An Hartz IV scheiden sich die Geister

13.1.2015, 06:00 Uhr
An Hartz IV scheiden sich die Geister

© Foto: Horst Linke

Zehn Jahre Hartz IV – haben Sie 2005 schon protestiert, Herr Stadlbauer?

Stadlbauer: Ja. Es war die Zeit der Montagsdemos. Auch in Fürth gingen Menschen auf die Straße. Die Forderung lautete: Weg mit Hartz IV! Der Ärger verschärfte sich, weil gleich zu Beginn vieles schief ging, zum Beispiel gab es etliche Fehler bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II.

Meth: Das stimmt schon, die Grundsicherung wurde etwas überstürzt eingeführt, der Start war entsprechend hektisch. Es gab mehr Arbeitslosengeld-II-Bezieher als erwartet, noch dazu Software-Probleme. Es war für alle Beteiligten ein Kraftakt, pünktlich zum Start das Geld auszahlen zu können.

 

Als damaliger Leiter des Arbeitsamts haben Sie das hautnah miterlebt . . .

Meth: Ja. Der Grundgedanke war ja, zwei Systeme, die parallel arbeiteten, zusammenzuführen: Arbeitslosen- und die Sozialhilfe sollten in der Grundsicherung verschmelzen. Dafür musste die Arbeitsagentur mit dem städtischen Sozialamt eine Arbeitsgemeinschaft (Arge) bilden. Es hat sich gelohnt. Das Prinzip des Förderns und Forderns funktioniert. Die Arbeitslosigkeit ist in Deutschland ausgesprochen niedrig, gerade bei der Jugendarbeitslosigkeit stehen wir im europäischen Vergleich gut da, dazu hat die Beschäftigungszahl eine Rekordhöhe erreicht.

An Hartz IV scheiden sich die Geister

© Foto: Hans Winckler

Stadlbauer: Einspruch! Abgenommen hat doch in erster Linie die Zahl der Menschen, die Arbeitslosengeld I beziehen, nicht aber die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Die Reform bewirkte vor allem den massiven Ausbau des Niedriglohnsektors mit teils sittenwidrigen Dumpinglöhnen, die 30 Prozent unter dem üblichen Niveau liegen. Trotz des neuen Mindestlohns reicht es bei vielen Familien nicht zum Leben. Der Staat muss ihr Gehalt aufstocken. Hartz IV ist grandios gescheitert.

Wie sind die Zahlen in Fürth, Herr Meth?

Meth: Im Jobcenter, das für die Langzeitarbeitslosen zuständig ist, waren 2005 noch knapp über 4000 Menschen arbeitslos, jetzt sind es 3086. Das sehe ich als Erfolg der Reform.

Stadlbauer: Die Zahl ist im vergangenen Jahr um zwölf Prozent gestiegen, Herr Meth.

Meth: Schon. Das liegt aber an der schwierigen Situation in Süd- beziehungsweise Südosteuropa.

 

Inwiefern?

Meth: Die Menschen kommen zu uns, um zu arbeiten. Vielen gelingt das, manche landen allerdings im Jobcenter. Der Prozentsatz der Ausländer, die Alg-II in Fürth bekommen, ist in den vergangenen beiden Jahren von 35 auf 45 Prozent gestiegen. Wir haben hier bei uns überproportional viele Griechen, Bulgaren und Rumänen.

Dürfen Ausländer, wenn sie neu in Deutschland sind, überhaupt Alg-II beantragen?

Meth: Ja. Wenn sie einen Job bekommen, und sei es nur für 100 Euro im Monat, muss das Jobcenter ihr Gehalt aufstocken.

 

Herr Stadlbauer, Sie sagen, die Hartz-IV-Reform gehe von einem „zutiefst unsozialen Menschenbild“ aus. Weshalb?

