Altersarmut: "Nur zu überleben reicht nicht"

27.6.2017, 11:00 Uhr
Altersarmut:

© Foto: Reuters/Thomas Peter

Herr Beyer, wenn Sie Ihre Rede am Mittwoch in einem Satz zusammenfassen müssten, wie würde dieser lauten?

Altersarmut:

© Foto: Schmitt

Beyer: Wir müssen das Thema Altersarmut schon jetzt sehr ernst nehmen, und es wird sich weiter verschärfen.

 

Das passt zu den Ergebnissen der neuen Bertelsmann-Studie, die am Montag veröffentlicht wurde. Eine Prognose: Im Jahr 2036 soll jeder fünfte Rentner armutsgefährdet sein.

Beyer: Das überrascht mich nicht. In Bayern ist das schon heute so.

 

Ausgerechnet in Bayern?

Beyer: Ja. Das liegt daran, dass man diese Gefährdung am sogenannten mittleren Einkommen bemisst – und das ist in Bayern überdurchschnittlich hoch. Die Staatsregierung verschleiert diese Zahlen aber, in dem sie sich am niedrigeren bundesweiten Einkommen orientiert. Grundsätzlich gilt: Wem netto weniger als 942 Euro monatlich zur Verfügung stehen, der gilt als gefährdet.

 

Was kann man sich unter Armutsgefährdung vorstellen? Ist das schon der Rentner, der Pfandflaschen sammelt?

Beyer: Nein, das ist nicht unbedingt die Personengruppe, die schon in materieller Armut lebt, sondern es sind alle, denen dieses Schicksal droht. Leider dramatisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband hier gerne, in dem er bereits von Altersarmut spricht, wo "nur" Gefahr droht. Damit tut er der Sache keinen Dienst, man muss schon sauber trennen.

 

Geht es den deutschen Rentnern im internationalen Vergleich nicht ziemlich gut?

Beyer: Das stimmt in mancher Hinsicht. Aber man muss sich immer an den Verhältnissen vor Ort orientieren. Mit 1000 Euro kommt man auf Sizilien vermutlich besser zurecht als in einem Münchner Vorort. Es nützt dem deutschen Rentner nichts, wenn er im Vergleich mehr hat, damit aber angesichts der Verhältnisse an seinem Wohnort nicht seine Bedürfnisse decken kann.

 

Das heißt letztlich: Als arm gilt auch, wer nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann.

Beyer: Genau. Wenn ich nicht mehr vor die Tür gehe, weil ich mir das Busticket oder den Kuchen im Café nicht leisten kann, dann überlebe ich zwar, aber ich lebe nicht. Vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu sein, ist ein Armutsaspekt – und eine sehr bittere Erfahrung für alte Menschen, gerade für die, die sich immer eingebracht haben.

 

Laut Studie sind vor allem alleinstehende Frauen, Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte betroffen. Haben diese Menschen überhaupt eine Chance, der Altersarmut zu entgehen?

Beyer: Nur wenn sich die Umstände in diesem Land verändern. Das ist genau das, was bei der Demo am Mittwoch gefordert wird.

 

Im Detail heißt das?

Beyer: Alleinerziehende Frauen zum Beispiel müssen wir stärker in die Erwerbstätigkeit einbinden. Das kann nicht nur der Minijob sein. Wir brauchen mehr Vollzeit statt Teilzeit. Das geht nur mit noch besseren Möglichkeiten bei der Kinderbetreuung. Ich freue mich über den Mindestlohn, aber in seiner jetzigen Höhe ist er nicht armutsfest. Wer dauerhaft davon lebt, wird im Alter nur knapp über der Grundsicherung landen.

 

Ist es also zu kurz gegriffen, wenn man wie die SPD das Rentenniveau wieder auf 48 Prozent anheben will?

Beyer: Auch hier muss man sauber trennen. Das eine ist: Das politisch gewollte Absenken des Rentenniveaus, um die Menschen in die Riesterrente zu treiben, war ein Grundfehler. Die Riesterrente ist tot, zu wenige Menschen haben Zugang zu Betriebsrenten, da wäre es fahrlässig, die gesetzliche Rente nicht zu stärken. Die Awo fordert ein Rentenniveau von sofort 50 Prozent, das dann schrittweise verbessert werden muss.

 

Und was ist das andere?

Beyer: Gleichzeitig brauchen wir eine breitere Basis für das, was ins System eingezahlt wird. Die Menschen müssen einfach mehr verdienen, um später in der Rente höhere Beiträge beziehen zu können. Wir brauchen stärkere Tarifbindungen, allgemein mehr Lohnsteigerungen und, wie gesagt, einen höheren Mindestlohn.

 

Was würden Sie sich für die Kundgebung am Mittwoch wünschen?

Beyer: Hier kommt ein bemerkenswert breites Bündnis aus Verbänden, Gewerkschaften und Kirche zusammen. Ich hoffe, dass es ihm gelingt, seine Anliegen mit dem entsprechenden Zuspruch in die Öffentlichkeit zu bringen.

Die Demonstration "Endstation Armenküche – mit uns nicht!" beginnt am Mittwoch um 17 Uhr am Dreiherrenbrunnen in der Fußgängerzone. Abschlusskundgebung 18 Uhr am Grünen Markt.

Keine Kommentare