wie standen die Juristen zu dem Paragraphen?

Glas: Die Juristen, die für die Abschaffung eingetreten sind, waren in der Minderheit. Ihr Argument war immer die Natürlichkeit von Homosexualität. Das Gegenargument war, dass es dem Volkskörper schadet, wenn, ich bin da fast versucht zu sagen, Zuchtmaterial ausfällt und die Bevölkerungszahl abnimmt. Hinzu kam die religiöse Schiene, von wegen es sei Gott ein Gräuel. Die Stimmen wurden zwar leiser, haben sich aber lange gehalten. Diese Argumente kamen von Politikern aller Parteien.

 

Gab’s in Fürth Vorreiter unter den Schwulen?

Glas: Nee, eher im Gegenteil. Ich weiß noch, als der Fliederfunk, das Schwulenradio auf Radio Z, auf Sendung gehen sollte, hat das die Bayerische Landesmedienzentrale erst mal aus Jugendschutzgründen verboten. Ich habe Unterschriften gesammelt und hatte einen Termin beim damaligen Fürther OB Uwe Lichtenberg. Der hat mir allerdings erklärt, er könne leider nicht unterzeichnen, er sei ja ein Oberbürgermeister aller Fürther und Fürtherinnen und es gäbe da viele Menschen, die diese Orientierung ablehnen. Ich hatte von der SPD mehr erwartet.

 

25 Jahre nach der Abschaffung des 175er: Mit welchen Problemen haben Schwule und Lesben heute noch zu kämpfen?

Glas: Juristisch ist ganz viel jetzt gut. Probleme gibt es noch beim Kinderwunsch. Das sind so banale Geschichten wie die Vaterschaftsgeschichte, weil bei zwei Frauen ja keiner Vater sein kann und so ein Unsinn. Was mir persönlich Sorgen macht, ist dieser moralische "roll back". So was wie ‚Frau zurück an den Herd‘, gefördert von der AfD. Ich mache mir Sorgen, wo diese Entwicklung hingehen könnte. Vielleicht sind wir gerade in der Situation, dass wir die erkämpften Freiheiten wieder verlieren könnten.

 

Was lässt sich dagegen tun?

Glas: Wir als Szene können offen und sichtbar sein, Vorurteile abbauen. Und die Menschen sollten generell versuchen, andere so zu akzeptieren, wie sie sind.

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