Stadlbauer: Hinter Hartz IV steht die Annahme, nicht der Arbeitsmarkt ist schuld an der Arbeitslosigkeit der Menschen, sondern jeder Einzelne selbst. Der Ansatz, den Betroffenen das Leben so ungemütlich wie möglich zu machen, damit sie aus der Arbeitslosigkeit fliehen, ist aber grundverkehrt. Zum einen bräuchte man dazu erst einmal genügend Arbeitsplätze, zum anderen handelt es sich bei der Zielgruppe größtenteils um körperlich oder psychisch Kranke oder um Alleinerziehende. Da hilft es doch nichts, Druck aufzubauen. Das ist Drangsalieren per Gesetz.

 

Wie hoch ist der Druck, den Sie in Fürth aufbauen, Herr Meth?

An Hartz IV scheiden sich die Geister

© Foto: Hans Winckler

Meth: Der große Druck kommt bei uns nicht so zur Geltung. Wer Nordische Philologie studiert hat, den werden wir sicher nicht gleich drängen, als Reinigungskraft zu arbeiten. Wer aber über viele, viele Jahre arbeitslos ist, dem muss jede Arbeit zumutbar sein. Gerade bei Jugendlichen müssen wir manchmal Dampf machen . . .

 

. . . und den Regelsatz kürzen?

Meth: Ja, leider. Wenn ein junger Mensch partout nicht zu bewegen ist – und wir versuchen wirklich alles –, dann bleibt uns nichts anders übrig.

Stadlbauer: Ich bleibe dabei: Diese Art von Sanktionen sind grundsätzlich verfassungswidrig. Um wirklich helfen zu können, sollte man sich darauf konzentrieren, die individuellen Defizite der Arbeitslosen abzubauen.

Meth: Das wollen wir ja – und damit einhergehend mehr berufliche Bildung. Sie ist der Schlüssel. Der Arbeitsmarkt braucht keine Arbeits-, sondern Fachkräfte. Leider sind meine Mitarbeiter viel zu sehr mit Bürokratie beschäftigt, etwa damit, dass die Leute ihr Geld auch wirklich kriegen. Ich wünschte mir mehr finanzielle Mittel, um unsere Bildungsoffensive ausbauen zu können. Fürth ist ein heißes Pflaster. Zählt man die Kinder dazu, dann sind bei uns über 9200 Menschen auf Hartz IV angewiesen, das sind fast zehn Prozent der Bürger.

 

Herr Stadlbauer, was wünschen Sie sich?

Stadlbauer: Da sich „Weg mit Hartz IV“ nicht realisieren lässt, fordern wir einen höheren Regelsatz. Er liegt jetzt bei 399 Euro. Vor zehn Jahren waren es 345 Euro, dabei hatte der Paritätische Wohlfahrtsverband schon damals berechnet, dass 415 Euro nötig sind.

Meth: Natürlich, der Regelsatz ist nicht üppig. Allerdings: Eine vierköpfige Familie erhält mit Kindergeld 2034 Euro, dazu kommen etwa eine GEZ-Befreiung und Hilfen für die Kinder, damit sie an der Klassenfahrt teilnehmen können oder in der Schule eine Mittagsverpflegung bekommen. Viel mehr, finde ich, kann man dem Steuerzahler, der dafür ja aufkommt, nicht zumuten.

Stadlbauer: Das sehe ich anders. Und wenn man sich Steuerhinterzieher wie Zumwinkel oder Hoeneß vergegenwärtigt, dann ist der geringe Regelsatz noch schwerer zu ertragen.

 

Das Sozialforum und das Jobcenter stehen in einem regelmäßigen Austausch. Was bringt’s?

Meth: Ich denke, es tut uns beiden gut, über den Tellerrand zu schauen.

Stadlbauer: Wir freuen uns über kleine Erfolge. Dass es jetzt Belege für eingereichte Unterlagen gibt, geht beispielsweise auf unseren Einsatz zurück. Insgesamt muss man sagen, dass sich die Atmosphäre in der Behörde unter der Leitung von Günther Meth gebessert hat. Sie sind im Grunde gar kein typischer Hartz-IV-Mann, Herr Meth, Sie sollten sich wegbewerben (lacht). Der gute Umgang hier in Fürth ändert aber nichts daran, dass ich das System Hartz IV weiter ablehne.

 

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