Baby-Boom: Fürther Kreißsäle sind voll belegt

21.11.2016, 06:00 Uhr
Baby-Boom: Fürther Kreißsäle sind voll belegt

© Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Es begann unmittelbar, nachdem in Fürth die neue Frauenklinik eingeweiht worden war, Ende Oktober 2010 war das. Seitdem kennen die Geburtenzahlen in Fürth nur noch eine Richtung: Sie steigen. Pro Jahr kommen im Schnitt etwa fünf Prozent mehr Babys auf die Welt. Für 2016 rechnet man mit 2300 Neugeborenen. In erster Linie sind diese Zahlen natürlich ein Grund zur Freude. Doch Probleme bleiben nicht aus. So wird es auf der Wochenbettstation zunehmend enger. Und auch Personal zu finden, ist nicht einfach.

Besonders bei den Hebammen tut sich das Klinikum schwer, was die Verantwortlichen überrascht hat. Denn: Weil in den vergangenen Jahren die Prämien für die Haftpflichtversicherung für Hebammen extrem angestiegen sind, mussten viele Geburtshäuser schließen. "Eigentlich hatten wir gedacht, dass einige zu uns kommen würden", sagt Oliver Riedel, der als Pflegedirektor am Fürther Klinikum auch für die Akquise von Personal zuständig ist. Doch die Anfragen blieben aus; selbst dann noch, als mehrere kleinere Kliniken in der Region ihre Geburtshilfe einstellten. "Die meisten gingen wohl in die Selbstständigkeit", vermutet Riedel, der auf die gestiegenen Geburtenzahlen mit mehr Personal reagieren musste. Auch mehr Hebammen - im Moment sind es zwischen 25 und 28, die meist in Teilzeit arbeiten - gibt es mittlerweile am Klinikum.

Unterstützung aus dem Ausland

Um die Lücken zu schließen, bekommt das Kreißsaalteam inzwischen Unterstützung von zwei Hebammen aus Italien und einer aus Griechenland. Eine weitere Italienerin tritt im Januar ihren Dienst in Fürth an. "Die Kolleginnen bereichern uns", sagt Beate Zelinsky, leitende Hebamme am Klinikum. Außerdem seien die Frauen sehr gut ausgebildet, verfügten über gute Sprachkenntnisse - und seien froh, der Perspektivlosigkeit in ihrem Heimatland zu entkommen.

Das unterscheidet sie auch von ihren deutschen Mitstreiterinnen. Vor allem junge Hebammen, so formuliert es Prof. Volker Hanf, zögen der anstrengenden Schichtarbeit im Kreißsaal oft die Freiberuflichkeit vor. Nach der Ausbildung gingen deshalb viele in Praxen oder Geburtshäuser, um dort Schwangere zu betreuen oder Wöchnerinnen in der ersten Zeit mit dem Baby zu unterstützen.

Diesen Trend beobachtet auch Susanne Weyherter. "Viele junge Menschen lassen sich heute nicht mehr so einfach ausbeuten", sagt die 55-Jährige, seit 30 Jahren im Beruf und überdies zweite Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbands. Allerdings verzichteten viele Hebammen dadurch auf ihr eigentliches Berufsziel, nämlich Frauen bei der Geburt zu helfen.

Putzen gehört nicht zum Job

Weyherter versteht die Reaktion der jungen Kolleginnen, würde sich aber etwas anderes wünschen: "Mir wäre es lieber, sie würden für bessere Bedingungen kämpfen." Bei den Arbeitsbedingungen an Kliniken liege nämlich manches im Argen. Etwa dass viele Hebammen mehrere Gebärende gleichzeitig betreuen müssten. Auch in Fürth lässt sich dies laut Prof. Hanf nicht vermeiden. "Dass eine Hebamme nur eine Geburt betreut, ist nicht machbar", sagt er. Trotzdem achte man darauf, nicht in eine Art "Fließbandarbeit" zu verfallen.

Weyherter kritisiert auch, dass viele Hebammen Tätigkeiten erledigen müssen, die außerhalb ihres eigentlichen Aufgabengebiets liegen. Urin- oder Blutdruckkontrollen bei Schwangeren könnten ihres Erachtens medizinische Fachangestellte übernehmen. Ein "Unding" aber sei es, wenn Hebammen nach einer Entbindung noch den Kreißsaal putzen müssen - auch das komme vor.

Bürokratischer Aufwand

Nicht unerheblich sei der bürokratische Aufwand, erzählt Weyherter, die selbst sechs Jahre lang an verschiedenen Kliniken gearbeitet hat. Jeder einzelne Handgriff während einer Entbindung müsse danach festgehalten werden, um bei möglichen Komplikationen später noch den genauen Verlauf der Geburt rekonstruieren zu können. Während Kolleginnen früher nach einer anstrengenden Schicht noch einmal die Geburten gedanklich durchgegangen seien, um sich dann schlafen zu legen, falle es ihnen heute oft schwer, zur Ruhe zu kommen, klagt Weyherter. Eine Hebamme habe ihr erzählt, dass sie oft wach liegt und grübelt, ob sie wohl alles richtig gemacht - und dies auch so dokumentiert hat.

Trotz aller Widrigkeiten rät Susanne Weyherter den jungen Kolleginnen, nach ihrer Ausbildung eine Zeit lang in einer Klinik zu arbeiten. "Zwei bis drei Jahre sollten sie dort geburtshilfliche Erfahrungen sammeln." Wer die Anonymität eines großen Hauses nicht schätze, der solle es an einem kleineren Krankenhaus versuchen, von denen es in Bayern trotz einiger Schließungen noch genügend gebe.

Und ihr Ratschlag für die Kliniken, die händeringend Hebammen suchen? "Die Kliniken könnten viel von der freien Marktwirtschaft lernen", sagt sie. Wer gutes Personal sucht, müsse auch etwas bieten, zum Beispiel einen Kitaplatz für den Nachwuchs der Angestellten, Hilfe bei der Wohnungssuche oder eine übertarifliche Bezahlung.

 

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